Die Partei Jobbik zeigt ansatzweise sein vielfach erwähntes intellektuelles Hinterland: Ab Mai wird ihr neuer Abgeordneter, der Sprachwissenschaftler und Universitätsdozent Koloman Brenner im ungarischen Parlament sitzen, der nicht nur im universitären Bereich, sondern auch im öffentlichen Leben der deutschen Minderheit seit Jahrzehnten aktiv ist. Ist er ein Quotenintellektueller oder Quotendeutscher von Jobbik? Was sagt er zur Wahl Emmerich Ritters zum Abgeordneten der deutschen Nationalität? Kann er es schaffen, dass die deutschen Parteien mit der Jobbik in einen Dialog treten?
Das Interview ist am 17. Mai 2018 auf dem Internetportal „Azonnali” erschienen. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Autoren Bea Bakó und Martin Bukovics (Quelle: http://azonnali.hu/cikk/20180517_politika-harcosok-klubja-nem-valo-minden-ertelmiseginek-brenner-koloman-az-azonnalinak). Veröffentlichung der deutschen Übersetzung mit Erlaubnis des Übersetzers. Erstmalig ist der Beitrag in deutscher Übersetzung im Blog „Unser Mitteleuropa” veröffentlicht worden.
Wenn Sie schon kein Quotennationalitätenangehöriger sind, sind Sie zumindest ein Quotenintellektueller von Jobbik?
Beehren wir also die Intellektuellen, die die Fidesz-Partei mit ihrer absolut antiintellektuellen Politik in den letzten Jahren verstoßen hat, um nicht Jobbik dafür verantwortlich zu machen, Quotenintellektuelle für die Politik zu liefern. Ein wesentlicher Teil der konservativen Intellektuellen hat sich hinter Jobbik aufgestellt.
Wer? Nicht so viele geben dazu ihren Namen. Sie sitzen zumindest im Parlament, aber wie sieht es mit den anderen aus?
Eine ehrenvolle und sonderbare Eigenschaft der Intellektuellen ist, dass ein Teil von ihnen in der Öffentlichkeit tatkräftig mitwirkt, ein anderer Teil nur die Geschehnisse in der Politik kommemtiert und wieder andere in ihrem Beruf so und in eine Richtung arbeiten, die sie für richtig halten. Diese Haltungen respektierend habe ich meinerseits den Entschluss gefasst, was ich für richtig halte: Dass man sich vor das Hohe Haus stellen muss, und eine öffentliche Rolle annehmen sollte. Aber die Politik ist ein Club der Kämpfer, und sie ist nicht für jeden Intellektuellen geeignet. Ich behaupte nicht, dass meine Entscheidung die bessere war, das muss ein jeder für sich entscheiden.
Von meiner vermeintlichen Einstufung als Quotenintellektueller innerhalb der Partei weiß ich aber nichts, also selbst den Begriff würde ich ablehnen. Es ist unwürdig solchen Intellek hctuellen gegenüber, die am Programm von Jobbik hart mitgearbeitet haben. In einer Fraktion soll man nicht nur die Strömungen einer Volkspartei darstellen, sondern genauso die Zusammensetzung der Wählerbasis: Unsere 26-köpfige Fraktion spiegelt laut meiner Einschätzung beide sehr gut wieder. Ich bin stolz darauf, dass Jobbik in meiner Person einen solchen Abgeordneten hat, der beweist: Es war nicht nur eine leere Parole, dass wir ein intellektuelles Hinterland haben, sondern dieses existiert auch in der Realität, und aus ihren Reihen konnte Jobbik einen Politiker als Abgeordneten delegieren.
Und zugleich ihren eigenen Deutschen.
Das habe ich bereits erläutert: Es gibt in jeder Fraktion Angehörige der deutschen Minderheit. Übrigens werden wir uns bald mit einigen Abgeordneten aus jeder Fraktion mit dem deutschen Nationalitätenabgeordneten Emmerich Ritter zusammensetzen. Also lassen wir lieber die Quotenfrage. Genauso würde ich auch den Aspekt der Frauenquote als ziemlich verzerrt und unwürdig beurteilen und dafür halten, da die Fähigkeit für jede Frau gegeben ist, alles zu erreichen, was auch ein Mann erreichen kann. Weder die Nationalität noch die Zugehörigkeit zur jeweiligen gesellschaftlichen Gruppe sollte als richtungsweisend betrachtet werden.
