Was ist im Leben überhaupt wichtig? – Ostergespräch mit Pfarrer Zsolt Szilvágyi, Bistum Temeswar

SB: Herr Pfarrer, die Corona-Krise hat zu einer Umstellung der Seelsorge im Bistum Temeswar geführt. Sie übertragen beispielsweise die Heiligen Messen aus Temeswar-Josefstadt live über Ihre Facebook-Seite – was hat sich dadurch verändert und welche Erfahrungen haben Sie mit dieser neuen Form der „digitalen” Seelsorge gesammelt?

ZSSZ: Wir durften die Hl. Messen am 22. März für die kommende Zeit zum letzen Mal mit den anwesenden Gläubigen zelebrieren. Auch diese Gottesdienste fanden bereits auf dem Hof des Pfarrhauses statt und daran durften nicht mehr als 50 Leute teilnehmen. Seitdem übertragen wir jeden Tag die Hl. Messen und einige Andachten per Facebook. Ja, die Epidemie hat auch die Seelsorge vor neue Herausforderungen gestellt. Wir halten die Gottesdienste praktisch vor einem Telefon. Ich denke aber daran, dass die Menschen in ihren Wohnungen bei dieser Messe dabei sind. Sehr viele Menschen werden durch diese geistlichen Gelegenheiten in ihrer Beziehung zu Gott gestärkt und erfahren seelischen Trost. Die neue pastorale Situation ist nicht nur eine Beschränkung, sondern auch eine Chance. Wir sehen, dass relativ viele Menschen (bei manchen Gottesdiensten 200-300 Menschen) uns verfolgen. Manchmal bekommen wir Rückmeldungen von Menschen aus unserer Umgebung, zu denen wir als Kirchengemeinde keinen Kontakt hatten. Manchmal melden sich Menschen aus einem anderen Land oder sogar einem anderem Kontinent, wie zum Beispiel Australien. Ich erfahre, dass wenn wir den Willen Gottes suchen und ihn erfüllen wollen, dann kann er aus einer traurigen Situation wie diese Epidemie etwas Gutes hervorbringen, auch in der kirchlichen Seelsorge.

SB: Sie sind Angehöriger der ungarischen Minderheit, aber das Gespräch führen wir auf Deutsch – wo haben Sie die deutsche Sprache erlernt?

ZSSZ: Ich gehöre der ungarischen Minderheit in Rumänien an. In meiner Kindheit bin ich fast ausschließlich mit der ungarischen Sprache aufgewachsen. Auch die rumänische Staatssprache musste ich erst in der Schule erlernen. In meiner Umgebung sprach niemand Deutsch. Ich wusste aber, dass ich für meine Berufung als Priester in der Diözese Temeswar auch die deutsche Sprache brauchen werde. Deshalb habe ich in der 11. Klasse der Mittelschule angefangen Deutsch privat zu lernen. Meine Sprachkenntnisse habe ich aber während meines Theologiestudiums in Deutschland, in Fulda, verbessert. Ich habe drei und halb Jahre lang in Deutschland studiert. Eine Sprache vollständig zu erlernen geschieht nur in Ausnahmefällen. Ich mache natürlich auch Fehler. Für mich ist es aber wichtig, dass ich die deutschsprachigen Gläubigen unserer Gemeinde in ihrer Muttersprache ansprechen kann und ihnen das Wort Gottes in ihrer Sprache verkünden kann.

SB: Vor einigen Monaten haben wir uns mit der Seelsorge im Bistum Temeswar beschäftigt – Apropos war ein Gottesdienstplan der Kathedrale in Temeswar. Auch Sie bieten Gottesdienste in drei Sprachen an, dennoch überwiegen rumänisch- und ungarischsprachige Angebote. Wie sieht der Sprach-Alltag in Ihrer Gemeinde aus?

ZSSZ: Zu unserer Gemeinde in Temeswar-Josefstadt gehören zur Zeit ca. 1200 Gläubige. Von denen gehören ca. 100 Leute der deutschsprachigen Gruppe an. Die größte Gruppe ist zur Zeit die ungarischsprachige. Aber auch die rumänische Gemeinde ist ziemlich groß und lebendig. Die deutsche Gruppe war vor etwa 40 Jahren noch die größte Gruppe. Leider ist sie durch die massenweise Auswanderung der Deutschen ab den 1970er Jahren, aber vor allem nach der Wende von 1989-1990 die kleinste Gruppe der Pfarrgemeinde geworden. Überwiegend gehören ältere Menschen zur deutschen Gemeinde. Zum letzten Mal hatten wir vor drei Jahren auf Deutsch Erstkommunion mit drei Kindern, die aus Mischehen stammen, aber die deutsche Schule besuchen. Die jetzige Realität erfüllt viele in der deutschen Gemeinde – und oft auch mich – mit Schmerz. Viele erinnern sich noch an die alten Zeiten. Die Vergangenheit kann man nicht mehr zurückholen. Ich hoffe nur, dass die ausgewanderten Banater Schwaben in Deutschland ihren Platz in der Gesellschaft und in der Kirche gefunden haben. Ich freue mich, wenn jemand seine alte Gemeinde in Temeswar besucht.

SB: Wie Sie sagten, Ihre Gemeinde hat auch deutsche (banaterschwäbische) Gemeindemitglieder – in welcher Sprache nehmen diese kirchliche Dienste in Anspruch?

