Von Dr. Johann Till
Am 14. September verstarb unser Freund und Mitstreiter Franz Wesner im Alter von 92 Jahren. Ich habe mit Franz noch eine Woche vor seinem plötzlichen Tod telefoniert. Sein Denk- und Sprachvermögen waren immer noch erstaunlich gut, ebenso seine Schrift, die er allerdings vor einigen Jahren (wegen des Wackelbildes) auf Druckbuchstaben umstellte. Wie ihr vielleicht wisst, ließ er sich nicht mehr überreden, auf die digitale Schreibweise umzustellen. Da er zeitlebens alleinstehend lebte und keine näheren Angehörigen mehr hatte, verfügte er, seine Einäscherung und Beerdigung ohne Feier, anonym zu vollziehen. Ich wurde danach seitens seiner Betreuungsbeamtin des zuständigen Amtsgerichts benachrichtigt.
Franz wurde in der Tolnauer Marktgemeinde Hedjess/Hőgyész geboren und erlebte unsere ungarndeutsche schwäbische Welt bis zu seinem 15. Lebensjahr ebendort. Sein Vater war ein auf den Hochofenbau spezialisierter Fachmann und als solcher in den Stahl- und Gusswerken, oft auch im Ausland, gefragt. Dank dieses essentiellen Berufes des Vaters wurde die Familie von der Vertreibung zwar verschont, nicht jedoch von der Verschleppung der Kinder zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion. Mit 17 Jahren kam Franz – ebenso wie seine damals 18 Jahre alte Schwester – in ein Arbeitslager der Donbass-Region in der Ost-Ukraine. Seine Schwester – von deren Verschleppung und ihrem Aufenthaltsort er damals nichts wusste – verstarb nur wenige Wochen nach ihrer Entlassung an den Folgen der Torturen. Franz hatte das „Glück“, als Lagerjüngster im Beerdigungskommando eingeteilt gewesen zu sein, wo die Aufsicht nicht so streng und Arbeit leichter war. Durch diese Tätigkeit kam er auch öfters außerhalb des streng bewachten Lagers und traf dort auf eine gutgesinnte ukrainische Frau, die von ihrem für den Krieg gegen Deutschland eingezogenen Sohn damals noch keine Lebensnachricht erhalten hatte. Wie mir Franz erzählte, war die gelegentliche warme Gemüsesuppe, die er in der Küche dieser einfachen und mitfühlenden Mutter verbotenerweise bekam,seine Lebensrettung. Als er nach drei Jahren Lager in elendigem Zustand mit den ersten Krankentransporten nach Hedjess zurückkam, erfuhr er vom gleichen Schicksal seiner Schwester Resi, die nur zwei Wochen vor seiner Ankunft mit 21 Jahren an den Folgen der Arbeitshaft verstorben war.
Durch das Mitwirken seiner bei den Barmherzigen Schwestern in Fünfkirchen lebenden Tante kam Franz 1947 in das Fünfkirchner Bischöfliche Lizeum und Lehrerbildungsanstalt und wirkte nach Abschluss bis 1956 als Elementarschullehrer in einer Dorfschule nahe Budapest.
Den Aufstand 1956 erlebte er hautnah in der Hauptstadt, wo er bei einer Demonstration vor dem Parlament auch Plakate mit der Aufschrift gesehen habe, „Új kormányt akarunk, zsidók és svábok nélkül!“ (Wir wollen eine neue Regierung, ohne Juden und Schwaben!). Das habe ihn, nach den erlebten schwabenfeindlichen Nachkriegsereignissen, veranlasst, die günstige Gelegenheit zu nutzen und sich nach Deutschland abzusetzen. Seine Flucht endete in Dortmund, wo er einen Jugendfreund hatte, mit dem er sich zur Zeit der Bombardierung des Ruhrgebietes gegen Kriegsende, während dessen Evakuierungsaufenthaltes in Hedjess kennen lernte. In Dortmund fand er persönliche Aufnahme und die Chance für seine weitere berufliche Laufbahn. Dazu musste er allerdings nochmal die „Schulbank“ drücken und Teile seines ungarischen Studiums wiederholen und die Abschlussprüfungen für das Lehramt in Deutschland bestehen. Danach erhielt er eine Anstellung als Lehrer an einer Hauptschule in Dortmund, wo er bis zu seiner Pensionierung unterrichtete. Obwohl Franz immer ein kritischer und kein bequemer Geist war, kein schneller Ja-Sager, muss er in der Schule als Lehrer gut zurechtgekommen sein, denn er hat immer nur Freudiges und Positives von seiner Arbeit erzählt. Im Lehrerkollegium muss er auch gut angenommen worden sein, jedenfalls verbrachte er drei Jahrzehnte lang gemeinsam mit seinem Direktor im bayerischen Bad Füssing seinen sommerlichen Kuraufenthalt. Dort traf ich ihn etwa 1986/87 zum ersten Mal persönlich .
Kennen gelernt habe ich Franz über die FAZ, die er seit 1960 bis zu seinem Tod abonniert hatte. Mir waren seine Leserbrief-Beiträge zu Artikeln mit ungarndeutschem Kontext aufgefallen und ich rief ihn einfach an. Von da an trafen wir uns fast jährlich bei seiner Durchreise nach Bad Füssing in Niederbayern oder nach Illmitz am Neusiedler See. Letztlich kam ich auf sein Zureden zur Suevia Pannonica, deren Konvente er regelmäßig besuchte und sich mit leidenschaftlich vorgetragenen Wortmeldungen die Diskussionen bereicherte und lebendig hielt. Seine oft beißende Kritik an der ungarischen Nationalitätenpolitik und der Schönfärbungspraxis der ungarischen Geschichtschreibung kommt in seinem Beitrag „ Szatírikus válasz“ (Satyrische Antwort) in der ungarischen Broschüre HŰTLENSÉG A „HŰSÉGBEN“ (Untreue in der Treuebewegung: Beiträge zur Dokumentation der Bonnharder Treuebewegung. Hg. Suevia Pannonica. 100 S. 1995), deren Übersetzung auch er übernahm. Genauso sorgfältig übersetzte und betreute er auch die Veröffentlichung Johann Weidleins Hauptwerk, Schicksalsjahre der Ungarndeutschen (A magyaroszági németség küzdelme fennmaradásáért. Hg. Suevia Pannonica. 1996)