von Harald Diehl
Im Oktober veranstaltete die Deutsche Kulturgemeinschaft Wudersch bzw. die Jakob Bleyer Gemeinschaft e. V. im Haus der Rentner (Nyugdíjas Ház), unter der Leitung von Prof. Dr. Nelu Bradean-Ebinger (Wudersch), der auch die Moderation besorgte, die Historikertagung „VOR 100 JAHREN (1918-2018): ZERFALL DER DONAUMONARCHIE − DREITEILUNG DER DONAUSCHWABEN.
Mag. Dr. Peter Wassertheurer (Wien) behandelte einführend das Thema Der Zerfall der Donaumonarchie und die deutschen Volksgruppen im ehemaligen Zis- und Transleithanien zum Vergleich.
Zunächst ging der Vortragende der Frage nach, was die k.u.k. Donaumonarchie der Habsburger 1914 zum Untergang verdammt hatte, die auch in unserer Zeit viel diskutiert wird. Vor allem US-amerikanische Wirtschaftshistoriker bescheinigen der Monarchie im Zeitraum von 1867 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs durchaus eine erfolgreiche Industrialisierung und Modernisierung mit einem gesteigerten Bruttoinlandsprodukt, das mit dem Frankreichs oder Großbritanniens durchaus mithalten konnte. Auch im geistigen und kulturellen Leben brachte die Monarchie durchaus interessante Leistungen zustande. Mit dem Ausgleich von 1867 entstand die k.u.k. Doppelmonarchie mit zwei Regierungen, zwei Parlamenten und damit auch in der Minderheitenpolitik mit zwei unterschiedlichen Entwicklungen.
Der Referent beleuchtete die Entwicklung seit der Aufklärung und unterstrich den aufgeklärten Absolutismus unter Kaiser Joseph II. Die aufgeklärten Reformen des Josephinismus waren vom magyarischen Adel als massiver Eingriff in die traditionellen Verwaltungs- und Führungsstrukturen empfunden worden und provozierten eine geistig-nationale Gegenbewegung, die sich anfangs vornehmlich auf dem Gebiet der Literatur behaupten konnte. Die magyarische Reformbewegung fand nicht nur in den literarischen und wissenschaftlichen Kreisen eine breite Zustimmung, sondern kritisierte ab 1825 die soziale und wirtschaftliche Notlage großer Teile der magyarischen Bevölkerung. An vorderster Front der Modernisierungsbestrebungen stand zu diesem Zeitpunkt Graf István Sźechenyi (1791-1860), der sich in seinen politischen Schriften für eine tiefgreifende Liberalisierung der Wirtschaft, eine Neustrukturierung der ungarischen Landwirtschaft und die Beseitigung der Adelsprivilegien aussprach. Einen Schritt weiter und radikaler waren die politischen Ziele der liberalen magyarischen Opposition, die unter der Führung von Lajos Kossuth (1802-1894) die nationale Selbstbestimmung und die volle Gleichberechtigung der Magyaren im Habsburgerreich forderte.
Es wurde auf die Magyarisierungsbestrebung als bewusste Reaktion auf die demografischen Verhältnisse im Königreich Ungarn um 1840 eingegangen. Von den 14 Millionen Einwohnern waren nur 6 Millionen Magyaren, die sich gegenüber den nichtmagyarischen Bevölkerungsgruppen in der Minderheit befanden. Die deutschen Volksgruppen umfassten zu diesem Zeitpunkt eine Größenordnung von 1,3 bis 1,5 Millionen, die Rumänen von 2,2 Millionen, die Slowaken von 1,7 Millionen, die Kroaten von 1, 2 Millionen und die Serben von 800.000 Bewohnern.
Die uneinheitliche Haltung der deutschen Volksgruppen in dieser Causa resultierte aus der geografischen Streulage der deutschen Siedlungsgebiete, der unterschiedlichen sozialen Zugehörigkeit und dem sehr differenzierten Zugang zum Magyarentum. Die ersten Bewegungen gegen die Magyarisierung kamen in den Städten auf, wo in Budapest von Eduard Glatz (1812-1889) die deutschsprachige Pester Zeitung herausgegeben wurde. Der Pressburger Gelehrte Gottfried Schröer (1791-1850) beschäftigte sich in seiner Arbeit Über Erziehung und Unterricht in Ungarn ebenfalls mit dem Fortschreiten der Magyarisierung im Bildungswesen des ungarischen Königreichs. Die deutschen Intellektuellen hatten der Magyarisierung aber wenig entgegenzusetzen.