ZSSZ: Die Banater Schwaben haben in Temeswar und Umgebung zum größten Teil ihre deutsche Identität behalten. Sie hatten die Möglichkeit deutsche Schulen zu besuchen. Deswegen nahmen und nehmen sie auch bis zum heutigen Tag die kirchlichen Dienste in deutscher Sprache in Anspruch. Jeden Sonntag halten wir die Hl. Messe um 10.00 Uhr in deutscher Sprache (Diese wird auch in den kommenden Wochen auf der Facebook-Seite von Pfarrer Zsolt Szilvágyi ab 9:00 Uhr MESZ direkt übertragen, R. G.). Ca. 50-60 Leute nehmen daran teil. Die anderen kirchlichen Dienste werden aber kaum noch in einer Sprache gehalten – zum Beispiel Eheschließung, Taufe oder Beerdigung, weil nicht alle Teilnehmer Deutsch sprechen. Deswegen halten wir die meisten kirchlichen Veranstaltungen in zwei (deutsch-rumänisch) oder drei (deutsch-ungarisch-rumänisch) Sprachen ab.

SB: Mit welchen Herausforderungen wird Ihre Kirchengemeinde konfrontiert?

ZSSZ: In letzter Zeit war unsere Kirchengemeinde vor allem von der Auswanderung unserer Gläubigen besonders betroffen. Wie gesagt, aus der deutschen Gemeinde sind ca. 90% der Kirchenmitglieder nach Deutschland gezogen. In den letzten drei Jahrzehnten hat die Auswanderung aber auch die ungarische und sogar die rumänische Gemeinde stark beeinflusst.

Die Welt um uns herum ist dem Glauben gegenüber eher gleichgültig geworden. Das ist eine weltweite Realität. Diese Realität kann uns aber nicht die Hoffnung nehmen. Wir müssen und wollen auch in dieser Zeit den Willen Gottes mit uns entdecken und erfüllen. Er hat bestimmt einen Plan mit uns. Es sind viele neue Initiativen auch in unserer Gemeinde. Zum Beispiel hat die Familienseelsorge einen Aufschwung erlebt. Es entstanden neue Kleingruppen, in denen die Menschen ihren Glauben vertiefen und bewusster zu leben versuchen. Gott kümmert sich um seine Kirche. Ich bin mir dessen sicher. Wir sollten nur auf ihn hören.

SB: Kirche ist nicht nur in Ost- und Westeuropa im Umbruch, sondern überall – wo wird die Katholische Kirche in 30 Jahren stehen?

ZSSZ: Natürlich kann das keiner voraussehen. Aber das müssen wir auch nicht. Die Corona-Krise zeigt uns, dass wir so vieles gar nicht voraussehen und berechnen können. Wir sollen natürlich aber ein wenig immer in die Zukunft schauen, aber viel stärker uns auf die Gegenwart konzentrieren. Wie sollte ich als Glied dieser Kirche hier und jetzt leben? Was erwartet Gott heute von uns? Diese Fragen sollten uns intensiv beschäftigen. Als Katholiken schauen wir natürlich auf die Richtlinien der gesamten, universalen Kirche, vor allem auf die Meinung des Nachfolgers Petri, auf den Papst. Unser Papst Franziskus gibt uns klare Vorschläge: Die Kirche soll dem Evangelium Christi treu bleiben. Weil sie aber aus Menschen besteht, muss sie ständig zur Umkehr bereit sein. Die Kirche sollte missionarischer werden, also das Evangelium noch mutiger in die Welt tragen. Die Kirche sollte den Schwachen und Bedürftigen nahe bleiben. Jede Gemeinde, jeder Christ und natürlich jeder Priester soll nachschauen, wie er das konkret in seiner Umgebung erfüllen kann. Wenn wir uns bemühen dem Evangelium Christi treu zu bleiben, mit ihm im persönlichen Kontakt zu bleiben und auf ihn zu hören, werden wir sicher den Weg finden, der uns Zukunft schenken wird.

SB: Kehren wir zur Corona-Krise zurück: Was würden Sie den Menschen mit auf den Weg geben?

ZSSZ: Die Corona-Krise hat plötzlich das Leben der ganzen Welt betroffen. Wir waren gar nicht vorbereitet auf eine solche Krise. Das ist klar. Eine Krise ist immer schmerzlich. Sie verwundet uns, aber sie kann uns auch aufrütteln. Auf die Frage, warum eine solche Krise uns getroffen hat, ist kaum eine Antwort zu geben. Wir sollten eher darüber nachdenken: Was könnten wir aus dieser Krise lernen? Die Krise hat unsere Schnelllebigkeit im Alltag gestoppt. Keine weltliche Macht hätte uns anhalten können. Ich meine, wir haben eine Chance bekommen, dass wir über unser Leben nachdenken, dass wir unsere Beziehung zu Gott wieder entdecken und sie stärken. Die Familien haben Zeit bekommen, die sie miteinander verbringen können. Die ganze Welt hat die Gelegenheit bekommen noch solidarischer zu sein. Hoffentlich werden wir die Botschaft dieser schweren Situation verstehen und einer Antwort auf die Frage näherkommen: Was ist im Leben überhaupt wichtig?

SB: Herr Pfarrer Szilvágyi, vielen Dank für das Gespräch!

ZSSZ: Ich wünsche allen Lesern Gottes Schutz, Ausdauer, Geduld und Kraft!

Das Interview wurde von Richard Guth in deutscher Sprache geführt.
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Zur Person: Zsolt Szilvágyi
Geboren in Arad (1977). Zum Priester geweiht in Temeswar in 2001. Seit 2010 Pfarrer der Römisch-Katholischen Pfarrei in Temeswar-Josefstadt.

Bild: Melchior2008/wikipedia.de, das Bild ist Illustration.

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