Kleine Brötchen für das große Ziel: Deutsche Selbstverwaltung Rácalmás im Gespräch

Das Gespräch führte: Richard Guth

Alle Jahre wieder kommt nicht nur das Christkind, sondern auch die zweisprachige elektronische  Weihnachtsgrußkarte der Deutschen Nationalitätenselbstverwaltung DNSVW der Stadt Rácalmás an der Donau (Komitat Weißenburg), gezeichnet vom Vorsitzenden Norbert Steiner und Vize Peter Pál. Rácalmás, wie auch der Namensbestandteil „rác” verrät, blickt eher auf eine serbische Vergangenheit zurück. Dennoch ließ mir diese Grußkarte keine Ruhe und habe die Vertreter der deutschen Selbstverwaltung kontaktiert, um mehr über Vergangenheit und Gegenwart der Stadt, die Deutschen in Rácalmás und die Tätigkeit der DNSVW zu erfahren. Meinen Fragen stand der stellvertretende Vorsitzende der DNSVW, Peter Pál, Rede und Antwort

SB: Nun verbindet man mit dem Namen Rácalmás nicht ohne weiteres eine deutsche Minderheit. Was weiß man über die Herkunft(sgeschichte) der Deutschen von Rácalmás? Wie groß ist die deutsche Gemeinde?

PP: In der Tat, der erste Teil des Wortes („rác”) lässt die Präsenz von Serben unter der Nationalitätenbevölkerung vermuten, und tatsächlich gab es in der letzten Amtsperiode in Rácalmás neben der deutschen eine serbische NSVW. Um genaue Angaben machen zu können, habe ich mir die Nationalitätenstatistik angeschaut. Demnach lebten am 04. 01. 2018 neunzehn Menschen in Rácalmás, die sich zur deutschen Nationalität bekannten, und fünf, die zur serbischen. Deswegen wurde die Kleinstadt natürlich nicht in Svábalmás umbenannt. Aber wir wissen alle, dass das nur die Spitze des Eisbergs ist. In den vergangenen Jahrzehnten ereigneten sich viele Dinge in Form von Bedrohung, Angriff und Unrecht gegenüber den ungarländischen Nationalitäten, so dass es verständlich ist, wenn sich jemand immer noch nicht zu seiner Herkunft bekennt. Wenn ich mit den alteingesessenen Rácalmásern rede, stößt man auf Schritt und Tritt – selbst im Falle von Bekannten, die bereits einen ungarisch klingenden Familiennamen haben – auf schwäbische Ahnen. Wenn wir unter deutscher Gemeinschaft diejenigen verstehen, die man erreichen und mobilisieren kann, dann schätze ich die Zahl auf 40-50, aber die Zahl der Menschen deutscher Abstammung kann in Rácalmás 100-150 erreichen, so meine Schätzung.

In letzter Zeit haben sich in Rácalmás viele niedergelassen. Es kamen welche aus der nahegelegenen Großstadt Dunaújváros, aber auch aus Adam/Adony, das über eine große deutsche Gemeinschaft verfügt. Naturgemäß gibt es unter den Neusiedlern auch Deutschsstämmige. Ich bin auch nicht in Rácalmás geboren, meine Großmutter, die bis zur Einschulung nur Deutsch (Schwäbisch) sprach, erzählte, dass unsere Vorfahren aus dem Schwarzwald kamen, aber Genaueres wusste sie auch nicht mehr.

Aber wenn wir die Vergangenheit von Rácalmás untersuchen wollen, müssen wir uns lediglich in den katholischen Friedhof begeben. Die Grabsteine lügen nicht. Sie zeugen davon, dass die katholischen Bauers, Müllers, Steiners, Fischers, Rodenbücherers, Stumphausers und Zimmermanns seit langem im Ort wohnen. Nach unseren Untersuchungen kamen nach dem Zweiten Weltkrieg aus zahlreichen Orten Deutschstämmige nach Rácalmás, die aber keine einheitliche Gemeinschaft bildeten, denn damals war es nicht gerade sinnvoll, als Angehöriger einer Minderheit die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Ihre Kinder sind bereits in diese Situation hineingeboren. Ich habe einen meiner Freunde mit einem „echten” deutschen Namen gefragt: „Du, Laci (Ladislaus), mit so einem Namen sprichst Du sicherlich gut Deutsch?!” Worauf er entgegenete: „Meine Großeltern sprachen untereinander nur Deutsch”. Als ich es mir vorgenommen habe, dass auch ich die Sprache erlernen würde, hieß es, ich soll es lieber lassen, es könnten Komplikationen geben. Mit der Sprache sind auch Brauchtum, Tracht und Bräuche in Vergessenheit geraten.

