Im April wählt Ungarn ein neues Parlament, und das kann Veränderungen für die Nationalitäten des Landes bedeuten. Einerseits gibt’s eine große Chance, dass durch die deutsche Liste ein vollberechtigtes Mitglied des Parlaments gewählt wird, das die Interessen der Ungarndeutschen und anderer Minderheiten in der Ungarischen Nationalversammlung vertreten kann. Anderseits kandidieren sich viele Parteien, die verschiedenen Meinungen über die Lage der ungarländischen Nationalitäten haben. Aus diesem Grund hat die Redaktion des Sonntagsblattes so entschieden, dass wir 4 Fragen an diejenigen ungarischen Parteien schicken, die möglicherweise Abgeordnete ins Parlament schicken werden. Alle Parteien haben die Fragen ausführlich beantwortet. Wir werden die Antworten bis zur Wahl in einer ausgelosten Reihe auf unserer Webseite veröffentlichen. Die Liste sieht folgend aus:
MSZP
DK
Momentum
Jobbik
Die vierte Partei ist die Partei MSZP:
Erste Frage: Gegenwärtige Lage der Minderheiten
Die Ungarische Sozialistische Partei (MSZP) betrachtet die ungarländischen Minderheiten als Teil der ungarischen politischen Nation, aber erkennt auch ihre Zugehörigkeit zur ungarischen Kulturnation an, was eine individuelle Bekenntnis darstellt. Aus unserer Sicht wäre ein permanteter Dialog mit den Vertretern der Minderheiten vonnöten, indem man sie in die Entscheidungen, die ihre Gemeinschaften betreffen, einbezieht.
Obwohl der Ausschuss der Ungarländischen Nationalitäten an der Verabschiedung des Haushaltsgesetzes beteiligt ist bzw. er kann dessen Änderung veranlassen, fehlt es dennoch an einem Fördermechanismus, der berechenbar und nachhaltig ist, in dessen Mittelpunkt die Unterstützung des Schulunterrichts in der Muttersprache, der Kultur und des religiösen Lebens steht.
Als wichtigste Ziele betrachten wir die Maßnahmen, die auf die Förderung des Erlernens der Minderheitensprache und der Steigerung deren Nutzwertes zielen, sowie die Verlangsamung bzw. das Aufhalten des sprachlich-kulturellen Assimilierungsprozesses. Deswegen reg(t)en wir an, dass die Nationalitäten Herren ihrer eigenen Institutionen sind, als Form der Ausgestaltung der kulturellen Autonomie.
Hinsichtlich Kultur und Wissenschaft lässt sich feststellen, dass durch die Verstaatlichung und Umstrukturierung von Institutionen die Unterstützung von Institutionen (Komitatsbibliotheken, Museen, Archive, Forschungsinstitute), die auch für die Nationalitäten wichtig sind, gekappt wurde.
Die Lobbykraft der Minderheiten wird dadurch verringert, dass es innerhalb des Regierungsapparats an einem Amt mangelt, das sich um die Belange der ungarländischen nationalen und ethnischen Minderheiten kümmern soll, denn der zuständige Staatssekretär versucht neben zwei anderen Aufgabenbereichen auch diesen mit zu betreuen.
Das vom Kabinett Orbán II verabschiedete neue Curriculum schränkte an Grund- und weiterführenden Schulen im besonderen Maße die Möglichkeit ein, von vorgegebenen Lerninhalten abzuweichen. Dadurch wurde die Erstellung von Lerninhalten, die den Bedürfnissen der Minderheiten Rechnung trägt, nahezu unmöglich. Ende 2017 wurden die Eckpunkte zum neuen Curriculums veröffentlicht. Es bleibt fraglich, inwieweit man darin die Besonderheiten der ungarländischen Nationalitäten berücksichtigen kann bzw. wird.
Zweite Frage: Verbesserungsvorschläge
Die Ungarische Sozialistische Partei betrachtet die ungarländischen Minderheiten weiterhin als Teil der ungarischen politischen Nation, und ist bereit, dies – als unbestrittene Tatsache – in die Reihe verfassungsrechtlicher Bestimmungen wieder aufzunehmen.
Wir bringen unser Missfallen darüber zum Ausdruck, dass das ungarische Parlament mit der Fidesz-Mehrheit den Begriff „nationale Minderheit” getilgt hat, der in den Dokumenten des Europarates, der OSZE und von anderen internationalen Organisationen seit den 1990er Jahren geläufig ist. Auf diese Weise widerstrebt die Terminologie der ungarischen Verfassung und des Nationalitätengesetzes den europäischen Tendenzen, deren Übersetzung sorgt für Unverständnis und stellt eine Rückkehr zur terminologischen Tradition der Kádár-Ära dar.
Unsere programmatischen Eckpunkte (die auf Grundlage von Konsultationen mit den Vertretern der ungarländischen Minderheiten entstanden):
- Wir regen einen ehrlichen Dialog mit den Betroffenen an, um die strategischen Fragen der ungarischen Minderheitenpolitik zu diskutieren.
- Wir möchten eine direkte Beteiligung der Minderheiten bei der Entscheidungsfindung bezüglich der Verteilung der Fördergelder für die Minderheiten.
- Wir werden im Orga-Rahmen der Staatskanzlei eine eigenständige Dienststelle gründen, die sich mit den Belangen der ungarländischen nationalen und ethnischen Minderheiten befasst.
- Wie wollen die Finanzierung des ein- und zweisprachigen Unterrichts der Nationalitäten langfristig berechenbar und nachhaltig gestalten.
- Wir werden die besonderen Ansprüche der ungarländischen Minderheiten bei der Überprüfung des Curriculums berücksichtigen.
