Altbischof Michael Mayer im Sonntagsblatt-Weihnachtsgespräch
Von Richard Guth
Ende Januar feiert der aus Kleindorog/Kisdorog stammende ehemalige Diözesanbischof von Fünfkirchen, Michael Mayer, seinen 80. Geburtstag. Der Geistliche gehört seit Jahren zu unseren treuesten Lesern – aus Anlass des runden Geburtstages sprach das Sonntagsblatt mit dem in Kokrsch/Kakasd lebenden und dienenden ehemaligen Oberhirten.
„Wenn Sie mich fragen, dann muss ich festhalten: Ich bin 1941 in einem deutschen Dorf geboren, wuchs aber in einem gemischten Dorf auf”, sagt Michael Mayer zu Beginn des Gesprächs, und meint die großen Umwälzungen in der Tolnauer Gemeinde Kleindorog/Kisdorog Mitte und Ende der 1940er Jahre: 1945 kamen nach seinen Angaben Bukowinasekler und Menschen von der Tiefebene in den Ort, an die Stelle der Deutschen, die bis 1948 aus Kleindorog vertrieben wurden. „Der Rest der Deutschen wurde in diesem Jahr in die DDR vertrieben, mit einem Großteil bin ich selber verwandt”, erzählt der 79-jährige Geistliche. „Bis 1945 war ich Dialektsprecher, ab 1945 hingegen mit den Bukowinaseklern aufgewachsen und dabei mir deren Sprache angeeignet”, erinnert sich Mayer. Als er 1947 in die Schule kam, war alles auf Ungarisch – und das bekannte Muster galt auch in der Familie Klein: Der Junge deutscher Muttersprache redete seine Eltern auf Ungarisch an, diese sprachen mit ihm deutsch, genauer gesagt allemannisch – die Situation war nach Eindruck des Altbischofs in der Tolnau anders als in der Branau, aufgrund der regelrechten „ethnischen Säuberung” der Region und der höheren Zahl der Neuansiedler („telepesek”). Und noch ein anderer Faktor begünstigte den Sprachverlust in Kleindorog: Um Bonnhard herum waren die Bukowinasekler und die Madjaren aus dem ehemaligen Oberungarn katholisch, neben den verbliebenen Deutschen, die nun in der Minderheit waren – so sangen in der Kirche nun alle auf Ungarisch, erst 1964 erklangen nach Mayers Erinnerungen zum ersten Mal wieder deutsche Kirchenlieder. „Auch bei den Evangelischen gab es Vertreibung, aber es kamen kaum Neusiedler dazu, deswegen blieb die Liturgie auch lange deutschsprachig”, so der katholische Geistliche.
1947 kam Michael Mayer in die damals noch katholische Schule, die aber ein Jahr später verstaatlicht wurde, und machte interessante Beobachtungen: 1947 hingen noch in jedem Klassenzimmer Kruzifix und Corpus, in der zweiten Klasse nur noch das Kreuz, in der dritten Klasse hingegen keins von beiden. Integration bedeutete für die verbliebenen Deutschen ein „Eiverleiben” durch die nun madjarische Mehrheit. Deutsch hatte zu der damaligen Zeit laut Mayer keinen institutionellen Status und keine Führungsfiguren, was diesen Prozess begünstigte. Auch als Christ lebte sich immer schwieriger: „Als die Pionierbewegung gegründet wurde, sagte meine Mutter: Wir waren auch nicht in der Hitlerjugend, deswegen wirst du auch kein Pionier.” Das hatte Folgen: Michael Mayer schaffte es nur im Rahmen eines Ersatzverfahrens aufs Gymnasium.
Bei der Entscheidung, Priester zu werden, spielte die Religiosität der Familie eine entscheidende Rolle – es wurde nach Erinnerungen des Geistlichen gemeinsam gebetet, auch für den Vater, der in der Sowjetunion Malenkij robot leistete. Auch Geistliche aus Kleindorog, so der gleichnamige vertriebene, aber heimgekehrte Michael Klein oder János Jónás, der aus dem ehemaligen Oberungarn stammte, oder Artur Stockinger (1961 geweiht) hatten ihren Anteil, so sei für ihn das Priesteramt nicht unbekannt gewesen. In der Gymnasialzeit prägten ihn Adam Fritschi, ein ehemaliger Jesuitenpater, der nach der Auflösung des Ordens als Küster in Bonnhard arbeitete und der Cousin des langjährigen Kleindoroger Pfarrers Josef Szinger war, den Mayer als einen menschlichen Pfarrer in Erinnerung hat, oder auch die Begegnung mit dem aus Apatin stammenden Abtpfarrer Josef Pór (Bauer) in Bonnhard – 1964 diente Mayer nach seiner Priesterweihe einen Monat bei ihm, der als aktiver „hűhás” über die Treuebewegung-Bewegung berichtete, die ihr Zentrum im Talboden (Völgység) hatte. 1956 machte Mayer eine interessante Erfahrung: Zur Wiedereinführung des Religionsunterrichts seien alle erschienen, genauso wie ein Jahr später, als der Kommunistische Jugendbund KISZ gegründet wurde, was für ihn zeigt, dass es leicht wäre, sich zur Religon zu bekennen, wenn man Vorteile davon hat. 1959 begann er in Raab sein Theologiestudium, was für ihn auch eine gründlichere Auseinandersetzung mit der deutschen Sprache bedeutete, gewissermaßen autodidaktisch, denn bis auf ein halbes Jahr am Gymnasium 1956 hatte er nie Deutschunterricht. „Den Wurzel der Wörter habe ich dank meiner allemanischen Muttersprache stets erkannt – so habe auch Bayerisch verstanden, was in der Vergangenheit immer auf Verwunderung in Deutschland stoß.”