In Rácalmás wurde also die DNSVW 2010 nicht von einer zahlenmäßig starken deutschen Gemeinschaft gegründet, sondern von einer kleinen Gruppe, mit dem Ziel, aus der Gruppe deutschstämmiger Menschen eine Gemeinschaft zu formen. Die deutsche Gemeinschaft müssen wir noch aus ihrem Dornröschenschlaf wecken. Im Rahmen der DNSVW, die sich 2014 konstituierte, arbeiten wir mit dem Vorsitzenden Norbert Steiner mit all unserer Kraft daran.

SB: Sie haben erzählt, dass die DNSVW 2010 gegründet wurde: Wer war bei der Gründung dabei? Gibt es darüber hinaus ein ungarndeutsches Kultur- und Vereinsleben? Gibt es deutschen Nationalitätenschulunterricht, wenn ja, in welcher Form und in welchem Umfang?

PP: Die DNSVW wurde 2010 von Dr. Viktor Nagy – der in der vergangegen Amtsperiode Vorsitzender war -, Johann Lampert, Norbert Steiner und Thomas Wiedermann gegründet. Aus Befangenheitsgründen konnte 2014 aus dieser DNSVW nur Norbert Steiner seine Arbeit fortsetzen, der seitdem Vorsitzender der Selbstverwaltung ist. Die DNSVW schuf nach ihrer Konstituierung eine Gemeinschaft namens Deutschclub, zu der wir bis Mitte letzten Jahres engen Kontakt pflegten und schöne Erfolge erzielten. Vor einem halben Jahr etwa verschlechterte sich unsere Beziehung zum Clubobmann, weil es ihm immer schwerer fiel, zu akzeptieren, dass auf unseren gemeinsamen Veranstaltungen auch der Name der DNSVW auftaucht.

2014 – nach ein-zwei Jahrzehnten – wurde in der Grundschule von Rácalmás der Deutschunterricht eingestellt. Deshalb ist für die DNSVW höchste Priorität, dass der Deutschunterricht wieder eingeführt wird bzw. die Möglichkeit des Erlernens der Sprache zu bezahlbaren Konditionen gegeben ist. Da die Rückkehr zum Deutschunterricht nach Stundenplan nicht so einfach ist, bieten wir für die Schüler die Möglichkeit des Sprachlernens zu Sonderkonditionen in Form von AGs an. In diesen Wochen wird gerade auch in Kulcs (bis 1992 Teil von Rácalmás) eine Deutsch-AG gegründet. Wir unterstützen darüber hinaus den Deutschunterricht an einer Fachoberschule in Dunaújváros und werden ab Herbst zwei Sprachkurse für Erwachsene einrichten.

SB: Welche regelmäßige Aktivitäten entfaltet die DNSVW? Werden diese auch nachgefragt?

 PP: Regelmäßig, das heißt wöchentlich, finden die Deutsch-AG und die Kurse für Erwachsene statt. Wie gesagt, von den Traditionen und Bräuchen ist bis zur Bildung der Selbstverwaltung nichts mehr übrig geblieben, da waren wir 60 Jahre zu spät. Die Bräuche rund um das Deutschtum mussten, müssen wir neu erschaffen. Gott sei Dank gab es zu der Zeit in der Umgebung von Rácalmás bereits andere Selbstverwaltungen (wie in Adam, Herzogendorf/Mezőfalva und Zirtz/Zirc), die sofort ihre helfende Hand ausgebreitet haben und sich der Pflege der bei uns erhaltenen Traditionen angenommen haben. Natürlich haben wir auch „eigene Traditionen” geschaffen, wenn man so was sagen kann. Mit dem Deutschsprachklub zusammen haben wir 2016 den Deutschen Advent veranstaltet, wo wir mit deutschen Liedern, Gedichten und Stücken das Fest feierten.

