Die ersten vier Schulen in der Trägerschaft von örtlichen Nationalitätenselbstverwaltungen ziehen Bilanz
Von Richard Guth
Vor fünf Jahren hat das Sonntagsblatt die ersten vier Grundschulen, die von örtlichen Nationalitätenselbstverwaltungen übernommen wurden, einzeln vorgestellt. Nach fünf Jahren haben wir den Versuch unternommen die Schulen erneut zu kontaktieren und um eine Einschätzung zu bitten: Was wurde in den letzten fünf Jahren erreicht, wie ist die aktuelle Lage, haben sich Erwartungen der ersten Stunde erfüllt. In dieser Zeit gab es zumindest personelle Veränderungen – lediglich der Dorfschule Wetschesch/Vecsés steht die gleiche Leiterin vor, an allen anderen Schulen, in Neuhartian/Újhartyán, Taks/Taksony und Tscholnok/Csolnok gibt es neue Schulleiter und Schulleitungen.
Die Grundschule Neuhartian stand damals – kurz nach dem Trägerwechsel – vor großen Plänen: Man wollte einen gymnasialen Zweig aufbauen, was aber – wie es sich herausgestellt hat – einen erneuten Trägerwechsel (von der örtlichen zur Landesselbstverwaltung) bedeutet hätte. Auch die Kosten, die anfänglich auf 800 Millionen Forint (2,7 Millionen Euro) geschätzt wurden, explodierten und betrugen nach Angaben von László Bambuk, der die Leitung der Schule nach vier Jahren Stellvertretung 2019 übernahm, explodiert, auf 3,6 Milliarden (10,3 Millionen Euro), „ein zu großer Brocken für eine örtliche Nationalitätenselbstverwaltung”, so der Direktor.
Trotzdem hätte es Sinn ergeben, denn „die Schule hat eine große Anziehungskraft in der Umgebung”, nicht zuletzt, weil Neuhartian das Bild einer konsolidierten Ortschaft abgebe, wo Menschen leben würden, die sich an die Regeln hielten. So planen Schulleitung und Selbstverwaltung ein Wachstum auf Basis bestehender Strukturen: So soll zu den zwei Klassen pro Jahrgang eine dritte hinzukommen, was aber auf jeden Fall den Bau eines neuen Gebäudes bedeuten würde.
Das andere Vorhaben der ersten Stunden war die Erhöhung des Anteils des Unterrichts in deutscher Sprache – es blieb bislang nach Angaben des Schulleiters bei fünf Stunden und einer Volkskundestunde, also der klassischen sprachunterrichtenden Form. „Man muss sehen, dass Deutsch eine Fremdsprache für uns geworden ist, was unter anderem auf die Entwicklung in der kommunistischen Zeit mit ihren Einschränkungen beim Sprachgebrauch zurückzuführen ist. Zum anderen klagen viele Eltern darüber, dass die Kinder auch so zu viel Deutsch lernen müssten”, so Schulleiter Bambuk. Er setzt auf den Gebrauch der deutschen Sprache im Alltag über Grußformel und Anweisungen sowie durch deutschsprachige Zusatzangebote wie Camps und Handarbeitsaktivitäten. Er spricht davon, dass man damit am Anfang stünde, aber wie er sagt, wolle man „die zweisprachige Form einführen”, Gespräche mit der Nationalitätenselbstverwaltung darüber würden laufen.
Darüber hinaus will Bambuk die „Traditionspflege transformieren”, um die Schüler zu motivieren, und nennt dabei als Beispiel die Erstellung eines Tableaus zum Thema Ansiedlung, womit man dank der Augmentin-Technologie auf Smartphones 3D-Abbildungen aufrufen könne, so der Schulleiter, der im „Zivil” Informatiklehrer ist.
Bambuk bezeichnet die Zusammenarbeit mit dem Gemeinderat und der Deutschen Selbstverwaltung gut, wobei zwischen beiden Körperschaften weiterhin große personelle Überschneidungen bestünden. Die Finanzierung der Schule ist nach Worten des Schulleiters solide, dies gelte sowohl für Anschaffungen wie auch für Personalausgaben. Die Frage des Betreibens der Gebäude, die ab dem nächsten Jahr ins Eigentum der Nationalitätenselbstverwaltungen übergehen sollten, würde noch für Unsicherheiten sorgen.
