Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Bernd Fabritius,
sehr geehrte Frau Sylvia Stierstorfer,
sehr geehrter Herr Prof. Andreas Otto Weber,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Landsleute,
zu allererst möchte ich mich für die Einladung bedanken, beim Herrn Generalkonsul Gábor Tordai-Lejkó, und bei Frau Krisztina Spiller, für die Vorbereitungen.
Das Motiv für heute ist: die Gedenkveranstaltung für die vertriebenen Ungarndeutschen.
Der Titel meiner Rede klingt trotzdem: das kulturelle Leben und die Bildungsangelegenheiten der deutschen Nationalität in Ungarn.
Und diesen Titel soll ich noch verengen: „Mögen auch unsere Nachkommen die deutsche Muttersprache unserer Vorfahren kennen lernen.”
Meiner Meinung nach ist für die kommenden 10-15 Jahre die Erfüllung
des Inhalts dieses kurzen Satzes die erstrangige und dringendste Aufgabe für uns, für die Ungarndeutschen.
Es ist eine Tatsache, dass es kein zweites Land in Europa gibt, dessen nationale Minderheiten in einem solchen Ausmaß ihre Identität und ihre Muttersprache verloren haben wie in Ungarn. Die Heimsuchungen der nahezu hundert Jahre körperlichen und seelischen Zwangs, der Vertreibung und Verschleppung der Ungarndeutschen, hatten ihre negativen Folgen.
Während sich 1941 1 Millionen 60 Tausend Personen zur deutschen Minderheit bekannten, waren es 2011 nur 186 Tausend, kaum 17,5% davon. Noch schwerwiegender ist der Rückgang bei denen, deren Muttersprache Deutsch ist, so waren dies im Jahre 1941 fast 500 Tausend Personen, während es 2011 lediglich weniger als 40 Tausend
waren. Das sind im Vergleich zum Ergebnis 1941 nurmehr 8%.
Und wenn wir die altersmäßige Verteilung dieser Ergebnisse begutachten würden, würden wir zu einem noch tragischeren Ergebnis gelangen, was die Kinder und Jugendlichen betrifft. Heutzutage gibt es sehr wenige Kinder, welche mit Deutsch als Muttersprache aufwachsen. Gerade deshalb ist es erstrangig, die heutige Situation zu bewerten und die Möglichkeiten und Wege zu prüfen, um Deutsch als die Muttersprache der ungarndeutschen Nationalität zurückzugewinnen, stärken.
Ich bin in der glücklichen Situation, neben meinen zwei erwachsenen Töchtern drei kleine – heute vielleicht gar nicht mehr so kleine – Kinder zu haben, Gregor, 14 Jahre alt, meine Tochter Maria, 12, und Annerose, 10 Jahre, alt. Mit ihnen habe ich persönliche, lebendige Erfahrungen, was die Weitergabe der Nationalitäten – Muttersprache über die Familie betrifft und welche ich liebend gerne im Detail mit Ihnen teilen würde, jedoch bedürfte dies eines längeren Vortrages. Auch meine Frau stammt aus einer langansässigen Wuderscher Schwabenfamilie, der Hauser-Familie, und ist Pädagogin in der ungarndeutschen Nationalitätenbildung.
Kurz gesagt: Wir haben alles darum getan, dass unsere Kinder mit deutscher Muttersprache aufwachsen. Nach einigen Jahren, als wir schon langsam begannen das Ziel aufzugeben, dass sie aktiv Deutsch sprechen werden, brach das Eis. Zuallererst bei der Kleinsten, Annerose, die, aus Deutschland zurückgekehrt, fortlaufend weiter Deutsch sprach. Daraufhin begann auch Maria wenige Wochen später durchgehend Deutsch zu sprechen und viel später schloss sich auch der Faulenzer Gregor an. Heute sprechen sie schon jahrelang Deutsch untereinander, spielen und Lesen auf Deutsch. Heute also kann ich eindeutig behaupten, dass Deutsch für sie alle drei eine Muttersprache ist, zumindest neben dem Ungarischen.
Ich bin sehr stolz auf sie und denke, wenn wir mit meiner Frau etwas richtig gemacht haben, dann dies, dass wir unsere Kinder zur deutschen Muttersprache erzogen haben.
Und glücklicherweise sind wir nicht die Einzigen. Auch andere ziehen ihre Kinder in Ungarn zu deutschen Muttersprachlern auf. Gleichzeitig muss man aber sehen, dass sich für den Großteil der Kinder mit ungarndeutscher Abstammung nicht die Gelegenheit ergibt, die deutsche Muttersprache von Zuhause, aus der Familie mitzubringen.