Ende Mai findet zum vierten Mal das Frühlingsfest und am 20. Januar das erste Mal – aber in der Hoffnung auf Fortsetzung – der „Sautanz”, ein Ereignis rund um das Schweineschlachten, statt. Das sind die Programme, wo wir uns in größerer Zahl zusammentreffen, und wo wir unsere Freunde bewirten, gemeinsam singen und uns erste Tranzschritte aneignen können.

Unter den regelmäßigen Veranstaltungen finden wir noch die Schwabenbälle und Oktoberfeste befreundeter Selbstverwaltungen und die Aufnahme und Pflege von Kontakten zu anderen Gemeinden mit deutscher Bevölkerung und Nationalitätenselbstverwaltungen. In dessen Rahmen haben wir Zirtz, Moor/Mór, Hartau/Harta, Merk, Segedin, Totis/Tata und natürlich Adam und Herzogendorf besucht, die beiden letztgenannten Orte mehrfach. Die 40-50 Reiseteilnehmer rekrutieren sich aus einem festen Kreis von 70-80 Personen. Großer Beliebtheit erfreuen sich die Sommerausflüge „Auf den Spuren unserer Ahnen”, in deren Rahmen wir bereits das Partium und Bayern besucht haben.

Die Selbstverwaltung wird im diesen Jahr zum siebten Mal die Broschüre „Stadtanzeiger, so bunt wie das Leben” herausgeben, die über bereits stattgefundene und geplante Programme, über Pläne und Vorhaben der DNSVW informiert. Darin findet man aber auch Beiträge über schwäbische Traditionen als auch schwäbische und deutsche Rezepte.

SB: Welche Rolle spielt die deutsche Sprache bei Ihren Aktivitäten?

 PP: Leider Gottes, wie schon erwähnt, sprach in meiner Familie nur noch meine Oma auf Muttersprachenniveau Deutsch/Schwäbisch. Für mich war das eine Sprache, die ich erlernen musste, und dieser Lernprozess ist noch nicht abgeschlossen. Im Organigramm der DNSVW ist es meine Aufgabe, sich für den Deutschunterricht einzusetzen, was wir auch auf die Umgebung von Rácalmás ausdehnen wollen. Es ist keine leichte Aufgabe. Es wird zunehmend schwieriger Deutschlehrer zu finden und die Eltern dazu zu bewegen, ihre Kinder zum Deutschunterricht anzumelden, wenn man überall von der Alleinherrschaft und der Bedeutung des Englischen hört. Wenn sie dann ihr Kind mit geringen Englischkenntnissen in London wiederfinden, dann kommen sie erst darauf, dass man es hätte anders machen sollen, aber dann ist es schon zu spät.

Wir von der DNSVW versuchen es, Rolle und Präsenz der deutschen Sprache auf solchen Foren zu stärken, auf die wir Einfluss haben. Unsere Veranstaltungen beginnen wir mit der Volkshymne der Deutschen in Ungarn, und während des Kulturprogramms überwiegen deutschsprachige Produktionen. Wenn wir schwäbische Orte aufsuchen, bedanken wir uns in der Regel mit einem deutschen Liederstrauß. Die letzte Nummer des Stadtanzeigers ist bereits zweisprachig erschienen. Auf einer geförderten Sportveranstaltung konnte man beispielsweise mit dem Ausfüllen des Tests „Wie sagt man das auf Deutsch?” Punkte und Geschenke gewinnen. Das sind winzige Schritte, womit wir versuchen, erst einmal an den Festtagen, die deutsche Sprache wiederzubeleben. Bei unserer Generation ist die deutsche Sprache bereits eine Fremdsprache, ich sehe nicht die Möglichkeit, wie man sie in den Alltag zurückholen könnte.

 SB: Lassen Sie mich genauer nachfragen: In welcher Sprache begrüßen  Sie die Gäste auf den Veranstaltungen und in welcher Sprache werden die Reden gehalten?

