Problematik der frühen Zweisprachigkeit bei den Ungarndeutschen IV.

Der vierte Artikel unserer Artikelreihe zum Thema der Zweisprachigkeit der Ungarndeutschen ist der vierte Teil des Artikels über den Vortrag von Ágnes Sauer (erschien in Sonntagsblatt 2010/1). Den ersten Teil finden Sie hier, den Zweiten hier und den Dritten hier.

Gyula, den 23. 10. 2009 – Vortrag von Agnes Sauer  (Auszüge)

Das gilt auch für uns. Wir, Ungarndeutsche haben keine Wahl bei der Auswahl der zweiten Sprache, nur bei der der dritten. Deutsch ist die Sprache, in der unsere Kultur festgehalten wurde. Ohne Deutsch sind wir Ungarn mit deutschen Wurzeln, Liedern und Tänzen. Und Feiern. Feiern ist schön, und das können wir noch deutsch machen. Stundenlanges Programm können wir auf die Bühne stellen. Ich persönlich schätze diese Leistung, geniesse die gut gestalteten Programme. Nur dann sticht es ein wenig in meinem Herzen, wenn ich süsse Kinder in Trachten gesteckt sehe, die, wie man das so oft erleben muss, weit nicht so viel deutsch verstehen, wieviel man anhand ihrer Vorstellung, ihres Programmes vermuten würde.

Die deutsche Sprache unserer Gemeinschaften soll nicht nur die Sprache der Feiertage sein, sie soll zur Kommunikation, zur Weitergabe des Erbes gebraucht werden.

Kann das noch angestrebt werden? Die objektiven Möglichkeiten sind gegeben. Gesetz, Institution, sogar Geld, wenn auch nicht genügend, aber daran liegt es nicht. Wie weiter also? Man muss die Zahl der deutschsprechenden Ungarndeutschen erhöhen. Alle dazu ermuntern und fördern, dass sie die Werte der vorhergehenden Generationen festhalten und weitergeben sollen. Das Prestige der gesprochenen Sprache muss hervorgehoben werden. Ein Umdenken ist in dieser Hinsicht erforderlich und eine harte Überzeugungsarbeit. Eine Sprache ist kein Gestein, sie muss lebendig, spürbar in der Gemeinschaft sein!

Wenn mann eine Sprache nur in der Schule gebraucht, ist sie ein Schulfach, sie ist nur das Ziel, das man erreichen will und nicht das Mittel zur Verständigung. Die Sprache ist ein Bindeglied der Gemeinschaft. So viel hat man gegen den Sprachgebrauch der Ungarndeutschen verbrochen, vieles kann nicht mehr widerhergestellt werden. Die Gemeinschaft der Ungarndeutschen schrumpfte, der jetzt aktive Kern müsste aber gerettet und weiterentwickelt werden. Dazu ist der eine Weg die frühkindliche zweisprachige Erziehung. Partner in der deutschsprachigen Erziehung der Kinder sind in erster Linie die Eltern. Sie müssen über die Vorteile der zweisprachigen Erziehung bestens informiert, von der Wichtigkeit der frühkindlichen Zweisprachigkeit überzeugt werden.

Die Kindergärtnerin ist in diesem Alter für die Kinder das Modell, dem sie nachahmen, nachgehen wollen, dessen Liebe sie für sich gewinnen, verdienen wollen, die in ihnen Neugierde erweckt, die ihnen solche Erlebnisse sichert, zu denen sie ausserhalb des Kindergartens gar nicht kommen würden, könnten. Die Aufgabe der Kindergärtnerin ist es, eine warme Umgebung zu sichern, in der die Kleinen offen, selbstsicher, vertrauensvoll und mutig werden, sich äussern. Und es ist nicht anderst bei unseren Kindergärtnerinnen, die die wichtigste Rolle beim Spracherwerb unserer Jugendlichen spielen müssten.

Warum klappt es dann mit der deutschsprachigen Erziehung in unseren Kindergärten nicht? Wo ist der Haken? Haben wir etwas, oder alles falsch gemacht? Da die Weitergabe der deutschen (Mutter-)Sprache ungewollt dem Kindergarten übergeben wurde, muss dieser Einrichtung viel mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. Diesem Kindesalter, und den Erwachsenen, die sich um die Jüngsten kümmern. Der Kindergarten muss an Wert gewinnen.

