Reisenotizen spezial: Auf Bleyers Spuren in der Batschka

von Richard Guth

Es klingt wie eine Zustandsbeschreibung der deutschen Minderheit in Ungarn, nur Ort und Nationalität des Erzählers unterscheiden sich: „Mein Jahrgang, 1961, war der letzte, der eine ungarische Volksschulklasse besuchte. Die Minderheitensprachen tauchen im Alltag immer seltener auf, die zahlreichen Mischehen tun ihr Übriges. Eine Lehrerin aus Neusatz besucht die serbischsprachige Schule und bietet den madjarischen oder madjarischstämmigen Schülern fakultativ Ungarischunterricht an.” Der Erzähler heißt Zoltán Faragó, er ist Vorsitzender des Ungarischen Bildungsvereins „Sándor Vecsera” und kommt aus Plankenburg/Bačka Palanka.

 

Zoltán Faragó und Pfarrer František Gašparovský erzählen über das Vojvodianer Minderheitenleben

 

Wir befinden uns im südlichen Teil der Batschka, nicht weit von der Hauptstadt der Autonomen Provinz Vojvodina, Neusatz/Novi Sad entfernt. Eine Vielvölkerregion, und dies seit Jahrhunderten, wenngleich das einst bestimmende Deutschtum fast verschwunden ist: „Es gibt gerade noch neun Deutsche in Tscheb/Čelarevo”, ergänzt Pfarrer František Gašparovský, der Angehöriger der slowakischen Minderheit ist und in der Slowakei Theologie studiert hat. Er betreut, als einer der beiden slowakischen Geistlichen im Bistum Maria-Theresiopel/Subotica, sechs Gemeinden. Im gesamten Gemeindeverbund (opština) Plankenburg, zu dem der Geburtsort von Bleyer, Tscheb, auch gehört, leben kaum noch 150 Deutsche, bei einer Bevölkerungszahl von 60.000. Die Opština wird heute ohnehin von orthodoxen Serben dominiert, die gut 80% der Gesamtbevölkerung stellen und die mit der Zeit – nach der Verschleppung, Ermordung und Vertreibung der deutschen Bevölkerung – auch einst deutsch besiedelte Orte wie Tscheb neubesiedelten. Neben den Serben gibt es eine bedeutende slowakische Gemeinde, die 10% der Bevölkerung stellt und überwiegend evangelisch ist, und eine madjarische und kroatische Gemeinde, wobei sich die Präsenz der Vojvodinamadjaren fast nur auf die Stadt Plankenburg beschränkt.

 

Wo einst das Geburtshaus Jakob Bleyers in Tscheb stand…

 

„Wir in der Diaspora haben mit ganz anderen Problemen zu kämpfen als die Madjaren in der Nordbatschka rund um Maria-Theresiopel/Subotica. Es gibt nicht mehr den Druck wie früher, beispielsweise in der Zeit der Balkankriege, aber wirtschaftlich ist die Lage bedrückend. Es fehlen Arbeitsplätze, so dass wir arm wie die Kirchenmaus sind. Daneben beobachten wir, dass Serben in der freien Wirtschaft bevorzugt werden”, so Vereinsvorsitzender Faragó. Dies gehe nach seinen Worten mit einer starken Abwanderung einher, und erinnert sich an die Zeiten vor der Wende zurück, als die Vojvodina viel besser da stand als Ungarn. Eine Erkenntnis, die auch das äußere Erscheinungsbild der Städte und Dörfer stützt. Die Abwanderung gen EU-Ausland wird auch von politischen Entscheidungen wie die Vergabe der ungarischen Staatsangehörigkeit an Auslandsmadjaren befördert, auch Faragó selbst besitzt die (serbisch-ungarische) doppelte Staatsbürgerschaft. Die Kirchenstatistiken bestätigen die Folgen von Assimilierung und Abwanderung: Die ungarische 9-Uhr-Sonntagsmesse in der Stadt würden 20-30 Menschen besuchen, die kroatische heilige Messe in Tscheb, die monatlich stattfindet, lediglich sechs, berichtet Pfarrer Gašparovský und zählt mit seinen Fingern nach. Aber es gibt sie noch, wohingegen der Friedhof in der Nähe der 1802 erbauten Kirche von der deutschen Vergangenheit von Tscheb zeugt. Die Suche nach dem Grab der Eltern von Jakob Bleyer, das erste Ziel der Reisegruppe, blieb nicht erfolglos: Es versteckt sich im Schatten des Fußballstadions im deutschen Sektor des Gemeindefriedhofs.