Auch Kristina Sárdi, Schulleiterin der Nationalitätengrundschule Wetschesch, der Dorfschule, spricht von einem ausgeglichenen Haushalt, man hätte in den letzten Jahren vieles umsetzen können, so die Erneuerung des Sportplatzes und der Schulkantine, und man könnte auch Zuschüsse zu Auslandsfahrten und dem Einsatz eines muttersprachlichen Helfers beim Volkskundelager gewähren. „Man braucht aber eine gewisse Schülerzahl und ergänzende Fördergelder”, so Sárdi, die bereits beim ersten Interview Leiterin der Einrichtung war. Auch bezüglich der Versorgung mit Fachlehrern könne sich die Schulleiterin nicht klagen, wobei gerade in der Primarstufe eine Pensionierungswelle anrolle – sie hofft dabei auf die Sogwirkung der erhöhten Zulagen in diesem Bereich.
Die Schule hätte in den letzten Jahren nach Eindruck von Kristina Sárdi weiter an Attraktivität gewonnen, es gäbe mittlerweile Jahrgänge mit drei-vier Klassen, womit man auf eine Gesamtzahl von 460-480 Schülerinnen und Schülern komme. Sie führt dies mitunter auf die Einführung des Englischunterrichts in der Unter- und Mittelstufe (Klassen 5-8) mit je zwei Wochenstunden zurück – in den zweisprachigen Gruppen würde man die Schüler sogar dreistündig unterrichten. In der Primarstufe erstreckt sich der deutschsprachige Fachunterricht nach Angaben der Schulleiterin auf die Fächer Technik, Umweltkunde, Kunst, Musik und Tanz/Sport, in der Unter- und Mittelstufe auf Geschichte, Erdkunde und Musik. Dabei handele sich in keinem Jahrgang um ganze zweisprachige Klassen: Die Zahl der Teilnehmer am zweisprachigen Programm bewegt sich zwischen 12 und 20 pro Jahrgang – die Eltern haben nach der vierten Klasse die Möglichkeit, zwischen der Form „Sprachunterricht in 5+1 Stunden” oder der Fortführung der zweisprachigen Form zu entscheiden. „Viele haben Angst vor dem Fach Geschichte”, räumt die Schulleiterin ein, was dazu führe, dass es auch Gruppen gäbe, die nur Erdkunde in deutscher Sprache lernen würden. Dennoch würden fast alle die Stufe B1 des Deutschen Sprachdiploms erreichen (letztes Jahr 16 von 18 Prüfungskandidaten) – dabei ist die Teilnahme freiwillig.
Bei den weiterführenden Schulen führt nach Angaben von Sárdi die Form Gymnasium, wobei Deutsch nicht die einzige Priorität sei. Als Problem sieht die Schulleiterin an, dass viele Schulen in Deutsch nur Sprachanfängerkurse starten würden. Beliebt seien aber das Deutsche Nationalitätengymnasium (mit drei-vier ehemaligen Schülern pro Jahrgang) und zweisprachige Berufliche Gymnasien.
Wichtig findet Sárdi dabei die Netzwerkbildung im Kreise von Schulen in Trägerschaft deutscher Selbstverwaltungen – dafür stünden die Kontakte zu den Schulen in Neuhartian und Taks, was sich durch gegenseitige Hilfe manifestiere. Auch die Landesselbstverwaltung würde immer mehr die Rolle einer Koordinierungs- und Beratungsstelle übernehmen, die regelmäßig Informationsveranstaltungen anbieten würde.
Aus einem erzwungenen Netzwerk oder vielmehr Verbund von Schulen der Umgebung löste sich vor sechs Jahren die Nationalitätengrundschule Tscholnok, die seit einem Jahr in der Person von Josef Tafferner einen alten-neuen Schulleiter hat – der ehemalige Bürgermeister stand bereits zwischen 2001 und 2010 der Schule vor. „Die Schule scheint ihren alten Geist zurückzuerlangen, dank der Präsenz der Schulleitung. Es war eine Bitte der Trägerin, dass der Schulalltag von einer ruhigen Atmosphäre geprägt ist, und dies scheint erreicht zu sein”, schrieb Tafferner auf Anfrage des Sonntagsblattes, und spielte dabei auf das zerrüttete Verhältnis zwischen der vormaligen Schulleiterin und dem Lehrerkollegium an. In den letzten fünf Jahren verzeichnete man einen deutlichen Rückgang der Schülerzahlen von 220 auf 182, was immerhin eine Steigerung von acht Schülern in den letzten zwei Schuljahren bedeutet. Auch das Lehrerkollegium erlebte nach Tafferners Angaben einen Wandel in dieser Zeit: Langjährige Kolleginnen verließen die Schule, neue sind hinzugekommen, darunter auch welche mit Deutsch-Facultas.