Der Redner ging auf die Umwälzungen in der Revolution 1848 ein und hob die Einführung des Neoabsolutismus und der Staatsreform unter dem jungen Kaiser Franz Joseph I. hevor, sprach anschließend vom langsamen Zerfall des Habsburgerreiches nach verschiedenen Niederlagen – vor allem in Norditalien – sowie die Forderungen der Tschechen um Ausgleichsbemühungen bzw. nach „Trialismus“ nach dem Ausgleich mit Ungarn 1867, was schließlich zum Beginn des Nationalitätenkampfes führen sollte.
Der Redner ging auf die Lage der Siebenbürger Sachsen und die der Donauschwaben im Königreich Ungarn nach 1867 ein. Es wurde darauf hingewiesen, dass, nachdem bis 1913/14 die Ausgleichsverhandlungen mit Prag gescheitert waren, die Frage aufgeworfen werden musste, inwieweit der damalige Nationalitätenkonflikt für den Untergang der Monarchie mitverantwortlich gemacht werden kann.
Dr. Kathi Frank-Gajdos PhD (Wudersch) sprach zum Thema „Grenzüberschreitende Minderheitenprobleme – Die Donauschwaben in Jugoslawien, Rumänien und Ungarn (1918–1949). Ein Vergleich.“
Im ersten Teil behandelte die Referentin die zeit- und grenzüberschreitenden Konflikte (1918 – 1945), die in diesen drei Ländern zur Diskriminierung der deutschen Minderheit führten. Hervorgehoben wurde, dass diese bis 1918 Bürger der Donaumonarchie, waren, also Bürger eines übernationalen Reiches, die stets in Nachbarschaft zu anderen Nationalitäten lebten. Nach 1918 führten durch ihre Gebiete jedoch die Grenzen dreier Staaten – Ungarn, Jugoslawien und Rumänien -, und es gab viele, die sich jetzt als Bürger einer nationalen Minderheit wiederfanden. Der Sieg in diesem Krieg gab den Siegern aber kein Gefühl der Sicherheit: Probleme, die durch die Friedensverträge entstanden, verursachten weitere Konflikte und führten zu weiteren Kriegen.
Die Rednerin stellte in den Fokus ihrer Arbeit die Jahre zwischen 1944 und 1949. Nach 1945 wurden alle Donauschwaben in diesen drei Ländern kollektiv bestraft. Die deutschen Minderheiten in Ungarn, Jugoslawien und Rumänien wurden Opfer von Deportation, Enteignung, Entrechtung, Internierung und Vertreibung, ihre Kollektivstrafe geschah im Zeichen der kommunistischen Machtübernahme.
Es wurde darauf hingewiesen, dass das Schicksal der Donauschwaben in Rumänien, Ungarn und Jugoslawien – ihre Deportation, Vertreibung und Diskriminierung – 40 Jahre lang ein Tabuthema bleiben musste. Außerdem wurde betont, dass die Erlebnisgeneration angstbedingt die Nachkriegsjahre zu vergessen und zu verdrängen versuchte, was ihr auch über lange Jahre, Jahrzehnte gelungen ist, denn sie mussten nach 1944 alle großes Leid erleben – sowohl in Rumänien: Enteignung, Deportation und Internierung (Rumänien – ethnische Säuberung), etwas schlimmer in Ungarn, wo neben diesen auch die Hälfte der deutschen Minderheit nach 1946 aus dem Land vertrieben wurde (Ungarn – Verschleppung und Vertreibung) und am traurigsten im ehemaligen Jugoslawien, wo das Regime Titos gegen die Donauschwaben Völkermord begangen hat (Jugoslawien – Stationen eines Völkermordes).
