Von Georg Krix
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Allgemein zur Lage der deutschen Volksgruppe in (Groß)Ungarn zu Beginn des 20. Jahrhunderts
EINST gab es einen Reichtum deutscher Presseorgane in Ungarn. Gemeint ist ’Großungarn’ und die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Denn schon während des Krieges sind viele Zeitungen/Blätchen eingegangen – infolge wirtschaftlicher Schwierigkeiten und auch wegen dem Schwund der Interessenten, die ja zu der Zeit an der Front fürs Vaterland kämpften.
Es waren damals hauptsächlich regionale deutsche Zeitungen/Zeitschriften oder eben lokale Blättchen, herausgegeben von der Stadtverwaltung, einem Verein oder auch privaten Unternehmern. Wir finden sie in größter Zahl bei den Schwaben im Banat und der Batschka, bei den Siebenbürger Sachsen, auch noch in der Zips und in Deutsch-Westungarn, jedoch viel weniger im mittleren Ungarn, hier beinah nur – mit wenigen Ausnahmen – in Ofen und Pest, also Budapest.
Das ungarländische Deutschtum war zu jener Zeit kaum oder eben nur sporadisch organisiert. Gab es in den Jahren um die Jahrhundertwende (1900) noch Versuche und sogar auch erfolgsversprechende Unternehmungen zur geistigen und politischen Bündelung des Schwabentums (dies auch hauptsächlich im Süden Ungarns), so waren diese gegen Ende des Weltkrieges bereits verebbt. Das den Nationalitäten Ungarns vielversprechende Deák’sche Nationalitätengesetz von 1868 war von den nationalistischen madjarischen Machthabern längst vergessen und neue Schulgesetze und Verordnungen sowie die gewaltsame Madjarisierung waren als Totengräber der Nationalitäten am Werk.
Der 1917 in die Politik eintretende junge Jakob Bleyer – ein Bauernsohn aus Tschib in der südlichen Batschka – war also mit einer sehr trostlosen Lage seiner schwäbischen Landsleute konfrontiert. Sein erster Aufsatz in Sachen Nationalitätenpolitik führte den Titel „Das ungarländische Deutschtum” und erschien in „Budapesti Szemle” in ungarischer, doch gleichzeitig auch im Märzheft der „Deutschen Rundschau” (gekürzt) und im Wochenblatt „Karpathenpost” in Käsmark in deutscher Spache. Mit diesem Aufsatz versuchte Bleyer zum ersten Mal zwischen Staat als Unterdrücker und den unterdrückten Nationalitäten zu vermitteln.
Bleyer wurde somit zu einer bekannten Persönlichkeit in Ungarns Presse. In seinen darauffolgenden Veröffentlichungen begegnet uns wiederholt die Synthese: „Deutschtum und Ungartum, deutscher Volksangehöriger und ungarischer Staatsbürger.” Diesbezügliche Ausführungen fanden einstweilen auch beim Madjarentum Verständnis und Zustimmung. Bleyer drängte nun in seiner zielstrebigen Art unaufhaltsam vorwärts. Ein wichtiges Hilfsmittel hierfür war die damalige deutsche Presse der Hauptstadt, wo es vor Trianon noch einige deutsche Zeitungen mit beträchtlichem Leserkreis gab. Er wurde sogar ständiger Mitarbeiter der 1917 vom katholischen Geistlichen Dr. Johannes Huber gegründeten und in deutschem Sinn geleiteten „Neuen Post”, wo er sich bereits auch mit einigen seiner späteren Mitarbeitern befreundete.
