Von Richard Guth
„Vergangenheit hat Zukunft“ – mit diesem Motto wurde der Ungarndeutsche Lehrpfad Ende September auf dem Gelände des Ungarndeutschen Bildungszentrums Baaja eingeweiht. Dieser Lehrpfad ist der neunte in der Reihe und „der mit Informationsschildern, interaktiven Elementen und einem Begleitheft versehene thematische Weg erzählt anhand des Leitmotivs „Gemeinschaft“ über Ansiedlung, traditionelle Funktionen der Familie, Zusammenleben in einer Dorfgemeinschaft, Lebensunterhalt, Muttersprache, Religionsgemeinschaften und moderne Gemeinschaftsformen der ungarndeutschen Volksgruppe, sowie über zukunftsweisende Wege für eine nachhaltige Traditionspflege und ungarndeutsche Identität”, so der Pressebericht der LdU anlässlich des Ereignisses. Vier der Lehrpfade stehen in Nordungarn, vier im Süden. Das von dem BMI geförderte Projekt verfügt über eine ansehnliche Seite mit Text- und Bildmaterial (lehrpfad.hu).
Die Vorbereitung des Projekts startete bereits 2014 und hatte zum Ziel „anhand eines konkreten Projekts (…) dem Gemeinschaftsleben Schwung (…)” zu geben, „wobei vor Ort etwas Wertvolles und Handgreifliches entsteht.” An anderer Stelle spricht man von einer regionalen Fördermaßnahme.
Ich durfte vor einem Jahr einen dieser von der Dozentin für Germanistik Dr. Maria Erb fachlich federführend betreuten Lehrpfade in Sanktiwan bei Ofen besuchen: Zweisprachige Schilder, die über Personen berichten, denen verschiedene Tugenden zugeschrieben werden wie Keuschheit, Fleiß oder Demut zugeschrieben werden. Wohlplatziert im Zentrum des Ortes springen die Schilder ins Auge und geben in der Tat, ohne eine Führung zu benötigen (was angeboten wird), einen Einblick in Vergangenheit, Traditionen und Gegenwart des Ortes. Das Besondere am Lehrpfadprojekt ist es dabei, dass an jedem Ort unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden: So stehen in Schomberg, beim zuerst übergebenen Lehrpfad, die Vergangenheit und Gegenwart der Deutschen im Ort im Fokus des Interesses, in Feked hingegen die Baukunst und in Tscholnok beispielsweise die Kneipenkultur. Treffend sagte der verstorbene LdU-Vorsitzende Otto Heinek 2016 bei der Übergabe des Lehrpfades in Sanktiwan, dass all unsere Ortschaften ihre eigene Identität, ihre Besonderheiten haben, an denen wir manchmal vorbeigehen.”
Für den kritischen Sonntagsblatt-Leser stellt sich die Frage, welches Potenzial diese Investitionen haben. Ein touristisches auf alle Fälle, wenngleich wahrscheinlich nicht davon auszugehen ist, dass der Lehrpfad Massen anziehen wird. Die Projektpartner verpflichten sich, sich in den kommenden Jahren um den Erhalt des jeweiligen Pfades zu kümmern. Das kann durchaus zur innerkommunalen Kooperation beitragen, ohne Zweifel. Zum Dritten dürfte das dem Volkskundeunterricht zugutekommen, hoffentlich nicht nur dem der Schulen der Umgebung, sondern des ganzen Landes. Zum Letzten könnten solche Lehrpfade als Ausdruck der kulturellen Identität des Ortes stärken.
Aber Gegenstände erhalten nur dann eine gemeinschaftliche Funktion, wenn diese auch authentisch wirken. Die auf den Tafeln dargestellten Sachverhalte gehören größtenteils der Vergangenheit an. Die Frage ist nun, inwiefern die Gemeinschaft diesem Erbe eine Gegenwarts- und Zukunftsrelevanz verleihen und diese öffentlich artikulieren kann. Angesichts der Defizite auf dem Gebiet Identität und Sprachgebrauch stehen wir ganz sicher am Beginn dieses Prozesses oder – stilgerecht gesagt – Weges.