Vertreibung in Bogdan-eine Erinnerung Teil 1.

Erinnerungen eines Betroffenen – als Ergänzung zum Beitrag „Vertreibung in Bogdan“ in Sonntagblatt 2/2017 (Seiten 16-17)

von Andreas Puhl

In dem Bericht des Sonntagsblattes über unsere Vertreibung werden angebliche Vorkommnisse beschrieben, von denen ich als Betroffener (im 11.Lebensjahr) bisher nichts wusste, so z.B.:

– Belagerung des Gemeindehauses und „kopflose Flucht” daraus – Nachtrag (1)

– Rettung der Frau eines Rotarmisten

– Rajks Wortbruch gegenüber Leschinszki (2)

– Hundezungen-Aufkleber (kutyanyelv?) an der Tschechischen Grenze (3)

 

Nachdem im August 1947 eine bewaffnete Polizei-Einheit in  angeblich grösserer Kompanie-Stärke Bogdan überraschend überfallen hatte, und der Befehl erteilt worden war, dass sich die auf gewissen Listen aufgeführten Personen bereithalten sollten, um vorfahrende Lastwagen zum Abtransport nach Budapest zu besteigen, vernahm ich persönlich nur wenig – wohl wegen Angst des verhaltenen Protests seitens der Betroffenen.

Ich sah aber, dass jeder/jede Betroffene in großer Hast bemüht war, in Koffer oder auf Bettlaken solche Habseligkeiten/Nahrungsmittel zu werfen, die er/sie wohl zum Überleben auf der Reise und in der Fremde für notwendig hielt.

Da wir (meine Familie) schon vor mehr als einem Jahr unseres Hab-und-Gutes beraubt worden waren, stellte sich dieses Geschäft für uns einfacher dar; denn wir hatten nichts mehr! Ich half meiner Großmutter auf den Lastwagen steigen, doch den nächsten Ärger sah ich schon kommen: In Begleitung eines Polizisten (mit dem Gewehr auf meine Brust gerichtet) riss mich ein Beamter in Zivil vom Laster und verlangte die Nennung des Verstecks meiner Eltern und meines 8-jährigen Bruders.

Ich versprach, den Fahrer auf der Fahrt nach Budapest zum Aufenthaltsort meiner Familie  in Leanyfalu, wo sie als Arbeitssklaven (viele Schwaben flüchteten zu wohlhabenden Ungaren in der Umgebung, wo sie ums tägliche Brot und Unterkunft arbeiteten) tätig waren,  zu führen.

Schließlich wurden auch meine Eltern und mein Bruder aufgeladen.Der vom Sklavenhalter geschenkte Korb voll Weintrauben wurde im Viehwagon an alle Insassen verteilt.

Besonders nach dem krachenden Zuschlagen der Massivtüren sah ich im spärlichen Licht der kleinen Luken die fragenden und vom Schmerz gezeichneten Gesichter meiner Mitschwaben, die erst gestern Haus und Hof -das Lebenswerk ihrer Vorfahren- verloren hatten und heute schon -auf faulendes Stroh geworfen – ins Ungewisse gefahren wurden.

In retrospektiv meine ich (mit aller Vorsicht) sagen zu können ,dass die Gesichter meiner Eltern gelöstere Züge annahmen und ihre Augen hoff- nungsvoller in die Zukunft blickten; es konnte nur besser werden. Die Vor- stufe des ihnen zugefügten Leides hatten sie schon über ein Jahr lang durchlebt. Sie hatten etwas Zeit, den Schmerz über den Verlust von Haus und Hof zu mildern. Ich wage deshalb -mit allen Vorbehalten- zu behaupten, dass für sie der Rausschmiss aus Ungarn nicht mehr als DIE Katastrophe zu sein schien.

Meine persönliche  JASAGENDE  – wenn auch etwas unreife jugendliche –  Haltung zur – wenn auch erzwungenen – Rückkehr in unsere „Urheimat” (obzwar als Folge eines eklatanten Unrechts, des Rausschmisses) – verlangt  eine spezielle Begründung.

