Die Geschichte der evangelischen Kirche in Pesth-Ofen

Von Johann Eppel

Die Anfänge der protestantischen Bewegung, ein gewisser „Urprotestantismus”, werden auf die Zeit vor der Besatzung der Festung Ofen durch die Türken gesetzt. „Nach der Vertreibung der Türken aus Ungarn waren die Protestanten daselbst, wie auch in Pesth, plötzlich verschwunden und von den in beiden Städten bestandenen protestantischen Kirchengemeinden blieb kaum eine Spur zurück und 100 Jahre lang gab sich keine Regung protestantischen Lebens kund. An die Bildung protestantischer Kirchengemeinden war gar nicht zu denken.” (Geschichte der ev. Kirchengemeinde Augsb. Conf. Ofen von J.P, Tomaschek.)

Nach einer Aufzeichnung aus dem Jahre 1777 hatte die Stadt Pesth 13.000 ständige Einwohner, davon 2.000 Handwerker, etwa 500 Handelsleute und 600 Bettler. Der größte Teil des Bürgertums bekannte sich zur deutschen Muttersprache, die Ungarn machten nicht mehr als 16 % aus.

Durch das von Joseph II. 1781 erlassene Toleranzedikt angeregt, traten die Protestanten von Pesth und Ofen im Dezember 1786 in der Burg Ofen zur ersten gemeinsamen Versammlung zusammen, auf der die Gründung einer Kirchengemeinde in Pesth beschlossen wurde. Nach der Genehmigung des Beschlusses durch den Hof wurde 1787 die Kirchengemeinde gebildet, und am 24. Oktober 1787 wurde der erste evangelische Gottesdienst in einem Privathause unter der Leitung des Pastors Johann Molnár gefeiert. Johann Molnár war slawischer Abstammung, der aber sowohl die ungarische als auch die deutsche Sprache beherrschte.

Die Ordnung der Gottesdienste wurde so festgelegt, daß jeden Sonntag am Vormittag in deutscher, am Nachmittag in slowakischer Sprache gepredigt wurde, die ungarischen Gottesdienste sollten den Wünschen nach gehalten werden.

Im nächsten Jahr 1788 hat die Kirche in der Person Anton Seyfrieds, des Göllnitzer Dorflehrers und Kantors, einen Pädagogen angestellt und beschlossen, unter seiner Leitung in kurzer Zeit für die evangelischen Schüler eine Schule zu errichten.

Nach der gesetzlichen Proklamation der Religionsfreiheit im Jahr 1791 konnte zum Bau eines Gebetshauses und eines Pfarrhauses geschritten werden. Durch die Opferfreudigkeit der Gläubigen konnte die Schule 1793 errichtet werden und der Plan zur Errichtung einer Kirche gefaßt werden, mit deren Bau nach dem plan von Michael als des Pollack im Jahre 1799 begonnen wurde, der auch den Bau ausführte, als dessen Ergebnis 1811 das klassizitische Gebäude am heutigen Deák-Platz entstand.

Im Jahre 1822 trennte sich die deutsche und die slowakische Gemeinde, Pfarrer der ersteren wurde Joseph Kalchbrechner, der zweiten Johann Kollár. Zu diesen zweien trat im Jahre 1837, bei der 50jährigen Wiederkehr der Gründung der Gemeinde, die ungarische hinzu, die sich Josef Székács, einen hochgebildeten Wissenschaftler aus Orosháza, zum Seelsorger wählte.

Indessen führten die Ofner Protestanten ihr Glaubensleben in der Diaspora und mußten mit der Fähre über die Donau setzten, wenn sie am Gottesdienst teilnehmen wollten.

Ein Aufschwung im religiösen Leben trat ein, als 1819 Maria Dorothea, die dritte Gemahlin des Palatins Erzherzogs Joseph, in den Palast einzog Sie war eine Herzogin von Württemberg und eifrige Protestantin und wurde zur außerordentlich wichtigen Patronin und Erbauerin der Ofner lutherischen Gemeinde, sowie des ganzen ungarischen Protestantismus. Zunächst änderte dies an der Lage der Ofner Protestanten nichts, sie mußten auch weiter über Schiffsbrücke zum Gottesdienst fahren, wohin auch die hohe Frau regelmäßig mitfuhr. Wegen der Beschwerlichkeit dieser Fahrten, besonders im Winter und beim Eisgang ließ Marie Dorothea in der Burg einen Betsaal einrichten, zu welchem jeder Glaubensgenosse freien Zutritt hatte. Der Dienst wurde von Pesth aus versehen.

Diesem Zustand bereitete die hohe Frau ein Ende, indem durch ihre großmütige Stiftung Ofen zur selbständigen Gemeinde erklärt wurde und Georg Bauhofer, Pfarrer von Schütt-Sommerein, zum Seelsorger berufen wurde. Bauhofer wurde am 20. Oktober 1844 von Josef Székács eingeführt. Ein am Disz tér angekauftes Haus wurde in eine Kirche umgestaltet und am 26. September 1847 eingeweiht. An die Kirche war auch das Pfarrhaus und die Schule angebaut.