 

Die Reisegruppe beim Grab der Bleyer-Eltern: Jakob Bleyer u. Veronika Stern

 

Ortswechsel, die Reise geht weiter. „Hier im Telep gibt es kaum noch Madjaren”, erzählen zwei ältere Damen in der Attila-József-Gasse in Neusatz/Novi Sad, als ich sie anspreche. Sie mögen recht behalten, wenngleich es an diesem heutigen Abend mehrfach für Begegnungen mit Madjaren reicht, selbst im belebten Stadtzentrum der Metropole an der Donau, die mittlerweile 400.000 Einwohner zählt. Dabei kann Neusatz diese rasante Entwicklung in den vergangenen hundert Jahren von einer verschlafenen Provinzstadt zum bedeutenden Wirtschaftszentrum in Serbien erst gar nicht verstecken: Die kleine Altstadt mit ihren wenigen Gassen wird regelrecht erdrückt von Hochhaussiedlungen und breiten Boulevards.

 

Der Vorsitzende des Batschkaer deutschen St. Gerhard-Vereins, Anton Beck hält Stadtführung in Sombor

 

Obwohl es nicht immer so war. Zu Zeiten, als Neusatz zum Königreich Ungarn gehörte, war es nicht einmal Komitatssitz. Sombor hieß damals die Hauptstadt von Batsch-Bodrog, unweit der ungarisch-serbischen Grenze gelegen, in der Nordbatschka. Von der ruhmreichen Vergangenheit zeugt das überdimensionale Rathaus, einst Komitatssitz, in der Mitte des Ortes. „Nach dem Weltkrieg war Sombor zu 60-70% von Madjaren bewohnt, heute haben sich die Anteile umgekehrt. In der Stadt von Sombor mit ihren 60.000 Einwohner leben heute etwa 3500 Madjaren. Was aber erfreulich ist, dass sich 1500 Menschen zu ihren donauschwäbischen Wurzeln bekennen”, berichtet der Vorsitzende des vor knapp zwanzig Jahren gegründeten Deutschen Vereins „St. Gerhard”, Anton Beck. „Viele Ältere sind auch noch heute voller Angst, was verständlich ist vor dem Hintergrund, was ihnen zum Beispiel im nahe gelegenen Palast widerfuhr. In den 10-15 verbliebenen deutschen Familien wurde fortan ungarisch gesprochen, so dass die Deutschen heute sprachlich weitgehend assimiliert sind”, ergänzt Beck. Diesen Befund veranlasste die Gründer des Vereins, in Zusammenarbeit mit dem Institut für Auslandsbeziehungen ifA, das Praktikanten und Kulturmanager stellt, und der Donauschwäbischen Kulturstiftung, aktiv zu werden. Das Ergebnis lässt sich sehen: Von der Katholischen Kirche wurde ein Grundstück für 99 Jahre gepachtet, auf dem von 15 Freiwilligen und durch die Unterstützung von Renovabis ein Deutsches Haus errichtet wurde. „Wir sind die Einzigen, die ein solches Haus im Land besitzen”, sagt Anton Beck stolz. Aber jedes Haus muss mit Inhalt gefüllt werden: So treffen sich donnerstags und samstags sechs Gruppe je 20-25 Kinder zu Deutschbeschäftigungen und zwei Theatergruppen. Darüber hinaus unterstützt der Verein die billingualen Kindergartengruppen im Ort und den Deutschunterricht an der Schule (zwei Stunden pro Woche). Auch Camps, Ausstellungen, Filmabende und Wallfahrten gehören nach Worten des Vorsitzenden zum Programm des Vereins, der 700 deutsche Mitglieder hat und sich unter anderem aus den Kursgebühren finanziert. Monatlich einmal findet im Haus ein deutscher Gottesdienst statt, man könne sich, so Beck, auf die deutschen Sprachkenntnisse der sechs Pfarrer des Gemeindeverbunds verlassen, die ansonstens in der einen Woche kroatische, in der darauf folgenden ungarische Werktagsmessen lesen, ergänzt um die je  zwei ungarische und kroatische Messen am Sonntag. Gelebte Gleichberechtigung also.

 

Ehrerbietung der Jakob Bleyer Gemeinschaft vor den Opfern des Gakowaer Todeslagers

 

Das letzte Ziel der Reisegruppe galt der Erinnerung der Opfer des Lagers Gakowo, fünfzehn Kilometer von Sombor entfernt. Der deutsche Friedhof ist verwahrlost, es wird nur noch der serbische gepflegt. Die einst deutsche Gemeinde wird heute von Serben bewohnt. An die einstigen donauschwäbischen Bewohner und die Lagerinsassen erinnert ein Kreuz mit einer Tafel in vier Sprachen am Rand des Gemeindefriedhofs, als Mahnung an die Nachwelt, die allmählich anfängt aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen.

 

Ehemaliger deutscher Friedhof in Gakowa

 

Foto: Richard Guth

 

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