Die Hoffnung, dass er als Priester in die Branau kommt, wo er seine Deutschkenntnisse hätte weiterentwickeln können, verflogen sich nach eigenen Angaben rasch: Er diente bis zu seiner Ernennung zum 81. Bischof von Fünfkirchen stets in madjarischen oder madjarisch dominierten Gemeinden, so in Simontornya, Pincehely, Tamási (wo er unter anderem Roma unterrichtete), Dunaföldvár und Sexard. Er erinnert sich an diese Zeit als eine, in der man immer vorsichtig sein musste, aber in der es oft auf die Integrität und Autorität des Pfarrers, wie des von Dunaföldvár, ankam, der doch auch gute Kontakte zu der Parteielite vor Ort pflegte. Auch die Schickanen der Beamten vom Staatlichen Kirchenamt (Állami Egyházügyi Hivatal) sind noch in Erinnerung geblieben, die ihn bei seiner Versetzung nach Sexard alles andere als herzlich empfangen: „Wir wollten niemals, dass Sie nach Sexard kommen”, so ein Beamter gegenüber Mayer.
Es war für ihn wie eine Überraschung, als er 1989 von Kardinalprimas László Paskai von seiner Ernennung unterrichtet wurde. Überraschend, denn erinnerte sich noch an die Weigerung von seinem Vorgänger Cserháti ihn zum Pfarrer von Dunaföldvár zu ernennen. Man hätte ihm dabei nach eigenen Angaben darüber informiert, dass man weiterhin beabsichtige den Bischof von Fünfkirchen fernzusteuern, worauf der 48-Jährige entgegnete: „Der Heilige Geist will, dass ich bei der Arbeit selbst bin.” Eine mutige Aussage, so Mayer, denn damals hätten die Bistümer keine eigenen Einnahmen gehabt.
Er erinnert sich an die Zeit auch aus Sicht der deutschen Minderheit als eine Aufbruchszeit: „Lorenz Kerner organisierte damals die erste deutschsprachige Messe in Sexard, es begannen deutsche Wallfahrten im In- und Ausland, so nach Mariajud/Máriagyűd, Keimend/Máriakéménd und Altötting in Oberbayern. Diese haben die Tolnauer und Branauer zusammengebracht. Auch das auch heute noch lebendige Adventssingen, das jedes Jahr woanders stattfindet, ist in dieser Wendezeit entstanden.” Was er schon immer beanstandete, war bzw. die Tatsache, dass die Kinder in der Schule zwar Deutsch lernen und wie er sagt, ganz gute Kenntnisse erwerben würden, aber dass man es nicht erreicht habe, deutschsprachigen Religionsunterricht anzubieten (was beispielsweise bei den Fünfkirchener Kroaten durchaus gegeben wäre). „Wie soll daraus deutschsprachige Liturgie mit Predigt erwachsen?”, stellt Mayer die Frage. Damals hätte man sogar das Problem gehabt, keine liturgischen Bücher zu besitzen. „Wir lesen zwar Messen, aber trauen uns nicht, frei zu sprechen”, gewährt der Altbischof in die Psychologie des Fehlens deutschsprachiger Predigten – neben fehlenden Sprachkenntnissen bei vielen als weiterer Faktor – einen Einblick. Dass es anders geht, zeigt ein Erlebnis aus Maria-Radna im Banat. Mayer war damals als junger Kaplan in Rumänien unterwegs, wo er eine Kirche erblickte. Er war nach eigenen Angaben die ganze Zeit am Überlegen, wie er auf Latein den Grund seines Kommens erklären könnte, als er in der Sakristei die Kinder hörte, die sich auf Deutsch unterhielten. „Die deutsche Sprache ist im Banat bis heute erhalten geblieben, eine ganz andere Entwicklung als bei uns. So sprach und betete Altbischof Martin Roos, der Vorgänger des jetzigen Bischof Csaba-Josef Pál, der als Sekler selber dreisprachig ist, mit seinen Priesterkollegen auf Deutsch. Dreisprachig zu sein ist dort selbstverständlich.” Daher stellt sich für ihn die Frage, ob die Deutschen so leben könnten, wie man es den Madjaren außerhalb der Landesgrenzen wünscht. Auch hier gälte es: Ohne Schule und Führungsschicht könne man keine kleine Gemeinschaft wie das Ungarndeutschtum erhalten. Selbstkritisch merkte er an, dass man als Einzelner keine Wunder bewirken konnte.