Das Kindergartenalter ist bei der Persönlichkeitsentwicklung des Menschen ein ausserordentlich wichtiges Alter, was von uns Laien nicht immer, oder nicht gerne wahrgenommen wird. Der Kindergarten ist ausserhalb der Familie der wichtigste Ort. Bei der Sozialisation werden in dieser Institution die geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze des gesellschaftlichen Zusammenlebens, die Normen und Bräuche des engeren und weiteren Umfelds angeeignet, die Traditionen wahrgenommen und gepflegt, Lebensweise und Sprache des engeren Umfeldes kennengelernt. Die Kindergärtnerinnen darf man bei dieser vielfältigen Arbeit nicht alleine, auf sich gestellt lassen. Beim Versehen des breitgefächerten Aufgabenbereiches, beim Erreichen des

gemeinsamen Zieles muss man sie unterstützen, stärken. Es hat eine besondere Bedeutung, wenn es um die verlorene Sprache unserer Volksgruppe geht.

Überzeugte Pädagogen braucht man, die an der Verwirklichung des gestellten Zieles glauben, die auf gut fundierter Basis ihr angeeignetes Wissen einsetzen können und ihr Vorhaben formulieren können. Solche, die die Informationen und Hintegrundkenntnisse besitzen, die sie befugen für das Fortbestehen der deutschen Sprache der Volksgruppe (Sprachgruppe) in Ungarn ihr Bestes zu tun.

Die Ausbildung der Kindergärtnerinnen in Ungarn ist im Vergleich zu anderen europäischen Ländern eine der besten. Die meisten Kindergärtnerinnen arbeiten kreativ, verfügen über entsprechende Empatie, Kommunikationsfähigkeiten, Kenntnisse und Methoden. Die Aus- und Fortbildung soll aber vor allem der Weiterentwicklung ihrer Sprachkompetenz, der Sprechfähigkeit dienen.

Benötigt die zweisprachige Erziehung im Kindergarten besondere Methoden?

Meiner Meinung nach nicht. Warum auch? Egal, nach welcher Methode der Kindergarten arbeitet, nach welchen Prinzipien das Kindergartenprogramm zusammengestellt wurde, eins ist aus unserer Sicht wichtig: laut Richtlinien muss im Minderheitenkindergarten unter anderem die Sprache gefördert werden, die von den Kindern weniger gesprochen wird. Eindeutig. Wenn es um einen zweisprachigen Kindergarten geht, muss die Hälfte des Tages in der einen, die zweite in der anderen Hälfte gestaltet werden. Wie kann man das meistern? Soll man den Tag in zwei Teile trennen? Soll man die Tätigkeitsformen sortieren nach den Sprachen? Soll man die Woche aufteilen? Oder den Monat?

Es gibt mehrere Lösungen für die Verwirklichung der Zweisprachigkeit. Der personengebundene Sprachgebrauch im Kindergarten, das Modell „Eine Person – eine Sprache” wird in vielen von Minderheiten bewohnten Regionen praktiziert. Dieses „Wundermittel” ist das Erbe, das viele von uns am eigenen Leibe erlebt haben, erleben mussten. Gemeint sind die Ungarndeutschen älteren

Jahrgangs. Wir sind in Familien aufgewachsen, in denen entweder „Schwäbisch”, d.h. in der Mundart, oder Ungarisch und Schwäbisch gesprochen wurde, im Umfeld gemischt, grösstenteils Ungarisch. Viele von uns wurden nicht mehr direkt Deutsch angesprochen, es wurde nur über unserem Kopf deutsch gesprochen, was uns aber nicht daran gehindert hat, dass wir die Sprache uns aneignen. Wir wurden mit der Sprache berieselt! Unsere Eltern und Grosseltern haben sich mit Sprach-Erwerbs-Problemen und Taktiken nicht auseinandergesetzt. Sie haben nur ihre Muttersprache gebraucht. Das muss heute auch gemacht werden. Wie in einer Familie, in der die Eltern verschiedene Muttersprachen haben und jedes Elternteil mit den Kindern seine Sprache spricht.

Das Modell „Eine Sprache – eine Person” wurde in Ungarn das erste Mal im Jahr 1994 in Agendorf bei Ödenburg (West-Ungarn) von einer Stiftung eingeführt. Überzeugte zweisprachige Pädagogen starteten das Projekt, um Zweifelnden einen Beweis zu präsentieren, Gegner von der Richtigkeit zu überzeugen, mit gutem Beispel zu dienen. Der Start ist sehr gut gelungen und hat allen Beteiligten – trotz vieler organisatorischer Schwierigkeiten – sehr viel Freude bereitet, unzählige gute Erfahrungen gebracht. Das Ziel wurde einerseits erreicht: die zweisprachige Erziehung kann ohne grossangelegte Vorbereitungen eingeführt werden und bringt von allen anderen Modellen abweichend die besten Ergebnisse beim Spracherwerb.

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