Die Politik – und die Fraktion – sind dann gut, wenn sie das ganze politische Spektrum aufzeigen und der ganzen ungarischen Gesellschaft Botschaften übermitteln können. Mein intellektueller Hintergrund – das nicht daraus resultiert, dass ich ein Diplom habe, sondern durch meine Laufbahn und meine Publikationen begründet ist – und meine Arbeit im Nationalitätenbereich legitimieren die Aussagen, die ich jetzt als Politiker formuliere. Das ist eine gute Wechselwirkung.
Betrachten Sie sich nicht in erster Linie als Abgeordneter der Ungarndeutschen? Über die Nationalitätenliste ist Emmerich Ritter ins Parlament gelangt – mit Ihrem Hintergrund läge es auf der Hand, dass Sie mit einem ähnlichen Rollenverständnis auftreten.
Natürlich, als ungarndeutscher Abgeordneter behandele ich die Angelegenheit der Ungarndeutschen mit Präferenz, ich halte sie für meine Herzensangelegenheit. Als Mitglied der Außenpolitischen Kommission des Parlaments habe ich ja eine größere Affinität zu den deutschsprachigen Ländern, aber dies bedeutet nicht, dass ich mich konzentriert und eingeengt nur mit diesem Thema beschäftigen werde.
Also würden Sie ohne Weiteres auch mit dem Fidesz-Mitglied Emmerich Ritter für die Deutschen zusammenarbeiten?
Ich finde, die Parteimitgliedschaft Emmerich Ritters ist kein Problem. Als unglücklich empfinde ich jedoch, dass, wenn nun die deutsche Minderheit nach langen Jahrzehnten, aus eigener Kraft und mit eigenem Recht einen vollberechtigten Abgeordneten ins Parlament schicken kann, dies in der breiteren Öffentlichkeit so ausgelegt und interpretiert wird, dass es gelungen ist einen zusätzlichen Fidesz-Mann ins Parlament zu wählen.
Halten Sie eigentlich die Idee der Institution des Nationalitätenabgeordneten für richtig?
Das Recht der parlamentarischen Vertretung der Minderheiten ist ein in der Verfassung verankertes Gut. Meiner Meinung nach ist dieses ein natürliches und wichtiges Recht. Das Minderheitengesetz aus dem Jahr 1993 erhielt bereits die Bestimmung, wonach dies in einem eigenständigem Gesetz festgelegt werden sollte – da nichts unternommen wurde, hat das ungarische Parlament über lange Jahre durch selbstverschuldetes Versäumnis Rechtswidrigkeit begangen. Die Fidesz-Regierung löste das Versäumnis mit dem 25%-Stimmenanteil-Mandat für Nationalitätenabgeordnete: Diese Möglichkeit erscheint angesichts ihrer zahlenmäßigen Stärke für die Roma- und die deutschen Gemeinschaft als realistisch, in dem Fall, wenn sie für sich selbst die Registration und die Wahl organisieren.
Die Lösung ist nicht unbedingt mustergültig, da die Nationalitätenabgeordnetensitze zur Gesamtzahl des Parlaments nicht dazugerechnet werden, sondern von den erworbenen Mandaten der Landesliste der Parteien Plätze wegnehmen. Geschweige denn, dass wenn jemand für die Nationalitätenliste abstimmt, dann kann dieser nur für die Wahlkreiskandidaten der Parteien stimmen und keine Stimme auf die Parteiliste abgeben. Ich hoffe darauf, dass durch die Tätigkeit Emmerich Ritters als Abgeordneter die durch die in der Öffentlichkeit sich verfestigende Überzeugung widerlegt wird, Wärter des Fidesz-Zweidrittels zu sein.