Womöglich weil der eine Elternteil nicht ungarndeutscher Abstammung ist, weil die Eltern oder Großeltern nicht mehr genügend gut Deutsch sprechen oder nur weil sie sich nicht mehr auf das Deutschsprechen einstellen können, keine Möglichkeit haben ihre Kinder in eine Umgebung zu bringen, wo Deutsch muttersprachlich gesprochen wird, und so weiter.
Was können wir also tun? Die Antwort ist eindeutig: Wir brauchen eine genügende Anzahl und ein genügendes Niveau von deutschsprachigen Nationalitäten-Kinderkrippen, -Kindergärten und -Schulen, in einem Netzwerk verbunden, in welchem diese Nationalitäteneinrichtungen den Kindern Deutsch als Muttersprache zurückgeben können, wo die Familie dies nicht mehr, noch nicht oder nur teilweise bereitstellen kann.
Die erste Stufe der Nationalitäten-Bildung sind die Kindergärten. 2016 erstellten wir in allen 215 deutschen Nationlitäten-Kindergärten eine vollumfängliche Studie über die 5 vorhergehenden und die 5 folgenden Jahre. Ebenso taten wir dies an den 8 Universitäten und Fachhochschulen, welche für die Ausbildung der Nationalitäten-Pädagogen verantwortlich sind. Auf der Grundlage der Auswertung dieser Daten und der Entwicklungsmöglichkeiten haben wir zum Ende April 2017 ein komplexes Bildungsprogramm für die deutschen Nationalitäten-Kindergärten ausgearbeitet.
Darauf bauend wollten wir schon ab Januar 2018 stufenweise sowohl in der Quantität und vor allem die Qualität betreffend Verbesserungen in der Ausbildung und der Erhaltung der Pädagogen der deutschen Nationalitäten-Kindergärten erreichen.
Das komplexe ungarndeutsche Kindergartenpädagogen-Programm erfuhr auch eine Vorzugsbehandlung im Gesetz über den Staatshaushalt 2018, welches die Bedürfnisse der nationalen Minderheiten beinhaltet, sowie im Staatshaushalt für das Jahr 2019, welcher schon im Juni 2018 angenommen wurde. Mit all diesem konnten wir folgende konkrete Maßnahmen erzielen:
1.)
Innerhalb von zwei Jahren konnten wir die Gehaltszulagen der Nationalitäten-Pädagogen (wir sprechen von fast 3000 Personen) von 10% auf 30% erhöhen.
2.)
Mit dem 1. September 2018 haben wir für die Studierenden der Nationalitäten-Kindergartenpädagogik ein Stipendien-System eingeführt. Sie werden diese Stipendien nicht nur während der Ausbildung von 3-4 Jahren, sondern auch in den 3-4 Jahren des Berufseinstiegs erhalten.
3.)
Im Januar 2019 werden die 8 Universitäten und Hochschulen, welche die Ausbildung von Nationalitäten-Kindergartenpädagogen anbieten, eine besondere Förderung erhalten.
4.)
Mit September 2019 werden die Kindergärten eine gezielte Förderung erhalten, welche Pädagogen in einem Nationalitäten-Aufbauprogramm fortbilden, die über einen ungarischen Abschluss der Kindergartenpädagogik verfügen, aber selbst der ungarndeutschen Nationalität angehören.
Nach dem Kindergarten sind auf der nächsten Stufe die Nationalitäten-
Schulen und die Qualitätsverbesserung in der Ausbildung der Nationalitäten-Lehrer, daher:
1.)
Werden wir mit dem 1. September 2018 auch in der universitären Nationalitäten-Lehrerbildung das Stipendiensystem für die Studierenden einführen sowie gezielte Förderungen der entsprechenden Hochschulen und die Haushaltsförderungen der anstellenden Schulen.
2.)
Werden wir mit dem 1. Januar 2020 die Gehaltszulagen der Nationalitäten-Lehrer um weitere 10%, auf 40% erhöhen, werden diesen Anspruch auf alle Pädagogen ausweiten und ein Differenzialsystem einführen.
Gleichzeitig werden wir auch die Nationalitäten-Ausbildung für Krippenpädagogen in Gang setzen sowie ein ungarndeutsches Krippensystem ausbauen.
Wir müssen der qualitativen Förderung der deutschen Sprachkompetenzen in Bildung und Erziehung auf jedem Niveau eine außerorderntliche Bedeutung zukommen lassen.
In dieser Qualitätsförderung kommt den Bildungs- und kulturellen Einrichtungen, welche die Landes- und die lokalen Selbstverwaltungen übernommen haben, eine Schlüsselrolle zu. Ihre Anzahl hat sich in den letzten 5 Jahren vervielfacht.
