Von Kathi Gajdos-Frank
Das reiche Brauchtum von Törökbálint, das Pflegen der volkskundlichen Schätze mit ungarndeutschen Wurzeln ist eine wunderschöne Aufgabe. In meiner Kindheit war die Geschichte der Ungarndeutschen, ihre Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg ein Tabuthema, offiziell hörte man erst im März 1987, an einer Historikerkonferenz in Budapest darüber und über die Frage der Verantwortung. In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre konzentrierten sich dann die Forschungen auf die Vertreibung und es wurden die in den Regionalarchiven aufbewahrten Dokumente bearbeitet. Das führte dazu, dass sich die Aufmerksamkeit der ForscherInnen der Lokalität und der Regionalität zugewandt hat. Die Ortsgeschichte konnte so, neben der Landesgeschichtsschreibung unsere Kenntnisse ergänzen und bereichern.
Die Geschichte der Ungarndeutschen, ihre Traditionen und ihre Vertreibung gehören auch seit der Wende zu jenen Kapiteln, über welche die durchschnittlichen Ungarn heute nur noch am Rande etwas wissen. Das ist auf örtlicher Ebene genauso. Die VerfasserInnen der vorliegenden Beiträge haben den Versuch unternommen, einige der bisher erst mangelhaft ausgeleuchteten Themen zu erforschen. Ihre Arbeit, die die reiche Vergangenheit der örtlichen Gemeinschaft erschließt ist beachtenswert: Frau Dr. Erika Csébfalvi Szalai hat über die Sitten und Bräuche in Törökbálint, Frau Ildikó N. Császi über die geographischen Namen von Törökbálint, Herr Vendel Pettinger-Szalma über die ethnischen und religiösen Aspekte von Törökbálint (1800-1960) und Frau Ágnes Simon über die Geschichte und Integration der aus Törökbálint vertriebenen Ungarndeutschen in Baden-Württemberg einen interessanten Beitrag verfasst.
Dr. Kathi Gajdos-Frank
Frau Dr. Erika Csébfalvi Szalai beschreibt in ihrem Beitrag detailliert die alten Sitten und Bräuche in Törökbálint. Besonders gut fand ich den letzten Teil der Arbeit, wo die Verfasserin über die heutigen „Variationen” der alten Sitten und Bräuche erzählt. Berührend schön hat sie in ihrer Einleitung das Ziel der Arbeit zusammengefasst, hoffentlich werden viele LeserInnen – nicht nur aus Großturwall/Törökbálint – ihren Beitrag lesen: Frau Dr. Erika Csébfalvi Szalai möchte mit ihrer Arbeit dazu beitragen, dass die Beziehung der jungen Generation zur deutschen Nationalität und zur deutschen Sprache durch das Kennenlernen und Pflege der Kultur und Tradition ihrer Ahnen stärker wird. Mit der Meinung der Verfasserin bin ich absolut einverstanden, sie schreibt, dass wenn die Kinder ihre Wurzeln und Kultur kennenlernen und sie ihr ganzes Leben lang pflegen, dann werden sie diese auch an die nächste Generation weitergeben können. Die Arbeit von Frau Dr. Erika Csébfalvi Szalai empfehle ich nicht nur an den Nachkommen der Ungarndeutschen, sondern an alle, denn – wie das die Verfasserin auch erwähnt – jede Nationalität (…) bereichert diese vielfarbige Welt, sie ist also ein Wert.
Der Beitrag von Frau Ildikó N. Császi mit dem Titel „Die geographischen Namen von Törökbálint” ist ein Auszug aus einer erfolgreich verteidigten Diplomarbeit aus dem Jahre 1988. Das Thema fand ich besonders treffend, denn die geographischen Benennungen können genauso viel über unsere Vergangenheit, über unsere Geschichte erzählen, wie die schriftlichen Dokumente. Denken wir nur an die Straßennamen nach dem Zweiten Weltkrieg oder nach der Wende. In der Einführung des Beitrages können die Leser Großturwall/Törökbálint kennenlernen, dann kommen die geographischen Namen, hier geht es vor allem um ungarische und deutsche Angaben. Ich freute mich sehr darüber, dass die alten geographischen Namen nach alter Rechtschreibung aufgeschrieben wurden, sie sind hilfreiche Ergänzungen weiterer Forschungen, denn sie sind originale Dokumente der Kartographie des 19-20. Jahrhunderts. Die Verfasserin hilft den LeserInnen in ihrer „Útmutató”/”Anleitung”, wie man die geographischen Namen findet beziehungsweise weist auf die richtige Schreibweise hin (was bei ungarischen und deutschen Angaben besonders hilfreich ist) und listet die, für die Informanten unbekannten, mit Hilfe der Karte jedoch lokalisierten Namen. Die Sammlung von Frau Ildikó N. Császi aus dem Jahre 1987 und die typologischen Untersuchungen können bei anderen Forschungen verwendet werden, zum Beispiel beim Vergleich mit den Namen anderer Regionen. Der Beitrag wird die Ortshistoriker der Umgebung bestimmt zu weiteren Forschungen anregen.