Im Kreise vieler neugewonnenen Freunde entstand der Plan zur Gründung eines Kulturereins mit dem Ziel, die breite Masse der ungarndeutschen Bevölkerung aufzurütteln, da bisher nur landwirtschaftliche Vereinigungen, „Bauernbünde” auf dem Lande, außerdem vereinzelte deutsche gesellige Organisationen in Budapest bestanden. Zur Verwirklichung dieses Planes konnte es infolge der Ereignisse auf den Kriegsschauplätzen und der sich anbahnenden Revolution nicht kommen. Bei Niederschlagung Letzterer hat auch Bleyer persönlich aktiv mitgewirkt und so finden wir seine Person als Nationalitätenminister in verschiedenen Nachkriegsregierungen. Seine Bemühungen zum Wohle der ungarländischen Minderheiten und des gemeinsamen Vaterlandes blieben ohne Erfolg. Mit vielen reichen, wenn auch bitteren Erfahrungen legte Bleyer im Dezember 1920 sein Amt als Nationalitätenminister nieder.
Als Führer der Deutschen in (Trianon)Ungarn und Gründer des SONNTAGSBLATTES
Im März 1921 begann Bleyer wieder mit der Lehrtätigkeit an der Universität. Wollte er weiterhin für seine Schwaben politisch tätig sein, brauchte er ein Sprachrohr, eine ’gute deutsche Zeitung’: Sie sollte volkstümlich und einfach geschrieben sein (mit Rücksicht auf das Bauernvolk), doch sollte es auch auf einer gewissen geistigen Höhe stehen. Die „Neue Post”, Bleyers Hauptorgan von 1917 bis 1920, die vom „Christlichen Zentralen Presseunternehmen” herausgegeben und von Pfarrer Dr. Huber vorzüglich geleitet worden war, hatte diese Anforderungen im Allgemeinen erfüllt. Nur war sie mehr auf das gebildete Bürgertum als auf Bauern zugeschnitten gewesen. Später erschien sie unter dem Titel „Pester Zeitung“, ging aber im Herbst 1921 aus Mangel an Lesern ein; der Ausfall der Bezieher durch die Gebietsabtrennungen war eben zu groß. Etwa zur gleichen Zeit stellten aus demselben Grund das „Neue Pester Journal”, das „Budapester Tageblatt” und das „Neue Budapester Abendblatt” ihr Erscheinen ein. Dr. Huber, die Seele und treibende Kraft der deutschen christlichen Presse in Ungarn, war übrigens von seiner kirchliche Behörde (wie das immer schon üblich gewesen war und auch ist) auf einen anderen Posten berufen worden, der es ihm unmöglich machte, eine Zeitung zu leiten.
Bleyer und seine Anhänger entschlossen sich unter großen Geldopfern zur Gründung eines neuen, besonders dem schwäbischen Landvolk dienenden Blattes, des „SONTAGSBLATTES FÜR DAS DEUTSCHE VOLK IN UNGARN”. Es wurde im Januar 1921 ins Leben gerufen.
Seine Mitarbeiter waren fast alle von der „Neuen Post” wie Dr. Huber, Anton König (Szentfülöpi) und Johann Faul-Farkas. Bald erweiterte sich der Kreis. Es schlossen sich ihm unter anderen die Geistlichen Franz Hufnagel (bis 1946 Pfarrer von Schaumar/Solymár und Dechant des Kirchenbezirks Unteres Ofen) und Josef Varga (bis zu seinem Tode 1942 Pfarrer von Agendorf/Ágfalva) an, das ehemalige Mitglied des „Deutschen Volksrates für Ungarn” Dr. Guido Gündisch, Staatssekretär a. D. Dr. Peter Jekel, Oberstleutnant Ludwig Teutsch, Dr. med. Ägidius Faulstich, der Volkskundeforscher Dr. Franz Bach, um nur einige zu nennen. Schriftleiter war Faul-Farkas, später Anton König. Bleyer zeichnete als Herausgeber und schrieb viele herzhafte, oft von Zorn klirrende Aufsätze.
Häufige schwere Krisen des Blattes konnten nur durch den Opferwillen der Herausgeber und freiwillige Geldspenden der Bezieher gemeistert werden. Langsam ging es aufwärts. Bis Anfang 1922 stieg die Zahl der Abnehmer auf 5000, im Jahre 1927 wurde das Blatt in 400 Dörfern verbreitet.