Am 13. Januar 1847 starb Palatin Joseph. Nach seinem Tode wurde seine Witwe Maria Dorothea zwangsweise von Ofen nach Wien umgesiedelt. Nach Ofen kam sie manchmal im geheimen. Nach dem Freiheitskrieg besuchte sie ihre Tochter Elisabeth in Ofen, die im Kindsbett lag. Hier ergriff sie eine influenzaartige Krankheit, und sie erlag einem Schlaganfall am 30. März 1855 im Alter von 57 Jahren. Sie wurde unter großer Trauer in der Palatinsgruft in der Burg Ofen beigesetzt.

Bisher war deutsch die Sprache im kirchlichen Leben. Von nun an wurde eingeführt, daß einmal im Monat und am zweiten Tag der hohen Feiertage der Gottesdienst in ungarischer Sprache gehalten wurde. Nach 20jähriger Tätigkeit starb Georg Bauhofer 58 Jahre alt am 14. Juli 1864. Seinem Wirken war es zuzuschreiben, daß sich die Zahl der Protestanten in dieser Zeit erheblich erhöhte. Ihm folgte im Amt Andreas Sztehlo, Dechant von Losonc. In seiner Amtszeit wurde die Gemeinde ganz ungarisch, die frühere Lage war umgekehrt, nur einmal im Monat war deutscher Gottesdienst. Sztehlo diente nur neun Jahre in Ofen.

Noch vor seinem Rücktritt sorgte Sztehlo für seine Nachfolge, ließ Gustav Scholtz zum leitenden Geistlichen von Ofen wählen. Scholtz war vorher schon Hilfsgeistlicher in Ofen. Die Einführung erfolgte am 30. April 1873.

In seiner Amtszeit begann unter den Gläubigen die Magyarisierung. Das historische und kulturelle Erbe, die Tradition und die Herkunft der Gläubigen bedingte lange Zeit die Vorherrschaft der deutschen Sprache, doch ten Hälfte des Jahrhunderts gewann auch im öffentlichen Leben der allgemeine Gebrauch der ungarischen Sprache breiten Raum. Die ursprünglich deutsche Sprache in der Familie und in der Gemeinde wurde von der ungarischen abgelöst. Noch zur Zeit Sztehlos im Jahre 1870 wurde beschlossen, sowohl in der Sprache des Gottesdienstes als auch der kirchlichen Verwaltung völlig zur ungarischen Sprache übergeht.

Unter der Amtswaltung von Scholtz kam es zur Enteignung der Parzelle auf der die Kirche stand. Die Regierung übernahm die Garantie, an einer anderen

Stelle in der Burg auf eigene Kosten eine neue Kirche, eine Pfarrerwohnung und ein Schulgebäude der Gemeinde in schlüsselreifem Zustand zu übergeben

Dies erfolgte am 30. April 1895 am Wiener Torplatz. Die feierliche Einweihung war am 20. Oktober.

1906 wurde Scholz zum Bischof des Montan-Distrikts gewählt. Nach 45 Jahren Tätigkeit als Seelsorge trat er 1918 in den Ruhestand und verschied 1925 im Alter von 83 Jahren.

Infolge des Wachstums der Stadt begann die Teilung der Gemeinde, die noch lange dauern sollte. Als erster wurde der Altofener Teil selbständig, danach das Gebiet Krenfeld/Kelenföld und zuletzt das Gebiet der Ofner Berge. Später teilten diese sich auch selbst wieder, wodurch die Gemeinden Csillaghegy und Promontor entstanden.

 

Nach dem Rücktritt von Scholz kam es im Jahre 1919 zum Wahlkampf um die Pfarrstelle in Ofen, aus dem Matthias Varsány (Wurm) als Sieger hervorging, aber auch sein Gegner Armin Hüttl diente weiter in der Gemeinde, was zur Spaltung unter den Gläubigen führte.

Als Nachfolger schlug Bischof Alexander Raffay Franz Sréter vor, der an seiner Seite als Missions-Geistlicher gewirkt hatte und der auch einstimmig gewählt wurde. Stréter war als Evangelisator bekannt und unter seiner Wirksamkeit blühte die Evangelisation auf. Offenbar auf staatlichen Druck wurde er 1954, vier Monate vor seinem 60. Geburtstag in den Ruhestand versetzt.

1952 gestaltete die Synode die bisherige Einteilung der Kirchenbezirke um, statt der vier wurden zwei gebildet: Kirchenbezirk Süd und Kirchenbezirk Nord. Zum Bischofssitz Nord wurde die Burg Ofen, zum Bischofssitz Süd Deák-Platz bestimmt.

1994 wurde Karl Hafenscher jr. als Seelsorger gewählt und eingeführt.

Zur Linderung des Seelsorgermangels startete die Gemeinde dreijährige Kurse an der Theologischen Akademie zur Bildung von Mitarbeitern. Manche von ihnen wurden von den Bischöfen zu Diakonen-Seelsorgern geweiht.

Nach der Einführung des ständigen ungarischen Pfarramtes in Pesth im Jahre 1837 und der Berufung von Josef Székács zum ersten Pfarrer der Gemeinde wurde der Deák-Platz ein Zentrum des kulturellen Lebens von Pesth. Es war das Reformzeitalter. Die Zahl der Lutheraner stieg in 50 Jahren von 216 auf 1614 in Pesth.

Der ganze Artikel erschien im Buch „Deutsche in Budapest“ (1999, Budapest).

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