Die Referentin unterstrich, dass kaum eine andere deutsche Volksgruppe zwischen 1944 und 1956 so sehr zu leiden hatte wie die deutsche Minderheit in diesen drei Ländern. Und das Schicksal der einst in Jugoslawien, in Rumänien oder in Ungarn siedelnden Deutschen ist, wie der Leidensweg der Vertriebenen aus Schlesien, Ostpreußen, Pommern oder dem Sudetenland, im europäischen Bewusstsein leider kaum präsent. Ihrer Opfer zu gedenken und die Erinnerung wach zu halten sei deshalb unsere Aufgabe.
Dr. Mag. Hans Dama (Wien) behandelte in seinem Vortrag zum Thema Die Umbruchgeneration in der deutschen Literatur des Banats nach Trianon die Entstehung der (eigentlichen) Deutschen Literatur des Banats und somit die Anfänge der 5. Deutschen Literatur.
In diesem Vortrag wurde eine Gesamtdarstellung der Umbruchgeneration aus der Doppelmonarchie zur Banater deutschen Literatur nach Trianon präsentiert. Der Referent betonte, dass dieser keineswegs als erschöpfend verstanden werden dürfe: Es sollten lediglich jene Banater Autoren ins Rampenlicht gerückt werden, die dem Stichwort „Umbruchgeneration“ entsprechen.
Der Redner gab zu bedenken, dass einige Autoren der vortrianonischen Zeit nach dem Ersten Weltkrieg in Ungarn oder im Königreich Jugoslawien verblieben sind, Autoren aber − wie zum Beispiel Adam Müller-Guttenbrunn −, die weder vor noch nach „Trianon“ im Banat gewirkt hatten, wurden nicht berücksichtigt. Auf viele Details in den jeweiligen Werken der behandelten Autoren wurde nicht näher eingegangen, denn die vorliegende Darstellung sollte lediglich als eine Art ABRISS verstanden werden.
Aus den nach Trianon Rumänien einverleibten ehemaligen, unter ungarischer Verwaltung gestandenen Gebieten wirkten viele Künstler, Literaten usw. in Budapest, doch das war nun Ausland für sie: Einige blieben in Restungarn, andere wollten in ihre Heimat zurück. Viele, die bisher in ungarischer Sprache geschrieben und veröffentlicht hatten, mussten sich nun einer anderen Sprache zuwenden: Deutsch, Rumänisch, Serbo-Kroatisch usw… gewiss keine leichte Entscheidung, doch Literaten leben nun mal von ihren geschriebenen Werken.
Als Anfangsbeispiel wurde der Name des Temeswarers Robert Reiter alias Franz Liebhard – auch der Rote Reiter genannt – ins Spiel gebracht, der zur Zeit des Ersten Weltkriegs in Budapest gelebt und ungarisch geschrieben hat, anschließend nach Wien übersiedelt und nach 1925 in seine Heimatstadt Temeswar zurückgekehrt und fortan deutsch geschrieben hat.
Anschließend sprach der Referent über Otto Alscher, Hilde Martini-Striegel (*2. Mai 1884 Budapest – † 20. 11. 1974 Arad, die Budapesterin, die nach Arad geheiratet hatte), Annie Schmidt-Endres (* 29. Dez. 1903 Csatád, dt. Lenauheim – † 17. Mai 1977 Kelheim, Niederbayern), Josef Gabriel d. Ä. (*1853 Merzydorf – † 1927), Josef Gabriel d. J. (*1907 Merzydorf – † 1947), Jakob Hirsch (*1915 Kleinschemlak – † 1944), die Franzdorfer Hausfrau Stephanie Gabriel (*1892 Franzdorf – † 1953), Peter Barth (*2. Juni 1898 in Máslak, dt. Blumenthal – † 1. März 1984 in Temeswar), Peter Jung (*3. April 1887 Hatzfeld/Jimbolia – † 24. Juni 1966), Franz Xaver Kappus (* 1883 Temeswar – † 1966 Berlin), Schwalm, Georg, besser bekannt unter dem Pseudonym Jörg von der Schwalm (*1848 Bulkess / Maglić – † 1921: Pantschowa), Johann Szimits (*1852 Bogarosch – † 1910 Mödling), Aegidius Haupt. mitunter auch Egidius (*1861 Bogarosch – † 1930 Jahrmarkt), Karl Braun (*1886 Temeswar – † 1949 Sanktandres), Johann Gehl (*1877 Alexanderhausen – † 1935 Tschakowa), Jakob Gerhard (*1865 Heufeld – † 1941 Neubeschenowa), Nikolaus Schmidt (*1874 Sigmundhausen bei Arad – † 1930 Budapest) u.a.
