Ein Kommentar zur Wahl des deutschen Abgeordneten
Wahrlich ist der Einzug von Emmerich Ritter ins ungarische Parlament ein historischer Moment, wohlwissend, dass es auch in der jüngeren und ferneren Vergangenheit Abgeordnete gab, die sich für die „deutsche Sache” eingesetzt haben. Wir als Nachkommen von Jakob Bleyer werden dabei stets an seine mahnenden Worte erinnert, die er 1933 an die ungarische Politik gerichtet hat. Auch, wenn seitdem 85 Jahre vergangen sind, ist seine Kritik auch heute noch gültig, wenn nicht sogar aktueller denn je.
Es ist in der Tat ein großer Erfolg, dass Menschen – in Anbetracht dessen, dass sie dadurch auf ihr parteipolitisches Stimmrecht verzichten – einem eigenen Vertreter Vertrauen geschenkt haben. Eine Chance, die es wahrzunehmen gilt.
Dabei möchte ich an dieser Stelle den ehemaligen Minister für Humane Ressourcen, Zoltán Balog, zitieren, der vor einigen Monaten gesagt hat, dass wir uns nicht erlauben können sich zurücklehnen. Und in der Tat, es gibt viel zu tun: Ungarn verfügt seit der Wendezeit zweisfelsohne über ein mustergültiges Minderheitengesetz, woran es hapert, ist die Umsetzung der schön klingenden Minderheitenrechte in die Praxis.
Die LdU mit Listenführer Emmerich Ritter hat vier Hauptziele formuliert. Die Pflege der Kontakte zum Mutterland erscheint dabei als evident. In der Person von Bernd Fabritius, ein Siebenbürger Sachse, wurde ein Politiker zum neuen Beauftragten der Bundesregierung gewählt, der es durch seine persönlichen Bindungen zu Ost- und Mitteleuropa und die Erfahrungen als (vormaliger) Angehöriger der deutschen Minderheit versteht, wie man die deutschen Minderheiten in dieser Region noch effektiver unterstützen könnte. Allen voran im Schulbereich, was auch im Wahlprogramm der LdU Aufnahme fand. Denn kulturelle Autonomie zu haben ist die eine Seite der Medaille, die andere ist diese Autonomie mit Inhalt zu füllen. Die Zeiten mit fünf Stunden Deutsch-Fremdsprachenunterricht, der dank oder wegen der einen Volkskundestunde als Nationalitätenprogramm verkauft wird, sollten endlich vorbei sein. Es macht in der Tat keinen Sinn, zwei- oder gar (deutsch) einsprachigen Unterricht – oft nur auf dem Papier – in der Fläche anzubieten, aber dort, wo er aufgrund deutscher Präsenz als berechtigt erscheint und die Trägerschaft der betroffenen Einrichtung der örtlichen deutschen Selbstverwaltung obliegt, dort müsste er Standard sein. Die Erfahrungen aus den Nachbarländern zeigen, dass nur authentische Angebote zum Erfolg führen, aber selbst dort ist eine Entscheidung für den muttersprachlichen Unterricht seitens der Eltern keine Selbstverständlichkeit mehr. Genauso gilt es, die eklatanten Mängel bei der Fachlehrerausbildung (die es in weiten Teilen gar nicht gibt) zu beheben, und gleichzeitig eine Lösung gegen die Abwanderung von Lehrkräften ins Ausland zu finden. Hierbei wäre ein stärkeres Engagement des Mutterlandes zielführend. Wenn wir von Schulen sprechen, dann meine ich ein Schulnetz vom Kindergarten bis zur Universität, wie es bei den Rumänienmadjaren beispielsweise üblich ist. Denn oft setzen Schüler von zweisprachigen Nationalitätenschulen (in den wenigen, die es gibt) ihre Schullaufbahn in rein ungarischsprachigen Schulen fort oder Absolventen von Nationalitätengrundschulen mit fünf Stunden Deutschunterricht finden Aufnahme an zweisprachigen Gymnasien und fühlen sich heillos überfordert.
Das dritte Ziel im Wahlprogramm, die Rückgabe der Mitbestimmungsrechte örtlicher deutscher Selbstverwaltungen, ist zu begrüßen, wie das ganze Fortentwickeln des Nationalitätenselbstverwaltungssystems. Denn immer noch wird deren Tätigkeit vom Kultumanagement (inkl. Traditionspflege) dominiert, eine echte Interessensvertretung findet dabei kaum statt. So bleiben verbriefte Rechte wie die Benutzung der Muttersprache in den (vornehmlich lokalen) Ämtern auf der Strecke (10 bzw. 20 Prozent-Regelung), in Ermangelung von Druckmöglichkeiten, aber auch dank fehlender Motivation und wegen Interessenskonflikte gerade auf kommunaler Ebene. Denn Rechte werden nicht nur gewährt, diese muss die Gemeinschaft auch einfordern. Wie es so schön heißt: Wo kein Kläger, da auch kein Richter. Aber auch Staat und Kommunen stehen hier in der Pflicht, durch die Einstellung deutschsprachiger Beamter beispielsweise ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachzukommen. Genauso könnte ein stärkeres Selbstverwaltungssystem, an dessen Spitze – in Kooperation mit der LdU – der gewählte deutsche Abgeordnete steht, auch andere Rechte einklagen, die der Gemeinschaft ohnehin zustehen, wie zum Beispiel die Zwei- bzw. Mehrsprachigkeit im Bus- und Bahnverkehr. Die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen, hier noch ein Beispiel: Das religiöse Leben in Ungarn ist seit spätestens 1946 ungarisch geprägt, Gottesdienste, Beichte, Religionsunterricht, Taufe und Begräbnis in der Muttersprache sind Mangelware oder Gegenstand von Beliebigkeiten. Dabei stehen uns diese Rechte zu, aber auch hier greift die Mutlosigkeit vieler Repräsentaten, die der Meinung sind, dass wir froh sein müssten, überhaupt so viel zu haben. Aber genauso gilt es für unsere Außendarstellung, wenn Korrespondenzen von Nationalitätenselbstverwaltungen sowie Kultur- und Gedenkveranstaltungen von der Verwendung des Ungarischen geprägt werden. Es mag ein Ausdruck des Sprachverlusts bei den Ungarndeutschen sein, aber als Signal ist es fatal.
Dass es auch anders gehen kann, zeigt gerade das Beispiel des jüngsten Sohnes von Emmerich Ritter, dessen „erste Muttersprache” Deutsch sei und nicht Ungarisch, wie der Abgeordenete gegenüber dem Ungarischen Rundfunk MTVA betonte. Chance wahrnehmen heißt nicht nur gemeinsam siegen lernen, sondern sich gemeinsam für den Fortbestand einzusetzen. So wird aus einer schlichten Wahl erst etwas Historisches.
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