Die Macher sind eine Minderheit in der Minderheit

Im Gespräch mit dem Filmemacher Udo Pörschke anlässlich seines aktuellen Films „Lissi – Portrait einer Ungarndeutschen“

Der Regisseur Udo Pörschke ist in Oberfranken, in einer Ortschaft in der Nähe von Bamberg aufgewachsen. Der bekennende Franke Pörschke stammt väterlicherseits aus Ostpreußen und mütterlicherseits aus Schlesien – und somit von den Vertreibungen auf familiärer Ebene betroffen. Dementsprechend wurde er in seiner Jugend auch mit dem von seinen Klassenkameraden zum Teil unterschiedlichen Hintergrund seines Elternhauses konfrontiert, als Beispiel sei die schlesische Küche genannt. Diese von seinen Mitschülern leicht abweichenden Prägungen seiner Familie haben in ihm die Fähigkeit entwickelt, die Bedeutung kleiner Nuancen im Alltag zu erkennen und sich mit diesen rasch auseinandersetzen zu können.

So auch rund 30 Jahre später, als er nach einem lehrreichen Aufenthalt als Lehrer in Mexiko-Stadt und wieder einigen Jahren in seiner näheren Heimat in Franken irgendwann mit seiner Ehefrau – die ebenfalls über eine pädagogische Ausbildung verfügt – in das südungarische Bonnhard/Bonyhad gezogen ist. Dort kam er auch mit den Traditionen des Deutschtums der östlichen Branau und des Talbodens in Austausch.

Die Schwäbische Türkei ist nach eigener Aussage inzwischen zu seiner zweiten Heimat geworden

Er schätzt die zuvorkommende Art der hiesigen Bevölkerung, mit der von zu Hause aus bekannten Genauigkeit und Sorgfältigkeit der hier tätigen Handwerker, und die direkte, freundliche Ansprache von den zu einem bedeutenden Teil deutschstämmigen Bewohnern der Gegend, vor allem den rund um Nadasch und Bonnhard herum.

An seinen neuen Landsleuten in der Region und im engeren Sinne an den hiesigen Donauschwaben – unabhängig von ihrer Muttersprache – schätzt der Filmemacher und Pädagoge Pörschke, wie sie den persönlichen Zugang und gemeinschaftserhaltende Veranstaltungen sowohl auf familiärer als auch auf der Ortsgemeinschafsebene bevorzugen. Eine Lebensweise, die ihn zum Teil an die Bundesrepublik der 1970er Jahre erinnere.

Die aktuelle Form der Kultursysteme in den zum Teil deutschsprachigen Dorfgemeinschaften wird jedoch mittelfristig nur sehr schwer zu erhalten sein

Diese Dorfgemeinschaften in ihrer aktuellen Form sind nämlich nach Pörschkes Beobachtungen einerseits dem seit Generationen bestehenden Assimilationsdruck, andererseits der sich veränderten wirtschaftlichen Struktur ausgesetzt: Die Amtssprache Ungarisch setze sich in den Ämtern und selbst bei den Organisationen der deutschen Minderheit durch, und der soziale Aufstieg der jungen Generationen setze eine Auswanderung, aber mindestens einen regelmäßigen Aufenthalt in den ungarischsprachigen regionalen Zentren wie Fünfkirchen oder Bonnhard voraus. Die jungen Leute, die über entsprechende Deutschkenntnisse verfügen, lassen nach Erfahrungen des Filmemachers die Potenziale reichlich ausschöpfen und nähmen ihre Chancen im Rahmen der Globalisierung zunächst in den Ländern des deutschsprachigen Raums wahr.