Ist aber nicht auch das Vorzugsmandat eine Art Quote? Sie sind ebenfalls Ungarndeutscher, Ihr Gegenüber auch. Es kann sein, dass Sie ein fanatischer Konservativer sind, und der Sie Interviewpartner ein fanatischer Liberaler. Wieso würde ein Nationalitätenabgeordneter ihn, den liberal Gesinnten gut vertreten, nur weil er auch Deutscher ist?
Es geht nicht darum. Sondern, dass Rechte auch den Nationalitäten zugesichert werden sollten, die es garantieren, an der Ausübung der politischen Macht teilzuhaben. Dieses Vorzugsmandat birgt für die ungarländischen Nationalitäten die Chance, um sie aus dem Nachteil, die sich aus dem Minderheitendasein ergibt, hinauszubegleiten, da sie ab ovo nicht alle Staatsbürger ansprechen können. Hierfür stehen unterschiedliche rechtstechnische Mittel zur Verfügung. Beispielsweise gilt in Schleswig-Holstein die 5 %-Hürde für die dortige dänisch-friesische Minderheitenpartei nicht.
Für die Abbildung der weltanschaulichen Vielfalt des Ungarndeutschtums ist die Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen zuständig, in deren Körperschaft jeder über eine Liste gelangen kann, und bei den Vollversammlungen kann ein jeder seine eigene Weltanschauung vertreten. Ich war zweiundzwanzig Jahre dort Abgeordneter, und denke, dass wir der inneren Bandbreite erwachsen gegenüberstanden. Eine andere Frage ist, dass dies unter dem Aspekt der Nationalitätenrechte nicht immer ein Glücksfall ist – im letzteren Fall ist das einheitliche Auftreten gegenüber der jeweiligen Staatsmacht der Schlüssel zum Erfolg.
Zwei Ungarndeutsche sitzen an diesem Tisch und sprechen in perfektem Ungarisch miteinander. Wie deutsch sind eigentlich die Ungarndeutschen, haben sie eine wahrhaftige Beziehung zu Deutschland?
Meinerseits können wir ohne Weiteres gerne deutsch weitermachen! (auch im Original in deutscher Sprache, Anm. Red.)
Von mir aus! (auch im Original in deutscher Sprache, Anm. Red.)
Ich gehöre zu denen, die mit sechs Jahren ungarisch gelernt haben. Vorwiegend spreche ich deutsch, auch mit meinen ungarndeutschen Kollegen bei Jobbik. Die Sprachverwendung der Ungarndeutschen ist ein bedeutungsvolles wissenschaftliches Thema, die sich im historisch-sozialen Umfeld fortlaufend-beständig herausgebildet hat. Bis 1949 war das Ungarndeutschtum de jure, anschließend auch de facto entrechtet. Die Weitertradierung der klassischen Sprachvermittlung wurde unterbrochen – die deutsche Sprache und Kultur versuchen wir nun zu revitalisieren. Zwei Daten möchte ich hervorheben: Wenn wir die Statistik der Volkszählung analysieren, zeigt sich die Tendenz, dass seit dem Systemwechsel die Anzahl der sich als Angehörige der deutschen Minderheit bekennenden Menschen fortlaufend steigt. Seit 2000 wächst, zwar nur gering, aber auch die Zahl derer, die Deutsch als Muttersprache angeben. Teil der Revitalisierung ist auch, dass es bereits dreißig solche Kindergärten und Grundschulen in Ungarn gibt, die in der Trägerschaft der lokalen deutschen Selbstverwaltung stehen. Die in der Bildungspolitik sehr negative Prozesse auslösende KLIK-Politik (die zentralistische Bildungspolitik der Fidesz-Regierungen) hat für die Ungarndeutschen einen positiven Effekt, da zahlreiche Selbstverwaltungen die Institutionen lieber den lokalen deutschen Selbstverwaltungen überlassen, anstatt den gesichtslos-unbekannten Budapester KLIK-Leitern das Feld zu räumen.
Aber gibt es eine tatsächliche Beziehung zwischen Deutschland und den auslandsdeutschen Minderheiten? Im Umfeld des CDU-Bundestagsabgeordneten, der sich mit dem Thema beschäftigt, hat man uns damals gesagt, dass es nicht so modisch sei sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, auch in der CDU nicht, weil dies als überflüssiger Patriotismus gelte.