Die Schule bietet seit Mitte der 1990er Jahre, als es noch zweisprachige Lerngruppen bei mehr als doppelt so vielen Schülern an damals zwei Standorten gab, die sprachunterrichtende Form 5 +1 Stunden an, hierbei sei die Versorgung mit Fachlehrern gesichtert – nicht so wie in den Fächern Biologie und Chemie, Mangelfächer im ganzen Land. Ergänzt würde der Deutschunterricht um Nationalitätenwettbewerbe, ein einwöchiges Sommerlager und Angebote der „Neue Zeitung”. Am Ende der achten Klasse nehmen die Schülerinnen und Schüler an Deutschen Sprachdiplomprüfungen teil und einige wechseln nach Angaben des Schulleiters auf das zweisprachige Friedrich-Schiller-Gymnasium in Werischwar.
Nach Angaben von Josef Tafferner konnten in den vergangenen sechs Jahren zahlreiche Investitionen getätigt werden, so wurde das gesamten Stromnetz der Schule sowie die Schülertoiletten erneuert und interaktive Tafeln und Computer angeschafft werden. Darüber hinaus erhielt die Schule aus dem staatlichen Sondertopf für Nationalitätenschulen 2019 28 Millionen (85.000 Euro) und 2020 50 Millionen Forint (130.000 Euro) für die Erneuerung der Heizung, der Ausbesserung des Daches und die energetische Sanierung des Schulgebäudes. Auch das Bundesministerium des Inneren half im Rahmen einer Ausschreibung mit Möbeln und elektronischen Geräten.
„Die im Vergleich zu staatlichen (KLIK-) Schulen großzügige Finanzierung von Nationalitätenschulen bietet für uns reichlich Chancen, um unsere Pläne umzusetzen”, sagt Matthias Kreisz, Vorsitzender der Deutschen Nationalitätenselbstverwaltung Taks. Auch Éva Szathmári, die seit diesem Jahr Leiterin der Deutschen Nationalitätengrundschule Taks, bestätigt diesen Eindruck und nennt Beispiele für umgesetzte Bauvorhaben wie die Runderneuerung des kleinen Pausenhofes und Invesitionen im EDV-Bereich, in deren Folge mittlerweile jeder Klassenraum über einen Computer und Beamer verfügt und viele über eine interaktive Tafel (Smartboard). Die Wahl 2019 brachte nach Worten des DNSVW-Vorsitzenden einen neuen Aufschwung bei der Investitionstätigkeit: In dem vergangenen Jahr wurden in Wert von 20 Millionen Forint (60.000 Euro) PVC-Böden ersetzt und Türen und Fenster ausgewechselt. Auch ein großes „Wahlsprechen” konnte nach Angaben von Kreisz eingelöst werden: Die Neuordnung des Caterings. Die Verköstigung der Schüler wurde vor einigen Jahren ausgelagert, so dass das Essen aus Kiskunlacháza aus einer Großküche angeliefert wurde, mit der Konsequenz, dass die Betriebskantine des Kindergartens, die zuvor sämtliche Einrichtungen in Taks bekochte, ungenutzt blieb. Mit der Kündigung des Vertrags mit der Firma in Kiskunlacháza setzte man auch auf eine Modernisierung im EDV-Bereich: Die Eltern können das Essen über eine Online-Plattform bestellen und bezahlen, sich über die Zutaten informieren, und auch Absagen sind elektronisch möglich. Die Kinder können ihr Essen in der runderneuerten Kantine mit Hilfe einer Chipkarte abholen. Auch im Herbst blieb es nach Angaben der Schulleitung nicht ruhig: Die Heizung wurde modernisiert, aus dem Programm für Bauvorhaben, das anstelle der programmorientierten Fördermaßnahmen aufgelegt und von der Landesselbstverwaltung koordiniert wurde (das Sonntagsblatt hat darüber berichtet). Nächstes Jahr stünde nach Kreisz das veraltete Stromnetz an, „wir wollen jedes Jahr 20-30 Millionen Forint investieren.” Auch die Errichtung eines neuen Gebäudeteils ist geplant, denn die Schule sei nach Angaben von Schulleiterin Szathmári weiterhin sehr beliebt, allen voran im Kreise von