Von Rebeka Csóti. Erstmalig erschienen am 19. Januar 2018 auf dem Internetportal „index.hu”. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der aus Kirne stammenden Autorin. Deutsche Übersetzung: Richard Guth
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Die Einführung zu den Zeitzeugenerinnerungen enthält noch einige Ungenauigkeiten, interessant und wertvoll sind hingegen die Berichte der Zeitzeugen, die wir in den nächsten Tagen einzeln veröffentlichen werden.
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„Eines Tages kamen dann die Polizisten, mit der Nachricht, dass wir gehen müssen. Wohin ich nur schaute, überall Menschen mit Tränen in den Augen. Wir Kinder genossen es ja sehr. Wer konnte damals auf einem Laster sitzen?! Danach durften wir sogar Zug fahren, wir dachten, Gott wüsste, wie es sein wird. Wir waren fast zwei Monate unterwegs. Wir hielten alle vier Tage an, dann konnten wir den Zug verlassen um unsere Notdurft zu verrichten, die verdreckten Eimer wurden ausgeschüttet.” Mit dem ersten „Schwabenzug” begann am 19. Januar 1946 die gewaltsame Vertreibung der Deutschen aus Ungarn. Behördenwillkür, zwanzig Kilo schweres Bündel, Raufereien, Tränen und Beispiele menschlicher Hilfeleistung: Zeitzeugen, die die Tragödie in Kirne/Környe als Kind erlebt haben, gedenken den Geschehnissen vor 70 Jahren.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden für die von den Nazis begangenen Verbrechen die deutschen Minderheiten kollektiv verantwortlich gemacht. Auf sowjetische Initiative hin haben die Alliierten auf der Potsdamer Konferenz abgesegnet, dass ein Teil der in Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn lebenden Deutschen nach Deutschland umgesiedelt werden muss. Innerhalb von zwei Jahren wurden in Ungarn über 200.000 Männer und Frauen, Alte und Kinder dazu gezwungen, dass sie gegen ihren Willen ihr Zuhause verlassen und mit einem Bündel ins unbekannt Deutschland aufbrechen.
Anfangs wurden diejenigen Menschen deutscher Volkszugehörigkeit, die Mitglied in einer hitlerschen Organisation waren beziehungsweise freiwillig solches in der SS wurden, mit der Konfiszierung ihres Hab und Gutes bestraft. Diejenigen, bei denen sie es als erwiesen sahen, wurden interniert. In ihre Häuser wurden Neusiedler („telepesek”) aus ärmeren Komitaten eingewiesen, ihre Familienangehörigen wurden bei anderen schwäbischen Familien untergebracht oder in ganz andere Ortschaften gebracht. Schlussendlich legte die am 19. Dezember 1945 veröffentlichte Verordnung fest, dass all diejenigen Bürger deutscher Volkszugehörigkeit, die sich bei der Volkszählung von 1941 zur deutschen Volkszugehörigkeit oder Muttersprache bekannt haben, Mitglieder des Volksbunds oder der SS waren beziehungsweise ihre madjarisierten Namen wieder germanisieren ließen, nach Deutschland umsiedeln müssen. Der erste Zug startete am 19. Januar 1946 in Wudersch, der letzte verließ September 1948 das Land. In zwei Jahren mussten 200.000 – 250.000 Menschen ihre Heimat verlassen, viele Familien wurden dabei getrennt.
Kirne gehörte zu den schwäbischen Dörfern, in den die Deportation der Deutschen angeordnet wurde. Die Mehrheit der Bevölkerung in der im Komitat Komorn-Gran gelegenen Gemeinde war schwäbisch. Ihre Vorfahren wurden nach dem Ende der Osmanenherrschaft ins Land gerufen. Die meisten Dorfbewohner waren deutscher Muttersprache, viele der Alten konnten nicht oder kaum Ungarisch.
Die Vertreibung traf die Gemeinde unerwartet. Am 27. August 1947 wurde das gesamte Gemeindegebiet abgesperrt, am Dorfrand standen überall Gendarmen. Die Soldaten klopften mit Listen in der Hand einzeln an den Haustüren und riefen die Bewohner auf, binnen zwei Stunden zu packen. Am Vorabend ahnte noch keiner, was ihn am nächsten Tag erwartet. Die Erwachsenen durften 20 kg pro Kopf mitnehmen, sie packten meist Lebensmittel in ihr Bündel. Von der Kleidung zogen sie soviel wie möglich an, damit dies nicht zum Gewicht des Bündels dazugezählt wurde. Binnen eines Tages wurden 101 Familien nach Deutschland umgesiedelt.
All dies hat die Familie meines Großvaters durchlebt. Meine zwei Urgroßeltern mit den fünf Kindern standen auf der Liste der Vertriebenen, lediglich weil die Züge voll waren blieben sie hier. Zuerst erfuhr ich aus den Erzählungen meines Großvaters über die Vertreibung der Schwaben, danach habe ich angefangen mehrere Dorfbewohner, die davon betroffen waren, aufzusuchen.