„Ich war der Anfang”, so erinnert sich der Altbischof an die Umstände seiner Abdankung 2011. Man habe sich eine liberale Linie gewünscht und führte eine Medienkampagne, was einem Rufmord geähnelt hätte, so Mayer. Als er das Gefühl hatte, dass sich niemand hinter ihn stellte, auch nicht der Nuntius, und „alle zwei Wochen Beschwerdebriefe kamen, entschied ich mich dafür, als einfacher Priester weiterzumachen. Man hat mir dazu geraten, nach Deutschland zur Kur zu gehen, aber ich habe nichts zu verstecken, so blieb ich auch hier.”
Dieses Leben sei eines nach einem festen Tagesplan: Gegen 5:30 – 6:00 Aufstehen, danach Beichte abnehmen, 7:00 Messe, 8:00 Frühstück, danach Gebet, Lesen, Mails checken, nach dem Mittagsessen Siesta, Lesen, Abendessen und Nachruhe. Zweimal pro Woche liest er statt der Frühmesse eine Abendmesse, Er hat nach eigenem Bekunden Glück, von einer Schwester versorgt zu werden. „Ich bin weder Bischof noch Pfarrer noch Kaplan und auch nicht verbittert”, so der Geistliche.
Auf die Frage, was die größten Herausforderungen für die Kirche der Gegenwart seien, antwortet er mit einer Frage und beantwortet diese gleich: „Gibt es einen Priester- oder Mitgliedermangel? Wahrscheinlich beides. Die Pfarrer müssen bis zu 17 Pfarreien betreuen. Nach der alten Methode geht es daher nicht mehr, da sie einmal im Monat oder alle sechs Wochen Heilige Messen in den Ortschaften feiern.” Vor 1945 dienten nach Angaben von Mayer 480 Priester und Ordensleute im Bistum – bis zum Jahr seiner Ernennung sank diese Zahl auf 140. Gegenwärtig dienten nur noch 60-65 katholische Priester im von dem Heiligen Stephan gegründeten Bistum. Nach Eindruck des Altbischofs würde die Kirche seit Jahrzehnten diffarmiert, ihr Ansehen in Frage gestellt – man spüre einen großen Gegenwind. Er wisse dabei um die Missbrauchsfälle in der Kirche, denn jedes System hätte schwache Glieder – aber man möge bedenken, dass diese hohe Zahl an Fällen das Produkt von 70 Jahren gewesen seien. Dabei würden die immer zahlreich werdenden katholischen Schulen dabei helfen, „die Wahrheit ans Licht zu bringen.” Michael Mayer bringt im Gespräch seine „Verzweiflung” angesichts der deutschen Verhältnisse zum Ausdruck, was er mit den Begriffen „Gender” und „Synodaler Weg” beschreibt. „Wenn sich die Elite in diesem Zustand befindet, wo kommt die Gesellschaft hin?”, fragt er anschließend.
Als Botschaft für Weihnachten will der Geistliche den Unterschied zwischen Kultur, was für ihn innere Freude bedeutet, und Zivilisation, gleichbedeutend mit technischem Fortschritt, Gegenständen, die einem das Leben erleichtern würden, herausstellen. „Wenn man an Weihnachten denkt, dann soll nicht der Konsum im Vordergrund stehen. Der Weihnachtsmarkt ist nur Zivilisation, was uns letztendlich nicht glücklich macht. Man soll hingegen Weihnachten aktiv erleben, indem man gemeinsam ein Vaterunser betet und Jesus nicht nur aus Büchern kennt. Das ist für mich „seelisch konsumieren”, mit Jesus leben.” Michael Mayer ruft in Gespräch Weihnachten in seiner Kindheit in Erinnerung, gezeichnet vom Beten vor bescheidener Kulisse mit dem Höhepunkt Christmette, denn der Inhalt sei wichtig, eine Werteordnung mit der Liebe im Mittelpunkt, gerade in Zeiten, in den die Welt vor großen Herausforderungen stünde.
Bild: Bistum Fünfkirchen