 PP: Das hängt im besonderen Maße von den Sprachkenntnissen des Redners, aber allen voran des Publikums ab. Wir in Almasch sprechen – aufgrund der bereits dargestellten Sprachprobleme – Ungarisch. Wo wir bisher waren, auch dort waren Eröffnungsreden, Grußworte in ungarischer Sprache charakteristisch, lediglich bei größeren Veranstaltungen und wenn deutsche Gäste zugegen waren, traf ich auf zweisprachige Reden. Beim Programm überwiegt dann die deutsche Sprache. Auf den Punkt gebracht: Wir sind wenige, die die deutsche Sprache sprechen, und noch weniger, die sie gut beherrschen, worauf wir keinesfalls stolz sind. Dass jemand vor einem größeren Publikum gut spricht, auf Deutsch spricht, und möglichst so, dass das auch andere verstehen, bedarf es vielseitiger Kenntnisse. Vielleicht unsere Kinder, wenn sie an eine Gemeinschaft geraten, wo es erwartet wird. Es sind keine Sätze, die einen begeistern, aber so sehe ich die Gegenwart.

SB: Wie (er)leben die Deutschen von Rácalmás ihr „Ungarndeutschsein”? Lassen sich irgendwelche positive Trends hinsichtlich Identität und Benutzung der deutschen Sprache bei den Deutschen beobachten?

 PP: Die Integrations- bzw. Assimilationsbestrebungen bestimmter politischer Kräfte in der Vergangenheit haben in Rácalmás ganze Arbeit geleistet. Bei der Mehrzahl der deutschstämmigen Menschen ist es lediglich der Familienname, der auf die deutsche Herkunft hindeutet. Aus diesem „Dornröschenschlaf” will die DNSVW durch ihre Veranstaltungen und Tätigkeit das Deutschtum in Rácalmás wecken. Dies erscheint manchmal wahrlich als Windmühlenkampf, aber es ist unser Auftrag. Die Zahl der Teilnehmer an unseren Veranstaltungen und die positiven Rückmeldungen geben uns dabei von Zeit zu Zeit Kraft um weiterzumachen.   

 SB: Wie ist die Zusammenarbeit mit der LdU und der Stadt?

PP: Die LdU und die örtlichen NSVW arbeiten in ganz unterschiedlichen Dimensionen und das ist in Ordnung so. Aufgabe der LdU ist die Lösung überregionaler und regionaler Probleme, unsere hingegen: die Stellung zu halten. Um es auf den Punkt zu bringen: Wir fanden bislang nur eine einzige Ausschreibung, was auf uns zugeschnitten war (wir wurden auch gefördert), da wir im Vergleich zu den anderen Selbstverwaltungen – um die 60 Jahre, von den ich bereits gesprochen habe – im Rückstand sind. Die LdU unterstützt, was völlig nachvollziehbar ist, ihre Projekte zur Weiterentwicklung und Erhaltung der Gemeinschaft, unsere Probleme bewegen sich ja erst auf der Ebene der Sammlung und Etablierung.

Zum Magistrat pflegen wir über die gesetzlich festgelegten Rechte und Pflichten ein eher vorsichtig-distanziertes Verhältnis, was wir aber vielleicht in diesem Jahr überwinden können. Aber auch das betrachten wir als ein Fortschritt, denn in der vorigen Amtsperiode war dieses Verhältnis eher von einer gewissen Feindseligkeit geprägt.

SB: Wie sehen Sie persönlich Gegenwart und Zukunft der Ungarndeutschen?

PP: Eindeutig optimistisch. Die Geschehnisse der letzten zehn oder eher zwanzig Jahre, die Minderheitenpolitik der jetzigen Regierung stimmen einen zuversichtlich. Unsere Generation als Dritte des damaligen Gedichts (Der erste hat den Tod, der zweite hat die Not, der dritte erst das Brot) darf die Früchte des Opfers der Ahnen ernten. Das bedeutet aber nicht, dass wir nichts mehr zu tun hätten. Auch unsere Ahnen haben nichts umsonst bekommen, sie mussten um alles kämpfen. Wir stehen vor einer großen Chance durch die Möglichkeit der parlamentarischen Vertretung. Das könnte gelingen, wenn wir uns zusammentun. Ganz ähnlich wie bei unseren Vorfahren.

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