„Der Priester sollte die Gläubigen in ihrer Muttersprache bedienen können”

Im Gespräch mit dem Stiftskanoniker banaterschwäbischer Herkunft Johann Palfi

Von Richard Guth

Die Glaubensbekenntnis während der Gelöbniswallfahrt der Donauschwaben nach Altötting ist in den vergangenen 58 Jahren zu einer festen Institution geworden. „Gastgeber” der Glaubensbekenntnis war in diesem Jahr Stiftskanoniker Johann Palfi, der seit drei Jahren in Altötting als Geistlicher dient. Der aus dem Banat stammende Pfarrer verließ 1986 Rumänien und ließ sich in Bayern nieder. Wir haben mit ihm über seine Erfahrungen als Seelsorger in beiden Ländern unterhalten.

SB: Pfarrer Palfi, Sie erzählten nach der Veranstaltung in der Stiftskirche, dass ihr ungarischer Familienname bei einigen für Nachfragen sorgte. Können Sie uns einen kleinen Einblick in Ihre Familiengeschichte gewähren?

JP: Mein Vater János ist Ungar aus dem Banat, meine Mutter Schwäbin. Eine Heirat zwischen Deutschen und Ungarn war nicht selten, weil jeder die Sprache des Anderen sprach und beide katholisch waren. In meinem Heimatort Tschakowa lebten vier Nationen, Deutsche, Ungarn, Serben und Rumänen. Zu Hause sprachen wir deutsch, eigentlich schwowisch. Ungarisch sprachen wir auch, zum Leidwesen der Verwandtschaft war die Satzbildung deutsch, mit ungarischen Wörtern. Meine Schwester und ich besuchten die deutsche Schule, die, nach der rumänischen, auch die größte war. Da hatten wir auch unsere Freunde, mit denen wir auch in einer Gesellschaft waren (Geburtstagsfeiern, später Tanzen an Ferienwochenenden, Kirchweih). Selbstverständlich verstanden und spielten wir auch mit ungarischen, rumänischen und serbischen Nachbarn.

SB: Sie sind in einer Gemeinde mit mehrheitlich deutscher Bevölkerung aufgewachsen. Wie erlebten Sie als Jugendlicher diese „kleine deutsche bzw. multikulturelle” Welt?

JP: Es war eine Situation, in die wir hineingeboren waren. Man kannte sich. Zunächst die Nachbarn, die Leute aus derselben Straße, dann die Menschen, mit denen man zu tun hatte, Ärzte, Apotheker, Verkäufer, Beamte, Lehrer, Arbeitskollegen der Eltern, später in der rumänischen Schule die neuen Klassenkameraden und deren Familien.Wir lebten nicht in einer geschlossenen, rein deutschen Gesellschaft, wir nahmen auch Teil am Leben der anderen wie bei Begräbnissen, Hochzeiten, jeweiligen Kirchweihfesten. Kulturelle Veranstaltungen wie Theater, Operetten, Konzerte besuchten wir gemeinsam.

SB: Sie sprechen fließend Ungarisch und Rumänisch, obwohl Sie eine deutsche Schule besucht haben und Ihre Muttersprache deutsch ist. Wo haben Sie diese beiden Sprachen erlernt?

JP: Ungarisch zu Hause vom Vater, der Verwandtschaft, den Nachbarn. Im ersten Kindergartenjahr war ich im ungarischen Kindergarten, doch danach im deutschen, weil ich ja auch in die deutsche Schule gehen sollte. Rumänisch von den Nachbarkindern, aber bestimmt auch schon im Kindergarten, und letzten Endes vom Radio. In der deutschen Schule hatten wir schon das Fach Rumänisch.

SB: Sie besuchten in den Siebzigerjahren das Priesterseminar in Karlsburg/Alba Iulia. Inwiefern hat man Sie auf den Dienst in einer deutschsprachigen Gemeinde vorbereitet.