Unsere Einordnung in die „geduldete Kategorie” ist eine Eigentümlichkeit der deutschen Innenpolitik. Ich möchte hinzufügen, dass es seit den 1990ern einen Beauftragten für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten gibt, der auch für die Spätaussiedler zuständig ist. In der letzten Zeit nehme ich eine gewisse Entwicklung wahr: Es gibt schon ein Koordinationsbüro, Informationshefte werden veröffentlicht, aber Fakt ist, dass die deutschen Minderheiten keine so große Rolle in Deutschland spielen wie für Ungarn die Auslandsmadjaren.
Nicht nur in der deutschen Innenpolitik, auch in den öffentlichen Diskussionen nicht.
Der Bund der aus Ostmitteleuropa vertriebenen Deutschen hat über eine parlamentarische Partei im Bundestag verfügt, das war der Gesamtdeutsche Block / Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten. Im heutigen Deutschland gibt es fast keinen Menschen, in dessen Verwandtschaft es keine vertriebenen Deutschen gibt – wir sprechen über mehr als zehn Millionen Vertriebene. Diese Partei wurde 1961 in die CDU eingeschmolzen. Es war offensichtlich, dass diese Frage nach der deutschen Wiedervereinigung erneut thematisiert werden sollte, aber in öffentlichen Diskussionen erscheint davon nur so viel, dass viele Deutsche nach der Wende aus Russland gekommen sind.
Die zu Hause untereinander russisch sprechen, weil sie kaum deutsch können, und die AfD wählen, viel sei ihnen nicht zu verdanken, meint die Öffentlichkeit.
Wer in einem demokratischen Rechtsstaat egal für wen abstimmt, soll die Privatangelegenheit eines jeden Wahlbürgers sein. Dass der wesentliche Teil der aus Russland gekommenen Deutschen den ausgeglichenen konservativen Standpunkt der AfD für sich sympathisch findet, wundert mich nicht, weil sie genau das sagen, was die CDU vor zwanzig Jahren schon verlautbarte. Ich erinnere mich noch an solche CDU-Slogans wie „Kinder statt Inder”. Wenn das heute ein AfDler sagen würde, würde er gleich als Nazi apostrophiert.
Die deutsche politische und Medienelite ist so stark nach links gerückt, dass ich die unlängst mit dem Auftreten der AfD beginnende Korrektion wohl für einen gesunden Prozess halte. Ich verstehe die aus der historischen Vorgeschichte stammende Motivation der linken Tendenzen, aber ich halte es für wichtig, dass eine moderne patrotische Denkweise des 21. Jahrhunderts auch in Deutschland entsteht.
Gedankenexperiment: Wären Sie in Deutschland Politiker, in welcher Partei wären Sie Mitglied?
Vom von mir gesprochenen mittelbairischen Dialekt augehend würde ich die konservative Flügel der CSU stärken.
In anderen Bundesländern würden Sie schon nicht so begeistert in die CDU eintreten.
Das stimmt.
FDP – rechter Flügel?
Zum Beispiel. Oder die zur Mitte tendierende Flügel der AfD. Aber es ist mit der ungarischen Politik nicht ohne weiteres vergleichbar. In Österreich würde ich zwischen der rechten Flügel der ÖVP und der Mitte der FPÖ schwanken. Ich verstehe, dass solche Fragen für Journalisten interessant sein können, aber wir sprechen über ganz andere innenpolitische Entwicklungsgeschichten durchlebte Parteien, meinerseits sind diese nur ungefähre Positionen.
Was für deutsche literarische Werke würden Sie dem neuen Vorsitzenden von Jobbik, Thomas Sneider, empfehlen, wodurch er sich zur Führung rüsten könnte?
Auf jeden Fall die Klassiker: Goethe und Schiller.
Oder Faust, wie er seine Seele dem Teufel verkauft?
Nein! Ich habe an die moralischen und politischen Entscheidungen gedacht, welche in diesen Dramen erscheinen, und womit alle Politiker konfrontiert werden müssen.
Bild: propeller.hu