1994 sind im Teil II des Bandes „Ausgewählte Probleme europäischer Landnahmen des Früh- und Hochmittelalters” (herausgegeben von Michael Müller-Wille und Reinhard Schneider im Jan Thorbecke Verlag, Sigmaringen 1994), zur methodischen Grundlagendiskussion im Grenzbereich zwischen Archäologie und Geschichte, auch zwei besonders interessante Arbeiten über die Landnahme der Ungarn aus archäologischer und historischer Sicht erschienen (Mesterházy S. 23—64, Győrffy S. 67—79).
In seiner Arbeit „Die Landnahme der Ungarn aus historischer Sicht” ging György Györffy auf den Namen Magyaren — Ungarn ein. (Richtigerweise kann man die Mehrzahl von Ungar nur mit „Ungaren” bilden, wie es auch bei Magyar — Magyaren, Bulgar— Bulgaren, Onogur — Onoguren, Chasar— Chasaren, Tatar — Tataren usw. der Fall ist. Dann bliebe „Ungarn für den Landesnamen vorbehalten und auch schriftlich vom Volksnamen Ungaren” unterscheidbar. — G. H.) Er belegt trefflich, dass die am Ende des 9. Jahrhunderts in Pannonien landnehmenden Ungar(e)n „in ihrer physischen Gestaltung, Sprache und Kultur von den altugrischen Magyaren so weit entfernt und von türkischer Oberschicht, Gefolgschaft und Volksteilen so stark infiltriert (waren), dass die heterogenen landnehmenden Ungaren von den Byzantinern mit Recht als Turkoi bezeichnet wurden”. Auch könne die Bezeichnung „Magyaren” „für die mit Slawen zusammenlebenden Ungaren des 10. Jahrhunderts noch weniger gelten (S. 68). Der Name „Magyaren“, „eine Bezeichnung, die seit dem 19. Jahrhundert in den Fremdsprachen aus politischen Gründen bewußt verbreitet wurde”, gälte laut Györffy „also für das heterogene Kriegervolk der landnehmenden Ungaren nicht, nur für die Ungarn einer früheren Periode, als die magyarischen Stämme noch nicht mit Onoguren und Chazar-Türken zusammengelebt hatten.”
Wenn Györffy (S. 67-68) so überzeugend belegt, dass die in Pannonien landnehmenden Madjaren (Magyarok) wegen ihrer ongur-türkischen Infiltration eigentlich Ungar(e)n heißen müssten, so ist dieser letztere Name kein Problem für die außerhalb Ungarns gesprochene deutsche Sprache, da diese ja sowieso dem lateinischen Sprachgebrauch (Hungarus, Hungaros) gefolgt war. Man fragt sich also, weshalb er diese Erklärung in deutscher Sprache propagiert? Es ist doch wohl so, dass er seine Landsleute nie überzeugen können wird, sich nun „ungároi” (Einzahl: „ungár ember”) und ihr Land „Ungárország” zu nennen. Und wenn also der Name „magyarok“ und „Magyarország” im Lande selbst weiterhin gültig bleibt, hat es doch kaum Sinn, im Ausland „ungárok” und „Ungárország” als gültigen Namen zu verlangen.
Anders war die Situation im vormaligen Österreich-Ungarn und anders ist sie noch heute in Rumänien. So z. B. hatte Prof. Carl Göllner im Bukarester „Neuen Weg” vom 13. Januar 1990 unter dem Titel „Sind wir ‚Deutschstämmige’?”die Tatsache kritisiert, dass in der Bundesrepublik die Rumäniendeutschen nur „Deutschstämmige” oder „deutschstämmige Rumänen“ genannt wurden, während man die Rumänienungar(e)n nur „Ungarn” und nie „ungarischstämmige Rumänen” nannte. Wenn jemand wie die Ungarndeutschen (zu denen ja bis 1918/19 ein Großteil der Rumäniendeutschen gehört hatte) zwischen 1880 und 1910 etwa eine Million Leute durch die Assimilierung ans Madjarentum (nicht: Ungarntum!) verloren hat, ist er bei dieser Unterschiedsmacherei sehr hellhörig. Diese Assimilanten hießen immer nur „Madjaronen” (nie: „Ungaronen”), weil diesem Ausdruck das Wort „elmagyarosítani” (madjarisieren), weg- oder vermadjarisieren, zugrunde liegt. Auch sind die in Siebenbürgen lebenden Szekler „madjarisierte Onogurbulgaren” (so in: Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 1/1987, S. 90), keine „ungarisierten Onogurbulgaren”. Die rumänische Sprache kennt klar den Unterschied „limba maghiará = madjarische Sprache” und „Ungaria = Ungarn”, da es ein Land „Maghiaria” nicht gibt.
In der früheren ungarndeutschen Literatur verstand man unter „Ungarn” das Ungarland = „Magyarország” und unter „Ungar(e)n” (mundartlich: Ungre) dessen Bewohner, egal welcher Nationalität auch. Unter „Madjaren” wurden aber nur die Rasse-Madjaren verstanden – kein in Ungarn lebender Deutscher war ein „magyar ember”. Maria Theresia, als ungarische Königin, konnte in 1778 (anläßlich des Anschlusses dec Temescher Banats an Ungarn) echt hurra-patriotisch erklären „Ich bin eine gute Ungarin”, denn sie nannte sich ja nicht „Madjarin”. Der „Pangermane” Edmund Steinacker wurde wegen seines Artikels „Ungarisch-madjarisch, böhmisch-tschechisch” in der „Gross-Kikindaer-Zeitung” vom 3. November 1901, in welchem er den Beweis erbrachte, dass es keine ungarische, sondern nur eine madjarische Sprache gibt, so wie es keine amerikanische, schweizerische noch österreichische Sprache gibt, gerichtlich verfolgt.
Als Dr. Hans Weresch (aus Deutsch-Bentschek) einmal zum Thema Madjarisierung Stellung ergriff (Banatia — Erlebnisse und Erinnerungen. Festschrift, Freiburg-Breisgau 1976, S. 27—28), schreibt er folgendes: „Man kann den Madjaren die Anerkennung nicht versagen, dass sie bei der Madjarisierung der im Lande wohnenden nichtmadjarischen Volksgruppen geschickt vorangingen. (…) Die madjarisierte Intelligenz fühlte sich dem Madjarentum gegenüber (…) zu Dank verpflichtet (…) Der Baum des deutschen Volkstums in Ungarn wunderte sich, dass er madjarische Blüten angesetzt hatte”.
Wie man sieht, wäre ein Verzicht auf den Unterschied „ungarisch-madjarisch” ein Verlust an Unterscheidungsgenauigkeit, den die ungarndeutsche historische Literatur nicht hinnehmen kann.
Quelle: DER DONAUSCHWABE, 10. August 1997
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