Im Dienste seines Hauptzweckes, dem Kampfe für das ungarländische Deutschtum, berichtete es aufs Genaueste über die Fortschritte der Bleyer’schen Bewegung und leistete eine unermüdliche, eindringliche Aufklärungsarbeit zugunsten der deutschen Unterrichtssprache. Als 1924 der „Ungarländische Deutsche Volksbildungsverein (UDV)” gegründet wurde, veröffentlichte es dessen sämtliche Mitteilungen. (Bemerkung: Dennoch war das „Sonntagsblatt” nicht das „Organ” des UDV, weil es im Gegensatz zu diesem, der von der Regierung unterstützt wurde, finanziell unabhängig blieb.)
Die „Politik” des Blattes kennzeichnete Bleyer mit folgenden Worten: „Auch im Sonntagsblatt machen wir keine eigene Politik, sondern unser ganzes Bestreben ist einzig und allein darauf gerichtet, unser schwäbisches Volk auf die Bahn reiner, christlicher Sitten, treuer Liebe zum angestammten Vaterland und zum angeborenen Volkstum zu leiten und zu fördern… – das ist doch keine ’Politik’!
Was die Stellungnahme zu allgemeinen politischen Ereignissen betraf, so hielt sich das Blatt im Fahrwasser der Regierungspartei, vertrat also eine ungarisch-patriotische und revisionistische Haltung. Darüber hinaus stand es natürlich dem Deutschtum im Reich, in Österreich und in den Nachfolgestaaten freundlich gegenüber, bekämpfte den Kommunismus und beschäftigte sich eingehend mit allen Fragen des nationalen Minderheitenwesens. Bleyer war froh, an seiner Seite Geistliche wie Dr. Huber, Hufnagel und Varga zu wissen, die den Gläubigen in der Muttersprache predigten. Varga, von Haus aus Madjare, aber früh in deutschen Gemeinden tätig, war das besonders hoch anzurechnen.
Der Unterhaltungsteil der Zeitung passte sich der Gesamtrichtung an. Gepflegt wurde vor allem der Heimatroman, der in der Ansiedlungszeit der Donauschwaben spielte. Ella Triebnigg-Pirkhert und Johann Faul-Farkas schrieben viele solcher gemütsvoller Erzählungen auf geschichtlicher Grundlage. Die humoristischen Gedichte des „Heinz von Promontor” seien ebenfalls erwähnt. Ein besonderer Vorzug des „Sonntagsblattes” war die enge Verbundenheit zwischen Herausgebern und Beziehern. Mit jedem Anliegen konnten sich die Leser an ihre Zeitung wenden und waren sicher, dass ihre Briefe aufs Genaueste beantwortet wurden. Die äußerst vernachlässigte Rechtschreibung und unbeholfene Ausdrucksweise der Briefeschreiber, die eigentlich nur Mundart sprachen und kein „Schuldeutsch” lernten, bereitete der Redaktion oft große Schwierigkeiten. (Als Beispiel ein Brief an den UDV: „main libesz folksferain. Ih bite Szoford 40 stuk folksz kalender für das jar 1935 jar. Libesz ferrainj ih mahe Inen zuvisen, dasz ihm Siget 50 midklider Szihboimir haben untersriben. Die miklider bitten Szofort komesz Nah Siget die ordszgruben kründen…”).
Es konnte nicht ausbleiben, dass eine so deutschgesinnte, erfolgreich wirkende Zeitung madjarische Angriffe auf sich zog. So wurde das Blatt einmal vom Innenministerium verboten, weil es am 7. Mai 1922 die Broschüre des Ödenburger Schriftstellers Alfred von Schwartz „Die Zukunft der Deutschen in Ungarn” veröffentlichte (ein Epilog zur Volksabstimmung in Ödenburg).
Obgleich das Sonntagsblatt schwer um sein Dasein zu kämpfen hatte, blieb es 14 Jahre lang das Hauptorgan des ungarländischen Deutschtums.