Seit September 2018 unterhalten die Selbstverwaltungen inzwischen 64 ungarndeutsche Kindergärten, Grundschulen und Gymnasien, und mit dem 30. Juni 2018 haben diese dazu alle Rechte der Vermögensverwaltung der Einrichtungen erhalten. In diesen 64 Bildungseinrichtungen lernen jährlich nahezu 15.000 ungarndeutsche
Kinder. Das Schicksal ihrer Nationalität liegt nunmehr – bildhaft und tatsächlich – in unseren Händen!
Mit dem Betrag von 80 Millionen Forint, ca. 250.000 Euro, konnten wir diesen, von den deutschen Selbstverwaltungen übernommenen Einrichtungen erstmals eine Sonderförderung im Jahr 2017 zukommen
lassen. 2018 betrug diese bereits 270 Millionen Forint, nahezu 850.000 Euro. In wenigen Wochen, am 7. März, werden wir im Jäger-Saal des
ungarischen Parlaments den geladenen Vertretern der deutschen Selbstverwaltungseinheiten und Nationalitätenschulen die Aufteilung dieser Förderung für das Jahr 2019 unterbreiten, welche nun schon ganze 1 Milliarde 350 Millionen Forint, das sind 4 Millionen 220 Tausend Euro, sein werden.
Somit wuchs die Sonderförderung der Nationalitäten-Selbstverwaltungen und der übernommenen deutschen Bildungs- und Kultureinrichtungen innerhalb von 3 Jahren von 0 auf 4 Millionen 220 Tausend Euro.
Und lassen Sie mich noch ein herausragendes Ergebnis nenne, welches in engem Zusammenhang mit der Pflege der ungarndeutschen Muttersprache steht: Den jährlichen finanziellen Rahmen für deutschsprachige Kinder-Ferienlager, welcher im Jahre 2014 zugesichert wurde, konnten wir in den letzten 5 Jahren von 30 Millionen Forint auf 600 Millionen Forint anheben, das bedeutet, ihn verzwanzigfachen. In Euro gerechnet konnten wir also den Rahmen von kaum 94 Tausend Euro auf 1 Million 875 Tausend Euro, nochmals betont, verzwanzigfachen. Dies bedeutet, dass heute eine Klasse von 25 deutschen Nationalitäten-Schülern, für einen deutsch-muttersprachlichen Schullager-Aufenthalt von 5 bis 7 Tagen in Österreich, Deutschland oder sei es Tirol pro Kind ganze 100-120 Tausend Forint, ganze 3-400 Euro Förderung erhalten kann.
Ich denke, dass diese Zahlen für sich sprechen.
Daher möchte ich auch hier und jetzt ein klares und ehrliches Dankeschön an die ungarische Regierung und das ungarische Parlament aussprechen, im Namen der Ungarndeutschen und aller 13 langansässigen Nationalitäten Ungarns.
Nicht zufällig habe ich neben der ungarischen Regierung auch das ungarische Parlament genannt, darunter alle Oppositionsfraktionen und fraktionslose Abgeordnete, denn in der vergangenen 4-jährigen Amtszeit sowie auch im neuen Parlament seit den letzten Wahlen im April 2018 wurden alle seitens der deutschen Nationalitätenvertretung eingereichten Gesetzesinitiativen und -änderungsinitiativen einstimmig beschlossen!
Die Belange der nationalen Minderheiten Ungarns wurden, unter nationalem Konsens, aus dem täglichen politischen Streit herausgehalten, und hierfür bedanken wir uns zutiefst bei allen 198 Abgeordneten, Gott erhalte ihnen diese gute Sitte!
Mit den Entwicklungen der letzten 5 Jahre, der direkten parlamentarischen Vetretung der nationalen Minderheiten, der hierzu garantierten einheitlichen Unterstützung seitens Regierung und Parlament haben wir alle Gelegenheit dazu, tiefgreifende qualitative Veränderungen zugunsten der Kinder, was ihr Leben und ihre Zukunft als Teil dieser deutsche Nationalität betrifft, zu erreichen.
Wir müssen die Gelegenheiten, welche wir bekommen oder vielmehr
die wir uns erkämpft haben, nur gut nutzen!
Ich bin außerordentlich optimistisch und werde meinerseits im Parlament weiterhin alles darum tun. Und hierzu erbitte ich auch Ihre Hilfe, Zusammenarbeit und Unterstützung in jeder Form für die Zukunft der Kinder in unserer deutschen Nationalität!
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Emmerich Ritter
Parlamentarischer Abgeordneter der Ungarndeutschen
Quelle: Internetseite des Generalkonsulats von Ungarn in München (https://munchen.mfa.gov.hu/assets/99/51/60/2f03dbce0aa642197032d3763ff12559abad1978.pdf)
Bildquelle: beol.hu