- Um die Selbstverwaltung der nationalen Minderheiten zu vervollkommnen, sind wir bereit das Nationalitätengesetz zu ändern, wenn das von der Mehrheit der Landesselbstverwaltungen erwünscht wird.
- Wir sichern den Unterricht in der Sprache der Minderheit bzw. den Unterricht der Sprache der Minderheit auf Grundlage der Nachfrage bei den örtlichen Gemeinschaften auch dort, wo die Trägerschaft der vormals kommunalen Bildungseinrichtung von der Kirche übernommen wurde.
- Wir werden die besondere Anerkennung der Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer in den Ortschaften mit Nationalitätenbevölkerung und geringer Bevölkerungszahl im Lehrerlaufbahnmodell ansetzen.
- Wir unterstützen die Ausbildung von Lehrern mit nichtungarischer Muttersprache mit Stipendien.
- Wir starten Nationalitätenstipendienprogramme für begabte, mehrfachbenachteiligte Jugendliche.
- Wir wollen im Rahmen eines landesweiten Mentorenprogramms die Arbeit derjenigen Lehrerinnen und Lehrer finanziell und laufbahntechnisch honorieren, die sich für benachteiligte Schülerinnen und Schüler in besonderer Weise einsetzen.
- Um die Identität zu bewahren, das geistige Erbe der Muttersprache zu verstehen und zu bewahren, ist es unerlässlich das System der Aus- und Weiterbildung sowie der Forschungstätigkeit (in den Bereichen Künste, Kommunikation und sonstige Geisteswissenschaften) im Mutterland weiterzuentwickeln.
- Wir regen die gegenseitige Anerkennung der Diplome und Hochschulabschlüsse an, über bilaterale zwischenstaatliche Abkommen mit den Mutterländern.
- Wir unterstützen in besonderer Weise die Arbeit der Redaktionen der nationalen Minderheiten bzw. die Ausweitung der Sendezeiten für Minderheitensendungen.
- Wir wollen im Rahmen der Regionalen Entwicklungspolitik strukturschwache Regionen gezielt fördern, was sich in der Vergangenheit als sinnvoll erwiesen hat.
- Die MSZP will über Schüleraustauschprogramme, die dem gegenseitigen Sprachenlernen dienen, und über die wirtschaftliche Zusammenarbeit die kommunalen Partnerschaften fördern.
- Ein bedeutendes Element der Bewahrung der Minderheitenidentität ist die Pflege und Unterstützung des religiösen Lebens der nationalen Minderheiten in der Muttersprache. Wir halten unter weitgehender Berücksicksichtigung der kichlichen Autonomie den Gebrauch der Muttersprache im religiösen Alltag für berechtigt.
Dritte Frage: Parlamentarische Vertretung
Obgleich bezüglich der parlamentarischen Vertretung der Nationalitäten keinerlei internationale Vereinbarungen existieren, ist es nach Ansicht der MSZP notwendig, die Wahl von vollwertigen Parlamentsabgeordneten mit Nationalitätenhintergrund zu ermöglichen, da dies die offensichtliche Benachteiligung der Nationalitäten aufwiegt sowie ihr Selbstwertgefühl steigert, auch dann, wenn sie hinsichtlich der Interessensvertretung nur eine symbolische Bedeutung hat. Die gewährten Zusatzrechte muss man als Mittel der Demokratisierung des jeweiligen Staates betrachten und nicht als Almosen.
Das Kabinett Orbán II wollte über das zu den Parlamentswahlen 2014 eingeführte Vorzugsnationalitätenmandat bzw. über die Institution der Füsprecher die Frage der parlamentarischen Vertretung der Nationalitäten lösen. Das war aber eine Scheinmaßnahme, denn sie funktionierte in der Praxis kaum, da es bei den Parlamentswahlen keiner einzigen Nationalität gelang ein solches Vorzugsmandat zu erringen. Für einen solchen Abgeordnetensitz hätte man 22.000 Stimmen benötigt, die nicht einmal die Deutsche Liste auf sich vereinigen konnte.
Der Grund dafür war, dass sich bei den Parlamentswahlen der Minderheitenwahlbürger entscheiden musste, ob er seiner Parteipräferenz bzw. -bindung oder seiner Minderheitenidentität den Vorzug gibt. Denn diejenigen stimmberechtigten Bürger, die für die Nationalitätenliste stimmen wollten, durften parallel dazu keiner Parteiliste ihre Stimme geben.
Die Institution des Fürsprechers bedeutet nur zum Teil einen Fortschritt für die Minderheiten, denn sie haben das Recht zu Wortmeldungen und dem Einreichen von Eingaben, d. h. sie dürfen sich an der Arbeit des Landtags beteiligen. Jedoch wäre es sinnvoll, vor dem Hintergrund der internationalen Praxis eine weitere Konsultation und Gesetzesänderung anzustoßen, um das Problem einvernehmlich zu lösen.
Vierte Frage: Zweisprachigkeit im Alltag
Hier nahmen wir Bezug auf eine Initiative der slowakeimadjarischen Bewegung „Für eine zweisprachige Südslowakei” (Kétnyelvű Dél-Szlovákiáért), der es gelungen war, Fortschritte auf dem Gebiet der Zweisprachigkeit im Bahnbetrieb zu erzwingen.
Angesichts dessen, dass der Fortbestand und die Entwicklung der ungarländischen Minderheiten besondere Zusatzrechte, eine positive Diskriminierung erfordert, so muss man für die Durchsetzung einer tatsächlichen Gleichberechtigung im Alltag auch aktiv etwas tun. In diesem Licht denkt die MSZP, dass die Schaffung von Zweisprachigkeit in den von Minderheiten bewohnten Gebieten berechtigt ist.
Foto: MTI