Abschließend wurde darauf hingewiesen, dass in den nun zu Rumänien gehörenden Landesteilen Banat, Bukowina, Siebenbürgen und natürlich Bukarest eine deutschsprachige Literatur gepflegt wurde, die nach dem Zweiten Weltkrieg in deutschsprachigen Literaturzeitschriften und Zeitungen der breiten Öffentlichkeit bekannt werden konnte. So hätte sich die Rumäniendeutsche Literatur entwickelt, die international als 5. DEUTSCHE LITERATUR − neben denen in der BRD, DDR, Österreich und der Schweiz − in der Fachwelt bekannt wurde und die sich durch namhafte Autoren im internationalen Literaturbetrieb (Nobelpreisträgerin Herta Müller z. B.) behaupten konnte.
PD Dr. habil. Zoltán Tefner (Budapest) beleuchtete in seinem Vortrag das Thema Zwischen Konflikt und Zufriedenheit – Die Donauschwaben und der Zerfall der Donaumonarchie.
Eingangs unterstrich der Referent, dass ein beträchtlicher Teil der Deutschen im Karpatenbecken jene günstigen Lebensmöglichkeiten angenommen, die die ehemalige Habsburg-, später die Donaumonarchie, darin das Ungarische Königreich, geboten hatten.
Hervorgehoben wurde, dass im Kreise der Ungarndeutschen im Verlauf mehrerer Jahrhunderte die „Hungarus-Identität”, der Anspruch auf eine friedliche Koexistenz mit der ungarischen Bevölkerung entwickelt hatte. Gleichzeitig habe sich um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert – unter pangermanischem Einfluss – die Überzeugung durchgesetzt, wonach die ungarische Regierung eine Magyarisierungspolitik verfolge und diese Regierungspolitik ihr ethnisches Dasein, ihren kollektiven Nationalcharakter gefährde.
Diesbezügliche berechtigte Einwendungen wurden in der Regel zurückgewiesen, wodurch die Konflikte mit der Zeit um sich gegriffen und im Verhältnis zwischen der regional heterogenen deutschen Volksgruppe und der Regierung „Risse” entstanden sind.
Der Referent betonte, dass es in den letzten Jahren des Ersten Weltkrieges zu Versuchen gekommen sei, dieses einstige gute Verhältnis zu regenerieren (Auftritte von Tisza im ungarischen Reichstag), aber unter jenen extremen Verhältnissen konnten keine konkreten Maßnahmen getroffen werden.
Die im Krieg erlebten Leiden, die Unzufriedenheit mit den materiellen Umständen hätten die Mitglieder der ungarländischen Volksgruppe dazu gezwungen, gegenüber den großen Umwandlungen in der Weltpolitik, dem Los der zerfallenen Monarchie eine gewisse Abstinenz vorzuzeigen. Sie hätten sich anstatt dessen in ihren Bewegungen, in ihren öffentlich-politischen Bestrebungen ihrer eigenen Zukunft zugewandt.
Um die Jahreswende 1918/1919, als das wahrscheinliche Zerstückelungsprojekt des Ungarischen Königreiches in vollem Gange war, äußerte sich der Großteil der sonst heterogenen Volksgruppe für die Zusammenhaltung Großungarns.
Tefners Vortrag konzentrierte sich in Form von Stichproben hauptsächlich darauf, wie die einzelnen lokalen oder regionalen Zentren des Deutschtums auf die zu erwartenden Veränderungen reagierten und welche Pläne sie bezüglich ihrer Zukunft hatten. Auf diese Frage eingehend, wurde mit besonderem Nachdruck auf die Sachsen in Siebenbürgen hingewiesen.
Anschließend an jeden Vortrag wurden rege Gespräche geführt, was der Veranstaltung eine interessante Lebhaftigkeit verlieh.