So oder so führten diese Vorgänge zu einer Schwächung der deutschsprachigen Gemeinschaft vor Ort. (Die gleichen Tendenzen zeichnen sich auch in den entsprechenden Ortschaften des Ofener Berglands und im Ungarischen Mittelgebirge ab. – Anm. des Redakteurs)

Es braucht ein Dorf, bis ein Kind erzogen wird.“

Es ist allerdings nach Pörschkes Auffassung von zentraler Bedeutung, in welcher gemeinschaftlichen Dynamik ein junger Angehöriger der deutschen Volksgruppe in Ungarn aufwächst. Ein wesentliches Element der Dorfstrukturen ist die (gemeinsame) Sprache. Was die Sprache anbelangt, lässt es laut Pörschke im Fall der Donauschwaben wenig Zweifel offen, dass zumindest der Dialekt in wenigen Jahren verloren gehe und nur noch in Tonaufnahmen und Hörbüchern zu hören sein würde. Beim Sprachgebrauch der (jungen) Ungarndeutschen werde nach aktueller Lage ganz die ungarische Sprache dominieren. Mit der Sprache, die verloren geht, ginge auch ein Stück Kultur verloren, bestimmte Möglichkeiten der authentischen Entfaltung eigener Kultur blieben auf der Strecke.

Was wird also in der Zukunft ein Dorf wie Nadasch/Mecseknádasd von den anderen Dörfern Ungarns unterscheiden?

Es ist für ihn allerdings klar, dass ein Stück des Kulturlebens dieser Dörfer immer anders bleiben würde als das der Dörfer, deren Einwohner mehrheitlich ungarischer (madjarischer) Herkunft sind. Ein klassischer Unterschied bliebe die Tracht, oder unter Umständen die Art der Musik, die es auf traditionellen Dorffesten bei entsprechendem Zuspruch der Bevölkerung weiterhin zu hören sein würde.

Die Runde der Betroffenen der deutschen Sprache und Kultur im engeren Sinne werde im Zuge des beschriebenen Wandels aber immer kleiner.

Sollte sich ein junger Ungarndeutscher für diese Kultur engagieren, so befindet er sich nach Pörschke rasch als Teil einer ganz kleinen Nische solcher, die sich im Gegenteil zu ihren älteren Volksgenossen kulturtechnisch nicht ausschließlich mit der Vergangenheit und dem Leidensweg ihrer Gemeinschaft oder mit der traditionellen folkloristischen Traditionspflege beschäftigen wollen.

Die Macher sind eine Minderheit in der Minderheit

Wenn man sieht, wie viele junge Ungarndeutsche die Sprache beherrschen und sich für ihre Gemeinschaft einsetzen, die Kultur prägen werden, stellen sich für den Filmemacher weitere Fragen:

Wo wird man in 20 Jahren sein? Leute, die ihre Möglichkeiten wahrnehmen, ziehen im Zuge der Globalisierung oft weg. Leute suchen sich verständlicherweise ein besseres Leben, das werde im Fall der jungen, handlungsfähigen Ungarndeutschen auch nicht anders sein. Inwiefern kann eine von bäuerlichen Charakteristika geprägte Dorfkultur von Leuten hochgehalten werden, die mittlerweile in den Ballungszentren Deutschlands und Österreichs, in dem glücklichsten realistischen Fall in ungarischen Städtel leben und das Dorf nur noch zu Verwandtschaftsbesuchen aufsuchen?

Jeder, der sein Heimatort verlässt, hat es nach Pörschke umso schwieriger, die Kultur seiner Ortschaft beizubehalten. Auch die Gemeinschaft habe vor Ort einen aktiven Kulturträger weniger. Man werde nach Pörschkes Auffassung auch in der Zukunft die Möglichkeiten wahrnehmen, die vor einem offenstehen. In der neuen, städtischen Lebensweise der aus den donauschwäbischen Dörfern stammenden Bevölkerung gäbe es natürlich auch noch Möglichkeiten, ihre ursprüngliche Kultur zu pflegen. Auch regionale Zentren verfügen über deutsche Kulturvereine und Organisationen. Man könne sich gegebenenfalls in einem entsprechenden sozialen Kreis bewegen. In vielen Fällen könnte der künftige Gatt, oder die künftige Gattin ähnliche Herkunft haben und dementsprechend offen für die Beibehaltung dieser Kultur sein.

