Die neue ungarndeutsche Diskussionskultur

Von Richard Guth

Endlich!, dachte ich mir, als auf Facebook – wie aus dem Nichts – ein geteilter Inhalt auftauchte. Es ging um das Fest der Ungarndeutschen Kirchenmusik, das Mitte Juli in Sirtz/Zirc stattgefunden hat. Endlich, denn der geteilte Beitrag bot Gelegenheit um persönliche Eindrücke miteinander zu teilen und zu diskutieren.

Beim Beitrag ging es um ein Bild, auf dem ein Chorleiter in der Mitte von – wie der Begleittext verriet – 500 Sängerinnen und Sängern abgebildet ist. Gleich der erste Kommentator lobte die festliche und erhabene Stimmung in der Zisterzienserstadt unweit von Wesprim, monierte aber, dass trotz österreichischer Beteiligung bis auf einen Sektionsleiter alle „strikt ungarisch” gesprochen hätten. Was für ein Beispiel sei dieses Benehmen für die Pflege der Erhaltung der deutschen Muttersprache, fragt sich unser Landsmann aus Westungarn, wohl zu Recht, und fährt fort: „Wäre es ihnen doch schon ihres Amtes wegen obligatorisch, den unsicheren Mitgliedern des Deutschtums Mut zu zeigen, keine Angst zu haben, deutsch zu reden?” Harter Tobak, Worte, die man auch aus unserem Munde hören könnte. Auf den Kommentar hat ein Vertreter der Organisation reagiert, die das Fest zeichnete, mit dem Hinweis, dass man doch ganz ohne Deutschkenntnisse nicht mit den Österreichern hätte zusammenarbeitet können – bezogen auf die Proben. 

Nun war die Lawine losgetreten – endlich!, dachte ich mir. Ein heimatvertriebener Landsmann, der als Renter wohl wieder viel Zeit in der alten Heimat verbringt, meinte, dass die ausschließliche Benutzung der ungarischen Sprache auf deutschen Veranstaltungen normal wäre, womit er auch vollkommen Recht hat. „Soweit ist die Magyarisierung fortgeschritten”, ergänzt er. Als Antwort wies der bereits genannte Vertreter der Organisation darauf hin, dass es sich bei den Mitgliedern der Kulturgruppen auch um Madjaren handele, die sich von der donauschwäbischen Kultur angesprochen fühlten und nun mit den ungarndeutschen Landsleuten „unsere Kultur” pflegten, was anerkennenswert wäre, denn wo wäre unsere  Kultur ohne diese Leute – womit er nicht ganz Unrecht hat. Der heimatvertriebene Herr spricht in seiner Antwort – die Worte des Vertreters interpretierend – von der donauschwäbischen Kultur als ein Mäntelchen, das alles zudecke, und sagt, dass es nicht angehe, dass von 20 Solisten in einem, wohl (ungarn)deutschen, Chor nur zwei deutsche spreche. Eine noch deutlichere Kritik daran folgte aber erst jetzt, gezeichnet von einem Herrn, der sich seit Jahrzehnten für die Belange der Ungarndeutschen einsetzt und der auch durchs Teilen des Beitrags die Diskussion erst in Gang brachte: „Fremde sollen unsere deutsche/ungarndeutsche Kultur retten? Dann sollten sie doch auch unsere Sprache sprechen können! Wenigstens verstehen!”. Er brachte dann das Beispiel eines deutschen Chores in Anführungsstrichen aus dem siebenbürgischen Schässburg, 35 Mitglieder stark, unter ihnen nur zehn Deutsche. Trotzdem hätten alle gut Deutsch gesprochen und so die deutsche Kultur glaubhaft dargeboten. Im Gegensatz dazu könnten die Mitglieder in den ungarndeutschen Chören die Texte bestenfalls lesen, aber kaum verstehen, obwohl man täglich von der Bedeutung der Zweisprachigkeit höre. Deutsche Kultur würde man bestenfalls in Heimatmuseen erfahren, aber da auch mit ungarischen Erklärungen. Der bereits genannte Vertreter meinte in seiner Antwort, dass man früher eine Umfrage gemacht hätte, im Kreise der Nationalitätenselbstverwaltung, welche Sprache man sprechen und in den Sitzungen benutzen würde. Ungarisch lautete die Antwort, da es leichter wäre. „Wenn wir es selbst nicht tun, wer soll es dann? Früher wollte man – durfte nicht – heute darf man, aber will nicht”, so das kritische Fazit des aktiven Volkstumsarbeiters, der ursprünglich aus Österreich stammt.

