Von Armin Stein
In dieser Ausgabe der Rubrik handelt es sich im Gegensatz zu den bisherigen Beiträgen nicht um einen Film über Ungarndeutsche oder Minderheiten. Diese Ausgabe der Rubrik Filmkritik entstand mit dem Sinn den Opfern des Aufstandes von 1956 und allen Kämpfern gegen Diktatur und Willkürherrschaft zu gedenken. Der Film von Lars Kraume erzählt uns anhand einer wahren Geschichte die Reaktionen ostdeutscher Gymnasiasten auf die Ereignisse des Freiheitskampfes in Ungarn und zu welchen Taten und Schicksalen der idealistische Freiheitswille der Jugendlichen und das Bangen um die eigene Existenz eines unmenschlichen Systems führen.
Zwei Seiten, zwei Geschichten
Die Abiturienten Theo und Kurt erfahren während eines heimlichen Kinobesuchs im westlichen Sektor Berlins, dass in Ungarn Massendemonstrationen gegen die Regierung ausgebrochen sind. Auch nach ihrer Rückkehr in die DDR lässt sie das Gesehene nicht los. Mit dem Vergehen der Tage erfährt die Abiturienten-Klasse immer mehr über die Lage in Ungarn. Sie informieren sich aus zwei Quellen, dem West-Sender RIAS und den Ost-Medien, wobei beide grundverschiedene Versionen der Ereignisse schildern. Kurt schlägt vor eine Schweigeminute während einer Unterrichtsstunde zu halten, wozu sich seine Klassenkameraden nach einer demokratischen Abstimmung entschließen. Die Idee der Jugendlichen gerät jedoch schnell außer Kontrolle, und ehe sie es merken, arbeiten bereits alle Ebenen des paranoiden Staatsapparates daran sie wieder auf Linie zu bringen. Die Geschehnisse schlagen mit jedem Tag größere Wellen und zeigen den Erwachsenen, die sich um ihre Kinder sorgen, auf, dass in einer Welt nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Aufstand von 1953 niemand wirklich unschuldig ist.
Solidarität und Naivität
Schon in seinen ersten Minuten stellt sich dem Zuschauer eine Frage. Wieso spüren die Abiturienten, dass sie sich solidarisch zeigen müssen? Die Antwort darauf ist zweifaltig. Einerseits ist es der Idealismus der noch jungen Generation, die mit dem Willen eine bessere Welt zu schaffen auch bereit ist scheinbar naive und selbstgefährdende Entscheidungen zu treffen, wenn diese ihren moralischen Vorstellungen entsprechen. Die Jugendlichen unterscheiden sich in diesem Aspekt in keiner Weise von den aufständischen Arbeitern und Studenten der ungarischen Hauptstadt. Der Gedanke von einem Leben in Freiheit mag Jahrtausende alt sein, veraltet wird er jedoch nie sein. Anderseits bewegt die Schüler auch die Solidarität zu ihren Altersgenossen auf der Straße. Doch nicht allein ihr Alter verbindet sie mit den jungen Demonstranten und Arbeitern in Ungarn, tausende weitere Gemeinsamkeiten verbinden sie, von Fußballidolen bis zum Musikgeschmack können oft die banalsten Gemeinsamkeiten die größte Empathie hervorrufen, und das zeigt, dass man gar nicht so verschieden ist.
Allein im roten Meer?
Bei der Erinnerung an den Volksaufstand von 1956 nehmen immer die Ereignisse von Budapest, der Heroismus der Freiheitskämpfer und die politischen Entscheidungen die Hauptrolle ein. Von Europa und den USA kann man meistens nur hören, sie hätten Ungarn im Stich gelassen oder wären mit der Suez-Krise beschäftigt gewesen. Die Hintergründe der politischen Handlungen der westlichen Staaten sind somit die einzige Erwähnung westlicher Reaktionen auf den Volksaufstand. In einem vereinten und brüderlichen Europa ist es jedoch unerlässlich sich nicht nur an Reaktionen von der politischen Ebene zu erinnern, sondern auch an die der Zeitzeugen. An genau die Menschen, die uns im Film vorgestellt werden, die fähig sind auch in Not und Unterdrückung gegenüber des anderen Freiheitswunsch Empathie zu zeigen.
Ein Ausrufezeichen
Nachdem der Film zu Ende war, fiel es mir schwer mit dem Gesehenen abzuschließen. Die Schüler müssen entweder auf das Abitur verzichten oder in den Westen fliehen, der Aufstand in Ungarn wird niedergeschlagen. Nicht, dass dies eine Überraschung gewesen wäre, die Chancen standen von Anfang an denkbar schlecht. Aus diesem Grund konnte ich auch die in mir aufkeimenden Gefühle der Sinnlosigkeit dieser Widerstände nur schwer unterdrücken. Doch allmählich, wie ich immer wieder über das Gesehene grübelte, fiel mir auf, dass der Widerstand nie wirklich endete. Natürlich, die Waffen schwiegen und auch in den Klassenzimmern von Stalinstadt wurde wieder auf Fragen geantwortet, dies bedeutete jedoch nicht das Ende, sondern nur den Abschluss eines Kapitels im Ringen um Selbstbestimmung. Denn der Widerstand gegenüber Diktatur blieb bis zu ihrem Fall in verschiedensten Formen bestehen, egal ob die Brüder des Waldes im Baltikum, Studenten mit illegalen Flugblättern oder eben „Republikflüchtlinge“, sie alle waren die Sandkörner, die letztendlich dem Untergang des Unrechtssystems beitrugen.
Werte bleiben ewig, Taten müssen stets widerholt werden
Zum Abschluss meines Artikels würde ich am liebsten schreiben, dass endlich Frieden und Freiheit eingekehrt sind. Jedoch ist dem leider nicht so, auch heute werden noch in Europa Menschen, die für Demokratie demonstrieren, von Polizisten drangsaliert, während in unseren Demokratien das Interesse am Erhalten dieser Garanten von Recht und Freiheit schwindet. Aus diesen Gründen ist es notwendig den Geist von 1956 immer und immer wieder heraufzubeschwören, denn Freiheit und Gerechtigkeit können nur von willigen und mutigen Bürgern erhalten werden.
Bild: flickr.com/Hubert Burda Media