Die wichtigsten Träger der donauschwäbischen Kultur sind nicht die Bildungsinstitutionen, sondern die Familien selbst

Genauer gesagt die Eltern, denn sie bestimmen nach Auffassung Pörschkes die Sprachnutzung, Erinnerungskultur und Wertestruktur der Familie und somit mittelfristig die der Volksgruppe. Organisationen der Ungarndeutschen wären nur ein ergänzendes, aber ohne die Familienkultur zum Scheitern verurteiltes Beiwerk.

Geht es um die donauschwäbische Kultur im herkömmlichen Sinne, bekommt man oft zu hören, dass „die guten alten Zeiten vorbei sind“

Was mit den guten alten Zeiten denn genau gemeint ist, lässt sich für den Geschichtslehrer Pörschke herzlich schwer erschließen, denn die Zeit des Kalten Krieges mit allen dazu gehörenden Erscheinungen konnte doch nicht allzu ansprechend sein.

So oder so, die Abwanderung aus den Dörfern und die sich globalisierende Welt sind laut Pörschke eine Entwicklung, wie alle andere, die auch die ungarndeutsche Gemeinschaft betrifft, und die wir nicht mehr rückgängig machen könnten. Ähnlich gehe es auch sonstigen bekannten Volksgruppen in einer Minderheitenlage wie den First Nations in den USA, den Christen im Iran etc.

Die offene Welt würde genutzt, und das sei ein Weg, der die Lage der Minderheitenkulturen momentan negativ beeinflusse. In der aktuellen Form würde der Kulturerhalt, wie schon erwähnt, schwierig sein. Umso wichtiger ist es nach Auffassung des Filmemachers, dass die Generation, die sich zu ihrer Herkunft bewusst bekennt und diese auch erhalten möchte, nicht die Fehler ihrer Vorgeneration wiederholt.

Eine Generation, die in einem zusammenwachsenden Europa nicht den vergangenen Zeiten nachjammert, sondern neue Wege nutzt

Für Pörschke steht fest: Es ist eine Generation, die auch die neuen Medien nutzt. Eine Generation, die bereit ist, sich nicht mehr nur mit der Kultur ihrer Dorfgemeinschaft zu beschäftigen, sondern sich für diese auch im breiteren Kontext zu engagieren.

Wir müssen die Form der Kultur, die es zu erhalten gilt, anpassen, denn dies ist hierzu die einzige Möglichkeit

Wie sich die Mediennutzung ändert, so ändern sich auch Formen der Informationsweitergabe. Es liege dabei an den Betroffenen, in welcher Form sie in der Zukunft es für Sinnvoll halten, der eigenen Herkunft eine Wichtigkeit zu geben, ihre eigenen Projekte zu gestalten, an Maßnahmen mitzumachen.

Auch in den Ortschaften, die sie durch die Wahrnehmung ihrer Chancen verlassen, würde ihr Platz unbesetzt bleiben – Pörschke bringt hierbei ein konkretes Beispiel: Nadasch hat eine Volkstanzgruppe, deren Mitglieder zum größten Teil unter der Woche in Budapest arbeiten. Am Wochenende sind sie zu Hause, denn am Wochenende würden sie dort gebraucht. Unter der Woche wären sie allerdings Ungarn unter Ungarn (Anmerkung des Redakteurs: Madjaren unter Madjaren). In Nadasch komme allerdings der Sinn ihres Lebens im kulturellen Sinne zur Geltung.

Es ist aber wichtig, so Pörschke, dass sie an Orten ihrer neuen Lebensmittelpunkte eine überlebensfähige Weitegabe ihrer Kultur etablieren. Orte zum Aufblühen, Orte, wo man ohne Probleme Deutsch sprechen kann. Eine Zukunftsperspektive hätte die authentische donauschwäbische Lebensweise nur dort, wo sie die Gegebenheiten unserer Zeiten adaptierten.

Das Gespräch wurde geführt von Matthäus Rauschenberger.

Beitragsbild: https://www.autorenkreis-wuerzburg.de/mitglieder/udo-poerschke/

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