Le Figaro Histoire über Kopernikus: der Sohn zweier Nationen?

von Stefan Pleyer

Wie viele andere europa- und sogar weltweit bekannte Tageszeitungen, so bietet auch die französische Le Figaro ihren Lesern ein Produkt an, das sich mit Fragen der Geschichte beschäftigt. Die Online-Ausgabe selbst gehört zum glaubwürdigen und konservativen Lager von Presseprodukten, aber wie die mittelalterlichen Baumeister der Kathedralen oftmals sagten: „Nur Gott ist perfekt!”, demgemäß dürfen auch angesehene Zeitungen Fehler machen, genauso wie die Figaro über die Abstammung des preußischen Astronoms, Polyhistors Nikolaus Koppernigk: Der Verfasser schenkte ihm in einem frischen Artikel eine brandneue Doppelidentität. (Originaltitel: „Cracovie, Rome, Nuremberg, dans les pas de Copernic”)

Der Beitrag ist bestrebt die geschichtsschreiberische Aufgabe zu erfüllen, nämlich um die glänzende Vielfalt der ethnischen Zusammensetzung des größten Polyhistors zu werben:

„Von deutscher Mutter und von deutschem Vater wurde Nikolaus Kopernikus in Thorn/Toruń, einer Hansestadt an der Weichsel, geboren. Diese im 13. Jahrhundert von den Kreuzrittern errichtete Stadt im preußischen Land gehörte ab 1466 zum Königreich Polen – die Bevölkerung der Stadt blieb überwiegend deutsch. Auch im neunzehnten Jahrhundert, mit dem Aufkommen des Nationalismus, brach eine Kontroverse über die Nationalität des Wissenschaftlers, gegen die Deutschen und die Polen. Heute wird er – wie zu seiner Zeit – eindeutig als polnisch anerkannt. Im Jahr 2010, 467 Jahre nach seinem Tod, ist er wieder in Polen begraben.”

Die Streitigkeiten in der Kopernikusfrage zwischen den deutschen und polnischen Parteien ist überhaupt nicht neumodisch: Vor sieben Jahren, 2011, veröffentlichte die polnische, zu den meistgelesenen landesweiten Presseorganen zählende „Rzeczpospolita” einen Artikel, der Titel lautete: „Kopernik pozostaje Polakiem!‘” (dt. Kopernikus bleibt ein Pole!). Der Auslöser dieses familiengeschichtlichen Fechtens war damals die Frage rund um das europäische Umwelt-Überwachungssystem „GMES”: Welche Namensform von Kopernikus sollte das neue Institut in der Zukunft tragen?

Die bekannten, bereits erforschten historischen Fakten lassen demgegenüber wenige Zweifel für die Neudenker der preußisch-polnischen Geschichte aufkommen. Heute herrscht weitgehend Einigkeit über die Geschichte der Familie „Koppernigk/Koppernig. Selbst der Name Kopernikus oder Copernicus ist eine humanisierte, latinisierte Schriftvariante des „Koppernigks”: Mit diesem Namen kam Nikolaus Koppernigk in der Stadt Thorn an der Weichsel 1473 zur Welt. Von seinem Vater erhielt er seinen Vornamen: Nikolaus Koppernigk (der Ältere) war ein Kaufmann und Schöffe, ähnlich wie die Vorfahren der Familie. Der Name „Koppernigk” stamme ethymologisch von einem bestimmten schlesischen Kirchdorf namens Köppernig in der Stadt- und Landgemeinde Neisse/Nysa (Oberschlesien) ab, also vermutlich begann der lange Weg der Koppernigks in diesem Dorf, um über Krakau in Thorn zu enden.

Die Mutter, Barbara Watzenrode, hatte eine ähnliche Herkunft: Barbara war Tochter eines ebenfalls wohlhabenden Thorner Kaufmanns namens Lucas Watzenrode, der Onkel von Kopernikus mütterlicherseits wurde zum Bischof von Ermland geweiht. Die Herkunft des Namens „Watzenrode” müssen wir genauso in Schlesien suchen, wo eine Siedlung „Wazygenrode”, später Weizenrodau, der Namensgeber der Familie sein sollte.

Stadt Thorn im 16. Jh. (Bquelle: wikipedia.org)

Die Thomasierenden würden da scharf kontern: Ethnie und Sprache sind nicht mit der territorialen Zugehörigkeit zu verwechseln! Wer in Polen geboren wurde, sollte auch polnischer Nationalität sein (diese Tendenz ist verwandt mit der slowakischen Lesart der Geschichte, wenn unsere nördlichen Nachbarn beispielsweise Josef Petzval folgendermaßen beschreiben: „Slovenský génius”). In Wirklichkeit liegt die ehemalige Hansestadt Thorn (heute poln. Toruń) im sogenannten Kulmerland, war eine der ältesten Städte Preußens und stand unter der Herrschaft des Deutschordensstaates. Infolge des Preußischen Städtekrieges 1454-1466 wurde dieses Konglomerat des Deutschen Ritterordens aufgeteilt, und die Hansestadt Thorn bildete im Weiteren einen Teil des frisch etablierten Königreichs Preußen (später als Distrikt Thorn). Es stimmt ja, dass die Stadt die Schutzherrenschaft des polnischen Königs annahm, jedoch blieb die Stadtbevölkerung, das einheimische Bürgertum (von dem Kopernikus abstammte) trotzdem deutsch und deutschsprachig, wie mehr oder weniger die anderen Hanse- und Handelsstädte bis zum Ende der Frühen Neuzeit, in einem Gebiet, das heutzutage zu Polen gehört.

Bild: polskieradio.pl

Folgen Sie uns in den sozialen Medien!

Spende

Um unsere Qualitätsarbeit ohne finanzielle Schwierigkeiten weitermachen zu können bitten wir um Ihre Hilfe!
Schon mit einer kleinen Spende können Sie uns viel helfen.

Beitrag teilen:​
Geben Sie ein Suchbegriff ein, um Ergebnisse zu finden.

Newsletter

Möchten Sie keine unserer neuen Artikel verpassen?
Abonnieren Sie jetzt!