Deutschland ermöglichte mir, mein Leben nach der Maxime „PER ASPERA AD ASTRA” zu führen.  In Ungarn hätte ich mit meines Vaters Namen und ohne mein Erbe unter reichlich Ungemach mich wohl nur mit Sternchen begnügen müssen (zwar wusste ich das damals sicher nicht, aber eine innere Stimme verkündete eine hellere Zukunft).

Zum besseren Verständnis meiner Analysen und -vielleicht sehr persönlichen- Schlussfolgerungen der Entrechtung, Enteignung und Vertreibung unschuldiger Volksgruppen bzgl. Gemütszustand, Überlebenswille, Lebensmut jedes Betroffenen, zu neuer Tätigkeit und neuen Ufern aufzubrechen, verweise ich auch  auf einen klugen Satz des Philosophen SLOTERDIJK,Peter:   In jedem Aufbruch „steckt etwas von der kynischen Kraft einer lebenstüchtigen Intelligenz und von dem Exodus des Bewusstseins in die offene Welt, wo das Leben noch eine Chance besitzt, stärker zu sein als die Erstickungsmächte (der Vergangenheit).

 

NACHTRÄGE :

(1)  Es wäre wohl verständlich, dass einige Personen, die sich unerwartet auf der Rausschmiss-Liste fanden, mit allen Mitteln versuchten eine Streichung von derselben zu erreichen. Allerdings: selbst wenn man (scherzhaft) unterstellen würde, dass Würde und Selbstbewusstsein beim schwäbischen Bauer nicht unbedingt überragend ausgeprägt wären, so ist es schwer zu glauben, dass das Brüllen (orditás) der Rajk-Bande ihm (dem „buta sváb”) solche Angst einjagte, dass er – wie der unbekannte „Augenzeuge” behauptete – seine Nachbarn „nieder tretend, Geld, Wertsachen und Dokumente verlierend, kopflos aus dem Gemeindehaus flüchtete”. (Da lachen ja die Hühner!). Und so ein „Dokument” liegt seit 70 Jahren -von keinem Schwaben beanstandet- im Budapester „Haus des Terrors”!?

(2) Nur EIN Name von den über Tausenden der Bogdaner findet Erwähnung im” Bericht”, und das im Sinne von Häme und Schadenfreude.

Es ist der Name  L E S C H I N S Z K I .

Über die Person Leschinszki András und seine berufliche Stellung in der Gemeinde kann ich nur Folgendes sagen:

Er war in der Tat einer der reichsten und klügsten Unternehmer in Bogdan; er besaß das einzige große Sägewerk in der Umgebung und betrieb eines der drei großen Wirtshäuser auf der Hauptstraße (soviel ich weiß, waren die anderen beiden zu diesem Zeitpunkt schon enteignet).

Wer die kommunistische Mentalität kennt, wird die Bezeichnung „betuchter Baumaterial-Kaufmann” unschwer als pejorative Marx-ideologische Kennzeichnung, im Sinne einer persönlichen Herabsetzung erkennen.

Auch die süffisant erzählte Geschichte des Rajk-Wortbruchs muss bei Betrachtung der Vertreibungsmotive als Erfindung gewertet werden.

Falls er wirklich die rendőrök gefüttert haben sollte, so geschah dies auf Befehl, und nicht auf Grund eines Versprechens, von der Vertreibungsliste gestrichen zu werden. Leschinszki war mit allen Wassern gewaschen; er hätte mit dem Klammerbeutel gepudert sein müssen, wäre er naiv in die Rajk-Falle gesprungen – wie das der „Bericht” insinuiert. Er war klug genug zu wissen, dass auch seine Enteignung bevorstand.

Es ist anzunehmen, dass er schon lange seinen Absprung ins Ausland vorbereitet hatte.

Der ganze „Bericht” kommt mir wie eine COMMEDIA dell”arte vor. Lustig wird es, wenn der mächtige Leschinszki Tränen vergießt.

(Fortsetzung folgt)

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