JP: Die Unterrichtsprache war ungarisch. Doch bei Kolloquien und Prüfungen durften wir auch deutsch oder rumänisch antworten. Die Gleichberechtigung wurde damit praktiziert, waren wir doch Studenten verschiedener Nationalität. Die Mehrheit Ungarn, dann Deutsche, Kroaten, Tschechen, Bulgaren, Slowaken und Rumänen. Freitags feierten wir die Hl. Messe lateinisch, samstags deutsch. Dann sangen wir deutsche Lieder. Deutsch war auch ein Lehrfach, also sollten alle auch die deutsche Sprache lernen. Wir wurden generell für den pastoralen Einsatz in den  Gemeinden vorbereitet. Der Priester sollte die Gläubigen in ihrer Muttersprache bedienen können. War doch die Sprachenvielfalt nicht nur eine Selbstverständlichkeit im Banat, sondern auch in Siebenbürgen, Sathmar und Großwardein.

SB: Sie haben in verschiedenen Orten des Banats gedient. Welche Erfahrungen haben Sie während Ihres Dienstes gemacht, vor dem Hintergrund der sich verstärkenden Ausreisewelle?

JP: Es begann mit dem Zweiten Weltkrieg. Familien wurden auseinandergerissen, deportiert, Kinder waren Waisen oder Halbwaisen. Der Vater gefallen oder aus der Gefangenschaft entlassen, oder nicht zurückgekehrt. Oft hat man ein neues Leben begonnen und später im Zuge der Familienzusammenführung die Familie nachgeholt. So ging es weiter wie eine Lawine. Enteignung, Deportation und so manche Demütigung haben Spuren in den Seelen hinterlassen… So wuchs der Wunsch bei vielen, aus der Not, aber auch dem innigen Wunsch heraus mit den anderen zusammenzusein. Später, in meiner Generation, kam der Wunsch auf frei reisen zu können, wurde das uns doch verwehrt. Und erleben, wie es in der freien Welt, im Mutterland, ist. Diese Sehnsucht haben unsere Ahnen immer im Herzen getragen.

SB: Sie haben 1986 ihr Heimatland verlassen. Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen?

JP: Die Lawine der Auswanderung war schon längst im Gange, als wir 1981 geweiht wurden. Zudem kannten wir die Sehnsucht und die Absicht vieler Gläubigen wegzugehen. Dazu auch der Wunsch des jungen Menschen, mal über die Grenze zu dürfen. Tschakowa ist nur einige Kilometer weg von der serbischen Grenze. Ich durfte nie dorthin.

SB: Seit dreißig Jahren arbeiten Sie als Seelsorger in Deutschland. Welche Unterscheide (und Parallelen) zum Dienst im Banat meinen Sie zu entdecken?

JP: Im Banat erlebte ich eine Volkskirche, in der fast jeder jeden gekannt hat in unseren schrumpfenden Gemeinschaften. Wir konnten wirken als Priester, aber mit vielen Einschränkungen. Die Repressalien in manchen Fällen, Bespitzelung. Die Lehre der Kirche war unangefochten, nach dem Motto: Roma locuta, causa finita. In Deutschland erlebe ich eine freie Kirche, in der sehr viel hinterfragt wird und die Freude am Christsein bei manchen Menschen doch nicht so sehr ausgeprägt ist.

SB: Sie sind im Dienst der Donauschwaben tätig. Auch wenn aus dem Banat fast alle Deutschen ausgewandert sind, gibt es im Nachbarland Ungarn noch (teilweise) deutsche Gemeinden. Haben Sie irgendwelche Beziehungen zu den Deutschen jenseits der ungarisch-rumänischen Grenze?

JP: Anfang der 90er Jahre war ich viel in Kalotscha. Dort habe ich noch einige Schwaben in der Kirche kennengelernt. Ich habe in Hajosch die deutsche Sonntagsmesse feiern dürfen. Der damalige Bürgermeister, Franz Schön, hat mich dann meistens abgeholt, nachdem der Erzbischof Dankó mich gebeten hatte, diesen Dienst nach Möglichkeit zu übernehmen. Kulturelle Veranstaltungen habe ich in Kalotscha auch erlebt und wie ich bei unserer Wallfahrt sehe, gibt es funktionierendes deutsches Leben auch heute.

SB: Pfarrer Palfi, vielen Dank für das Gespräch!

Auf dem Foto: Die Kirche von Tschakowa (CC BY 2.0)

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