Reisenotizen: Kaschau

Von Richard Guth

Oktober 2017 Auf Schritt und Tritt begegnet man der deutschen Vergangenheit der heute zweitgrößten Stadt der Slowakei. Deutschsprachige Kaschauer sucht man aber heute vergeblich, es sei denn, man rechnet neu zugezogene oder sich vorübergehend aufhaltende Personen aus dem deutschsprachigen Ausland dazu. Die Namensmadjarisierung des berühmten Sohnes der Stadt, Alexander Karl Heinrich Grosschmid (Márai), war symptomatisch für einen Prozess, an dessen Ende das fast vollständige Verschwinden des Kaschauer deutschen Bürgertums bereits vor dem Imperiumwechsel stand. Gehalten konnten sich nur die mantakischsprachigen Karpaterndeutschen rund um Metzenseifen, aber auch hier würden sich, so der Eindruck vieler, eine ungünstige demografische Entwicklung und das Vordringen des Slowakischen im Alltag immer mehr bemerkbar machen.

Noch gravierender ist das Verschwinden der madjarischen Minderheit aus dem Stadtbild von Kassa, stellten sie lange Zeit die größte und dominierende Bevölkerungsgruppe in der multiethnischen Stadt. Dennoch begegnet man auf Schritt und Tritt Madjaren (oder Ungarischsprachigen), was deren Bevölkerungsanteil von gerade einmal drei Prozent so nicht erklären würde. Wo sind sie nur geblieben?

„Den ungarischen Akzent hört man ganz raus”, mauscheln meine slowakischen Begleiterinnen in einem der zahlreichen Cafés an der Hlavná, der langgezogenen Hauptstraße Kaschaus. Und in der Tat, wie es sich herausgestellt hat, hätte ich bei der Kellnerin das Maronenpüree auch auf Ungarisch statt Englisch bestellen können. Es wäre ein ungarisches Café, so die junge Bedienung, und zeigt auf den dreisprachigen Schriftzug in Slowakisch, Ungarisch und Englisch am Schaufenster. Mittlerweile eine echte Rarität in der Hauptstraße, denn die einst einsprachig ungarischen und dann die zweisprachigen Schilder sind slowakisch- und teilweise englischsprachigen Inschriften gewichen. Der Laden würde einem Slowakeimadjaren gehören, allerdings wären die anderen Kellnerinnen mittlerweile allesamt Slowaken ohne Ungarischkenntnisse. Das ist auch eine Entwicklung der neuesten Vergangenheit, hätten früher viele Slowaken wie selbstverständlich (bei allem Respekt für die bekannten Madjarisierungstendenzen in der ungarischen Politik) ungarisch gesprochen (und umgekehrt).   

In den Sechziger- und Siebzigerjahren, gar noch in den Achtzigern hätte man einen in den Geschäften in der Regel mit „Tessék! („Bitte!”) bedient, auf der Straße sollten sich die Leute mit „Szevasz” („Servus”) begrüßt haben, so ein Herr Mitte 70 nach der ungarischen Werktagsmesse von „Zoli atya” in der so genannten „Ungarischen Kirche” (der Prämonstratenser) von Kaschau. Der Mann, der 1956 mit seinen Eltern aus Budapest zu Verwandten in Kaschau floh, bestätigt, dass die Sonntagsmesse ganz gut besucht würde, und außerdem noch in zwei weiteren Innenstadtkirchen ungarische Messen gefeiert würden. Aber die Stadt hätte sich seit den 1960ern massiv verändert, unter anderem durch den Zuzug von Slowaken und Rusinen, die vom Hüttenwerk angezogen wurden. So schellte die Zahl der Einwohner in wenigen Jahrzehnten von einst 60.000 auf 240.000. Die Wohnblöcke im Plattenbaustil, die das Stadtbild des modernen Košice prägen, zeugen von dieser rasanten Entwicklung. An die alte Zeit erinnerten die Wochenmärkte, wo Landwirte aus der Umgebung ihre Produkte anbieten. Hier würde noch das Ungarische vorherrschen, wobei bei den madjarischen oder ungarischsprachigen Jugendlichen das Slowakische sogar auf dem Lande immer mehr an Bedeutung gewinnen würde.

Ganz anders als in der Vergangenheit, wo selbst slowakische Jugendliche – insbesondere auf dem Lande – das Ungarische sogar in der Familie erlernt hätten. „Mivel szolgálhatok?” (Womit kann ich dienen?) fragt mich der slowakische Kellner Mitte Fünfzig, nachdem er gehört hat, dass ich ungarisch kann. Wie es sich herausstellt, kommt der Mann aus einem Dorf in der Nähe von Kaschau, wo Ungarisch noch den Alltag mit prägen würde. „Wir haben die ungarische Sprache von Kindesbeinen an gelernt, obwohl wir Slowaken sind”, so die Auskunft des Kellners. Auch er bestätigt, dass die Jugendlichen immer weniger ungarisch sprechen würden, obwohl es noch ungarische Schulen gibt, auch wenn in viel kleinerer Zahl als früher. Viele madjarische Eltern würden ihre Kinder auf slowakische Schulen schicken, auch die Zahl der Mischehen ist nachweislich gestiegen.

Dieser Eindruck wird bestätigt von einer madjarischen Verkäuferin im neuen Einkaufszentrum Aupark vor den Toren der Altstadt: „Selbst mein Cousin, der ausschließlich madjarische Vorfahren  hat und eine Slowakin geheiratet hat, spricht mit seinen Kindern slowakisch, mit der Begründung, er hätte keine Zeit und Energie, den Kindern das Ungarische beizubringen.” Diese Praxis würde auch den weiteren Lebensweg der Kinder bestimmen, die immer seltener – selbst in Familien, in der beide Ehepartner Madjaren sind – am Sándor-Márai-Schulzentrum angemeldet werden. Die Verkäuferin  weist im Gespräch auf eine interessante, aber doch so vertraute Beobachtung hin: Die assimilierten Madjaren würden viel weniger Verständnis für die Belange ihrer Abstammungsgemeinschaft zeigen wie die ethnischen Slowaken. Die Madjaren würden in der Großstadt Kaschau immer mehr an Boden verlieren, obwohl der Anteil der madjarischenstämmigen Einwohner viel höher sei als das bekennende 3 Prozent, so die Dame Ende 40.

Die Straßen füllen sich am Wochenende mit Tagesgästen aus dem nahe gelegenen Ungarn (und aus der Ukraine). Überall mischen sich slowakische, ukrainische und ungarische Worte. Viele der Ungarn aus dem Mutterland haben ein festes Ziel: die Rákóczi-Krypta im bzw. unter dem Elisabeth-Dom, die auch diesmal von frischen Blumen geschmückt wird. Die ungarische Nationalhymne wird an diesem Tag mehrfach angestimmt.

Kaschau erlebt einen Wandel der Zeit. Neben Verlust und Rückzug erlebt man aber seitens der Bewohner Kaschaus eine unglaubliches Maß an Verständnis für das Ungarische, als wäre das immer noch ein Teil ihres Alltags. Ganz andere Sorgen beschäftigen die Kaschauer: die Arbeitsmigration in den Westen, die Herausforderungen der sich rapide verändernden Welt, die Frage der Integration der Roma, die in der Ostslowakei in großer Zahl leben, und die Veränderungen der Stadtlandschaft.       

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