Oder scheinbar Fazit, denn die Diskussion wurde weitergeführt. Auf die erneute Kritik des bereits genannten westungarndeutschen Landsmannes hin erzählte er von seinen ersten Gehversuchen im ungarndeutschen Milieu – es ging dabei um einen „deutschen” Chor mit ungarndeutscher Leitung, wo aber alles auf Ungarisch abgelaufen sei. Anstatt „Brücken zu bauen”, habe man ausschließlich ungarisch gesprochen, obwohl zu damaliger Zeit er dieser Sprache nicht mächitg gewesen sei. Das veranlasste ihn nach eigenen Angaben den Chor zu verlassen. Darüber hinaus wären viele Kulturgruppen, Chöre wegen des Mangels an Nachwuchs gezwungen Konzession zu machen, wenn sie überleben wollten – so auch die Öffnung in Richtung Madjaren. Etwas, womit sich die Organisation seit Jahren herumschlagen müsse. Ein Umstand, was beim Initiator der Diskussion erneut harsche Kritik erntet – dies gilt sowohl der nach seiner Ansicht zu selbstzufriedenen LdU als auch den madjarischen Mitgliedern der Kulturgruppen, die diese Passion des Singens und Tanzens „meistens nur zum eigenen Nutzen ausüben” wollten. Dem stimmte in der Diskussion auch der heimatvertriebene Landsmann zu, mit dem Hinweis, dass ungarndeutsche Dörfer wie madjarische Dörfer erscheinen, gäbe es da nicht – als einziger Hinweis – das zweisprachige Ortsschild. An dieser Stelle der Diskussion meldete sich ein neuer Mitkommentator, ein prominenter und aktiver Ungarndeutscher von der Tschepele-Insel: Er verweist auf die Probleme der Nachwuchsförderung und der Jugendarbeit, versucht aber positive Beispiele zu nennen – auf Einwände der Mitkommentatoren hin gibt er aber zu, dass die Kultur- und Jugendpolitik wohl sehr mangelhaft sei, was er auf fehlende Kontakte und Sachverständnis in den Nationalitätenselbstverwaltungen zurückführt. Der Initiator der Diskussion setzte noch einen drauf und sagte, dass es ja auch keine deutschen Schulen gäbe.     

Bei allen Diskussionsteilnehmern ist die Sorge um den Fortbestand der ungarndeutschen Kultur und deren Qualität zu spüren. Die Frage steht, die Antworten darauf und die Strategien rund um das Wie damit umgehen? sind verschieden. Für mich ist das Entscheidende, dass das, was man macht, authentisch vetritt. Und da hat der Herr mit dem Schässburger Beispiel Recht – ohne Sprache wird es kaum gehen. Was dann auch bedeutet: Komfortzone verlassen. 

 

Folgen Sie uns in den sozialen Medien!

Spende

Um unsere Qualitätsarbeit ohne finanzielle Schwierigkeiten weitermachen zu können bitten wir um Ihre Hilfe!
Schon mit einer kleinen Spende können Sie uns viel helfen.

Beitrag teilen:​
Geben Sie ein Suchbegriff ein, um Ergebnisse zu finden.

Newsletter

Möchten Sie keine unserer neuen Artikel verpassen?
Abonnieren Sie jetzt!