Von Zoltán Balog
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatten sich immer mehr deutschsprachige Ingenieure, Handwerker, Kaufleute usw. in Pest und Ofen niedergelassen. In ihrer Heimat waren sie zuvor mit der „Erweckungsbewegung”, welche die Erneuerung der Kirche und der persönlichen Frömmigkeit zum Ziel hatte, und mit der von Deutschland
ausgehenden Inneren Mission in Berühung gekommen (zum Beispiel die Familien Ganz, Dreher, Hagemacher). Eine eigene, selbständige Gemeinde gründeten sie, über die Pflege der eigenen Gemeinschaft hinaus, um die Früchte der Erweckung und der Inneren Mission an die Kirchen Ungarns weiterzugeben.
Die Gemeinde entstand 1859 auf Initiative des Eisenbahningenieurs Theodor Biberauer im Rahmen der Reformierten Gemeinde am Kalvin tér (Calvinplatz). Die Geschichte der Familie Biberauer (heute Bodoky) ist bis zum heutigen Tag eng mit dem Leben der Gemeinde verknüpft. Unser erster Pfarrer, Adrian van Adel, kam aus Holland (1859-1863). Vor der Errichtung ihrer eigenen Kirche hatten die Gemeindemitglieder schon ein Krankenhaus gegründet, in dem Kaiserswerther Diakonissen wirkten. Unsere Kirche wurde auf dem von der Hauptstadt gestifteten Grundstück innerhalb von 8 Jahren erbaut und 1878 durch den reformierten Bischof Pál Török und den damaligen Pfarrer der Gemeinde Rudolf König gemeinsam geweiht.
Die nächste große Initiative, die von der Gemeinde ausging, war die Gründung des Waisenhauses „Bethania”, das bis 1945 bestand. Weiterhin gingen von unserer Gemeinde das Blaue Kreuz, ein Arbeiterwohlfahrtsverband, die Sonntagsschulbewegung, der Verein „Bethania” und mehrere christliche Jugendvereine (CVJM, KIE, christlicher Studentenbund) aus. Zwei Mietshäuser wurden erbaut, deren Einnahmen der Aufrechterhaltung des Krankenhauses und der Gemeinde dienten. (Die Mietshäuser wurden 1945 verstaatlicht.)
In der Gemeinde gab es immer eine bedeutende Zahl an Schweizern. Aus ihrer Reihe stammte der überwiegende Teil der Presbyter und der Kurator der Gemeinde. Die Pfarrer kamen vor allem aus Deutschland, deshalb spielte die konfessionelle Trennung zwischen Lutheranern, Uniierten und Reformierten im Gemeindeleben keine Rolle mehr. Während des zweiten Weltkrieges fanden hier viele Verfolgte eine Zuflucht. Im Zusammenwirken mit dem Schweizer Konsul Carl Lutz haben einige opferbereite Gemeindemitglieder viele Menschenleben gerettet. Im Krieg wurden sowohl die Kirche als auch die Pfarrwohnung von Bomben getroffen. Viele der Gemeindeglieder mußten fliehen. Ein kleiner Kern jedoch, vor allem Schweizer, blieben und dienten treu weiter.
Der ganze Artikel erschien im Buch ”Deutsche in Budapest” (1999, Budapest).