Peter Scheidlinger und Wendelin Pettinger-Szalma
Der Beitrag von Herrn Wendelin Pettinger-Szalma über die ethnischen und religiösen Angaben von Törökbálint zwischen 1800 und 1960 wird nicht nur für die Ortsgeschichte, sondern auch für die Forscher der Region interessant sein. Besonders wertvoll an der Arbeit ist der Vergleich der Gemeinde Törökbálint mit weiteren 7 Gemeinden, mit Torbágy/Kleinturwall, Bia/Wiehall, Páty/Bath, Zsámbék/Schambeck, Budakeszi/Wudigeß, Budaörs/Wudersch und Diósd/Orasch. Die breite Zeitspanne ist auch zu loben, der Verfasser untersuchte die Assimilierungsprozesse vom Ende des 17. Jahrhunderts bis zum Jahre 1960. Die vielleicht interessanteste Untersuchung ist das Schreiben über die Vermehrung der Zahl der Bevölkerung in der Agglomeration und die vom Verfasser darüber erstellte Tabelle. Herr Vendel Pettinger-Szalma erwähnt hier weitere, in der Umgebung von der Großstadt Budapest liegende ungarndeutsche Gemeinden, wie zum Beispiel Soroksár, wo sich die Gesellschaft genauso veränderte, wie in Törökbálint: bis zur Jahrhundertwende wurden aus den örtlichen Bauern Kleinunternehmer und Handwerker mit bäuerlich-bürgerlicher Lebensweise. Neben den gesellschaftlichen Veränderungen konnte man ab den 1880-er Jahren immer genauer die muttersprachlichen und religiösen Verhältnisse untersuchen und die Auswirkungen der Urbanisierungsprozesse wurden spürbar. Die Forschungen aus diesen Jahrzehnten, die zahlreichen interessanten Angaben in den vom Verfasser erstellten Tabellen – über die Bevölkerung, Muttersprache oder Vertreibung – werden die Forscher, Historiker zu weiteren Arbeiten inspirieren. Wie der Verfasser selbst in seiner „Zusammenfassung” schreibt, sein Beitrag kann zu einer gesellschaftsgeschichtlichen Untersuchung über die Vertreibung der Ungarndeutschen ebenfalls anregen.
Der Beitrag von Frau Ágnes Simon „Geschichte und Integration der aus Törökbálint vertriebenen Ungarndeutschen in Baden-Württemberg” ist eine im Jahre 2013 erfolgreich verteidigte Diplomarbeit. Es wurden über die Vertreibung der Deutschen aus Großturwall zahlreiche Bücher veröffentlicht, aber von der Integrierung der Vertriebenen in ihrer neuen Heimat, in Deutschland wissen wir wenig. Deshalb ist das Thema von Frau Simon besonders gut. Ich lese auch sehr gerne über die Geschichte der Vertrieben nach 1946 – in meiner Familie haben die ältesten Familienmitglieder der vertriebenen Generation bis zu ihrem Tod Ungarn (Budaörs/Wudersch, Soroksár/Schorokschar – wo sie zu Hause waren) für Ihre Heimat gehalten. Die Verfasserin möchte in ihrer Arbeit zeigen, wie sich die Vertriebenen aus Großturwall in der neuen Heimat integrierten und was ihnen bei der Integration geholfen hat, beziehungsweise wie sie ihre Sprache und ihre Traditionen bewahren konnten. Über ihre Erfahrungen hat Frau Simon interessant und sprachlich sehr schön berichtet.
Beachtenswert ist auch ihre Arbeit mit Hilfe der „Oral history”: Frau Simon hat viele Zeitzeugen persönlich aufgesucht, mit ihnen Interviews gemacht und über ihr Schicksal Fragenbogen erstellt. Diese sind alle wichtige Schritte zur korrekten Aufarbeitung der Geschichte der Vertreibung der Ungarndeutschen, denn dieses Thema galt 40 Jahre lang als Tabu aus dem Grunde, weil auch die Betroffenen darüber nicht sprechen wollten. Den Neubeginn der nach Deutschland Vertriebenen erschwerte neben dieser schwierigen Situation – wie die Verfasserin der Arbeit auch betont – auch die Tatsache, dass sie sich nicht willkommen fühlten, Deutschland wartete auf sie nicht mit offenen Armen. Der Beitrag von Frau Simon über die Integration der Vertriebenen wird uns zu weiteren Forschungen anregen. Hiermit möchte ich nur eine kleine Bemerkung hinzufügen: es wird im Beitrag aus einem Buch zitiert – „Am 22. Januar waren die ersten Züge mit Bewohnern aus Wudersch (Budaörs) weggefahren” Der erste Vertreibungszug ist am 19. Januar 1946 aus Budaörs weggefahren. (Gedenktag der Vertreibung der Ungarndeutschen ist deshalb auch der 19. Januar) Am 22. Januar hat den Budaörser Bahnhof bereits der nächste Zug mit den vertriebenen Budaörsern verlassen. (Da der 19. Januar nicht erwähnt wurde, ist es für die LeserInnen nicht eindeutig klar, an welchem Tag die ersten Vertreibungszüge weggefahren sind.)
Die VerfasserInnen dieser interessanten Beiträge pflegen mit ihren Forschungsarbeiten die Identität der Ortschaft und zeigen uns solche zur Lokalität gehörende Fakten und Angaben, die anderswo nicht zugänglich sind. Der Ertrag dieser Arbeit, den die VerfasserInnen präsentieren, wird zum einen in seiner Dichte – in den erwähnten Angaben – eindrücklich, die durch ihr Engagement, Zeit und Energie nicht schonend gesammelt wurden, zum anderen in seinen Ergebnissen, – in den von den VerfasserInnen erstellten Tabellen, Fragebogen und Interviews mit wertvollen Angaben – die zu weiteren Forschungen anregen. Ich wünsche Ihnen hiermit eine an örtlichen Informationen reiche Zeitreise!
Falls Sie sich für den Band interessieren, kontaktieren Sie uns!