Vertreibung aus Kirne/Környe-Erinnerungen: Paula Steger

„Morgens mussten wir auch packen, die Eltern durften pro Person lediglich zwanzig Kilo mitnehmen. Wir hatten etwas Gold und US-Dollar, die hat meine Mutter in den Rock eingenäht, deshalb musste ich mit soldatischer Disziplin sitzen, damit aus meiner Kleidung nichts runterrutscht. Wir wurden mit einem Laster zum Bahnhof gebracht. Wir Kinder genossen es ja sehr. Wer konnte damals auf einem Laster sitzen?! Danach durften wir sogar Zug fahren, wir dachten, Gott wüsste, wie schön es sein wird.

Wir wurden vom Bahnhof weggeschickt, weil wir nicht auf der Liste standen. Mein Großvater hatte eine Befreiung für die ganze Familie, deswegen durften wir wieder heim. Mein Vater vertraute aber nicht darauf, dass wir lange bleiben dürfen, deswegen haben wir auch nicht wieder unsere Sachen ausgepackt. Am Abend hat man uns wieder abgeholt, um Punkt Mitternacht. Zuerst hat man uns in die Totiser Kolonie gebracht, aber da wir den Zug nicht mehr einholen konnten, liefen wir bis Szob. Dort nahm man uns alles, was wir hatten, ab, Schinken, Salami, alles. Erst im Nachhinein durften wir es zurückkaufen, gegen Geld. Wir waren fast zwei Monate unterwegs. Wir hielten alle vier Tage an, dann konnten wir den Zug verlassen um unsere Notdurft zu verrichten, die verdreckten Eimer wurden ausgeschüttet. Im Zug hat man hin und wieder gekocht, aber meist aßen wir was Kaltes.

 

Wir hielten zuerst in Pirna, dann in Zöblitz, dort konnten wir zum ersten Mal den Zug verlassen. Wir wurden in einer Turnhalle untergebracht. Jeder hat eine Blechdose erhalten, aus der wir essen konnten. Die Erwachsenen haben einen, die Kinder einen halben Esslöffel Essen bekommen. Aus Zöblitz fuhren wir nach Olbernhau weiter, wo wir bei einer netten Familie untergerbracht wurden. Wir haben von ihnen Geschirr, Holz und alles Mögliche, was wir benötigten, erhalten. Meine Großeltern haben zwei Häuser weiter gewohnt, aber sie fanden bei einem Dreckskerl Unterschlupf. Er pflegte stets zu sagen, dass wir ungarische Zigeuner seien und dorthin zurückkehren sollen, wo wir herkommen. Als unser Hausherr davon erfuhr, bot er an, dass unsere Großeltern das restliche Zimmer beziehen, so konnten wir zusammen wohnen. So war es halt. In Ungarn waren wir Deutsche, in Deutschland ungarische Zigeuner.

Winter 1947 sind mein Vater und meine Mutter nach Westdeutschland, nach Regensburg geflüchtet. Meine Mutter kam zurück, um die beiden Kinder zu holen und zeigte meiner Oma den Weg und holte im Sommer meine Urgroßmutter und Großmutter rüber. Meine Urgroßmutter musste sie auf dem Rücken über die Grenze bringen, weil sie ein offenes Bein hatte und nicht laufen konnte. In Regensburg wohnten wir wieder in einem Aufnahmelager, in einer alten Schule. Daheim durften wir frei auf der Straße herumlaufen, im Lager waren wir eingesperrt. Wir waren zu 16 in einem Zimmer, schliefen auf Stockbetten. Das Problem bestand darin, dass wir alles auf Karte kriegten, den Zucker, das Fett, das Mehl. Die Pfanne hat man nie ausgewaschen, es blieb immer ein wenig Fett drin.

Nachdem mein Vater eine Anstellung in der Ziegelfabrik erhielt, ging es mit uns bergauf. Die Fabrik hatte eine Kantine, die später von meinem Vater erworben wurde, zum damaligen Zeitpunkt konnte auch meine Mutter bereits arbeiten. Dann wurde das Lager geräumt, und wir haben eine Dreizimmerwohnung in einem Plattenneubau erhalten. Die Kantine musste man aufgeben, aber zum Glück konnte mein Vater an den Blockhäusern ein Geschäftslokal mieten.

Während dessen habe ich – sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland – die Schule besucht. Es war nicht einfach, weil man an beiden Orten unterschiedlich spricht, so dass ich die jeweilige Sprache des Volkes neu erlernen musste. Vier Jahrgänge lernten zusammen, zum einen die von 1 bis 4, zum anderen die von 5 bis 8. Ich konnte auch eine weiterführende Schule besuchen und habe zwei Berufe erlernt, den eines Filialleiters und den eines Koches. Ich habe meinen Mann kennen gelernt, mit dem ich mehrfach versucht habe, ein Haus zu erwerben. Nach seinem Tod habe ich in Kätschka/Kecskéd ein altes Bauernhaus erworben und zog mit meiner Mutter um. Ironie des Schicksals ist, dass, bis es soweit war, dass die Renovierungsarbeiten abgeschlossen waren, unser altes Haus in Kirne zum Verkauf angeboten wurde, das ich ursprünglich kaufen wollte.”

 Quelle: index.hu

Deutsche Übersetzung: Richard Guth

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