Reisenotizen: Roggendorf/Kiszsidány

von Richard Guth

April 2018: Es gibt Orte, die man – wie so „schön” heißt – links liegen lässt, oft zu Unrecht. Zu diesen Ortschaften zählt ohne Zweifel Roggendorf, auf Ungarisch Kiszsidány, früher Németzsidány, unweit der Stadt Güns. Dass der Ort links liegen lässt, ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass er ein Sackgassendorf ist, wohl aber an einer Kreisstraße gelegen, die das kroatische Siegersdorf/Hrvatski Židan mit Tschapring/ Csepreg verbindet. Das Dorf selbst bietet ein gemischtes Bild: Bewohnte und unbewohnte, gar verfallene Häuser wechseln sich, es herrscht an diesem Ostermontag wenig Betrib auf Straßen und Plätzen. Auffallend sind die Familien, die wohl hier gebliebene Verwandtschaft besucht, und einige Autos mit österreichischen Kennzeichen, was aber in dieser Region nichts Ungewöhnliches ist.

Die Mariä-Namen-Kirche in Roggendorf (Bildquelle: fotoport.hu)

Dass aber Vorurteile wie dieses „Links liegen lassen” blitzschnell widerlegt werden können, erfahre ich kurz nach meiner Ankunft, als ich einer Dame aus Budapest begegne, die nach ihrer Pensionierung nach Wichs/Bük zog, „unter anderem wegen der wunderschönen Landschaft am Fuße des Günser Gebirges”. Die 78-Jährige besucht nach eigenem Bekunden oft das Dorf, um dem Brunnen am Rande des Dorfes glasklares Wasser zu entnehmen. Auch über die Vergangenheit und Gegenwart des Dorfes scheint sie Bescheid zu wissen und begründet den massiven Bevölkerungsschwund im einst rein deutschen Roggendorf mit den fehlenden Möglichkeiten im ehemals streng bewachten Grenzstreifen.

„Wir sind nur noch gut 80 Einwohner geblieben”, so meine nächste Gesprächspartnerin im selben Alter. Auch sie ist keine Alteingesessene, sondern eine, die aus Schützen/Lövő eingeheiratet hat, „ganz madjarisch”, wie sie sagt. Das Dorf sei von der Vertreibung verschont geblieben und erwähnt das Beispiel ihrer Schwiegereltern, wo der eine Elternteil aus einer kroatischen Siegersdorfer Familie stammte. Mit der Zeit sei alles anders geworden, Jüngeren seien weggezogen, die Alten verstorben. „Es gibt gerade noch zwei Kinder im schulpflichtigen Alter, die man mit dem Schulbus abholt, weil es hier seit langem keine Schule mehr gibt”. Auch das deutsche Wort sei nicht mehr gegenwärtig und die Dame fängt an aufzuzählen, wer noch im Dorf noch Deutsch sprechen würde, obwohl sich bei der letzten Volkszählung noch über 50% der Einwohner zur deutschen Volkszugehörigkeit bekannt haben. Neben dem Ortsschild weist nur die Aufschrift „Gemeindehaus” auf die deutschen Wurzeln der Gemeinde hin.

Heanzisch-deutsches Bauernhaus im Dorf, heute als Gasthaus benutzt (Bquelle: szallas.hu)

Vom langen Dahinsiechen berichtet auch eine Rentnerin, die mit ihrem Bekannten auf den Günser Bus wartet: „Noch in den Sechzigerjahren hatte das Dorf über 300 Einwohner gehabt.”„Von diesen sind viele weggezogen, nicht wenige nach Österreich und Deutschland. Wir sind gerade noch knapp hundert”, ergänzt der Mann Mitte 50. Eine Entwicklung, die die Dörfer auf beiden Seiten der Grenze betrifft, wie es mein Besuch in Großwarasdorf Sommer letzten Jahres zeigte. Aber einige Neuzugezogene gäbe es auch in Roggendorf, sogar aus der Ukraine, womit er wahrscheinlich Madjaren aus der Karpatoukraine meint. Daneben hätten sich einige Deutsche ein Ferienhaus zugelegt und meint damit die herausgeputzten, aber verwaisten Häuser in der Dorfmitte.

Der einzige Dorfladen habe schon länger zugemacht und zeigen auf das leerstehende Gebäude gegenüber der Bushaltestelle. „Man kann in den großen Lebensmittelmärkten viel günstiger einkaufen. Es gibt einmal pro Woche eine direkte Busverbindung zu Tesco”, so der Mann. „Das ist aber leider kein Einzelfall, dass der Dorfladen zumacht, es gibt viele Beispiele dafür in der Umgebung”, ergänzt die Rentnerin.

Eine Stimmung zwischen Resignation und Anpassungswillen, jedenfalls im krassen Gegensatz stehend zur erwachenden Natur.

Bild:  Google Maps

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