bildungsorientierten Eltern. Die Grundschule war 1989 erste der ersten, in den der zweisprachige Unterricht eingeführt wurde – auch heute noch gehört die Einrichtung zu den größten zweisprachigen Grundschulen im Land: Von den vier Klassen pro Jahrgang sind zwei billingual (in den beiden anderen lernen die Kinder Deutsch in 5+1 Stunden). Zweisprachig bedeutet in diesem Falle, dass in der Unter- und Mittelstufe die Fächer Biologie, Geografie, Sport und Musik in deutscher Sprache unterrichtet werden, Mathematik und Geschichte, die andererorts auf Deutsch unterrichtet werden, hingegen nicht, denn diese wären aufnahmeprüfungsrelevant, so die stellvertretende Schulleiterin Nora Wiedemann. Damit weist sie auf ein Problem hin, wonach es für die meisten Schüler der Abgang von der zweisprachigen Grundschule auch das Ende des zweisprachigen Unterrichts bedeutet, auch wenn dennoch zahlreiche Schülerinnen und Schüler auf das Lajos-Kossuth-Gymnasium oder das Deutsche Nationalitätengymnasium wechselten (beide im 20. Stadtbezirk von Budapest ansässig). Die Versorgung mit Grundschullehrern (Richtung Nationalitätenpädagogik) und mit Fachlehrern bezeichnet Wiedemann als gut, die solide Arbeit zeige sich unter anderem darin, dass immer mehr Abgänger Aufnahme an Budapester Elitegymnasien fänden. 60 – 70 % der Achtklässler in den zweisprachigen Klassen würden das Sprachniveau B1 erreichen, in den sprachunterrichtenden Klasse (5+1-Form) 20 %. Auch einige wagten sich an das höhere Niveau B2 heran. Einige der Schüler kommen aus binationalen Familien, wo sie zweisprachig aufwachsen, oder aus Familien, die eine zeitlang im deutschsprachigen Ausland lebten – ihre Deutschkenntnisse würden motivierend auf die Mitschüler auswirken. Die Mundart scheint hingegen nicht mehr präsent zu sein: „Ich hatte in den vierzig Jahren meiner Karriere nur eine einzige Schülerin mit schwäbischer Muttersprache”, erzählt Ildiko Tomana-Winkler, die lange Jahre die Grundschule leitete und jetzt Mitglied der Deutschen Selbstverwaltung ist.
Eine Herausforderung stellt aus Sicht der jetzigen Schulleiterin Éva Szathmári die Sogkraft der Hauptstadt dar, die mit ihren sechs- und achtjährigen Gymnasien Viert- und Sechstklässler anziehen würde. Betroffen hiervon wären in erster Linie aber nicht alteingesessene Takser, sondern Schüler aus anderen Orten. Neben dem zweisprachigen Unterricht versucht die Schule vielfältige Angebote zu unterbreiten: Dazu gehören das Sommersprachlager in Österreich, der Aussprachwettbewerb, das Schwabenlager mit Handwerk, Gesang, Gastronomie und Instrumentalmusik sowie der Martinstag unter Beteiligung der ganzen Gemeinde und das Adeventskonzert – letztere in der Organisation der deutschen Selbstverwaltung.
Konrektorin Wiedemann hebt im Gespräch den guten Kontakt zwischen der Schulleitung und der Deutschen Selbstverwaltung hervor, was der Umstand erleichtern würde, dass zwei Mitglieder der Selbstverwaltung als Lehrerinnen arbeiten. Auch jenseits des zweisprachigen Unterrichts bemüht sich die Schule nach eigenen Angaben um die deutsche Sprache: So wären Pausengespräche auf Deutsch keine Seltenheit und im Geschichtsunterricht beispielsweise würde man im Sinne des fächerverbindenden Unterrichts ungarndeutsche Themen behandeln, so Schulleiterin Szathmári, die Geschichtslehrerin ist. Auch der Kontakt zum Ungarndeutschen Bildungszentrum Baaja sei rege, und auch mit der deutschen Partnergemeinde plane man eine Vertiefung der Beziehungen auf schulischer Ebene, in Form von Schüler- und Lehreraustausch.
Bild: Tony Webster / flickr.com