Die Entwicklung – wie auch immer – ist nicht aufzuhalten. Dabei kann es Stagnation, progressive Tendenz oder auch Rückgang geben. Augenblickliche Situationen sind nicht endgültig, aber bei gewissen Erscheinungen kann eine Korrektion vonnöten sein. Eine pure Zurkenntnisnahme reicht dazu in der Regel nicht aus, wenn sich Zeichen einer als endgültig zu betrachtenden Krise umreißen.
Als ein Deutscher in Ungarn – auch Ungarndeutscher genannt – um mich geblickt, merke ich auch ohne die genaue Kenntnis und der Berücksichtigung statistischer- und Volkszählungsdaten, dass sich unser Rückgang tendenziös beobachten lässt. Wo sind jene Zeiten (sie sind erst Jahre her), als sich nach der Messe in unseren Dörfern – noch in Dutzenden versammelt – ältere Leute in ihrer Festtagstracht in ihrer deutschen Mundart ausgiebig unterhielten, selbst wenn die Sonntagssuppe auf dem Tisch zu Hause inzwischen ausgekühlt war?
Alleine die Zeit scheint dieses Problem auf ihre endgültige Art gelöst zu haben. Dass man dagegen in sich hadert oder sich sentimental Gefühlen der Vergänglichkeit hingibt, scheint an der Tatsache unseres Verschwindens nicht viel zu ändern. Wie auch?
Wenn die Basis ihre Sprache bereits kaum mehr weitergibt, wenn man sich mit seiner ungarischen Einsprachigkeit zufrieden gibt oder stolz verkündet, dass die Kinder und Enkelkinder in Englisch Fortschritte machen, weil das doch zum Zurechtkommen im Leben viel wichtiger sei, dann horcht man bereits zu spät auf.
Die Muttersprache (insbesondere im Falle einer Volksgruppe) kann nicht nüchternen Argumenten ihrer Nützlichkeit unterworfen sein, da sie auf längere Frist das am stärksten behaltende Identifikationsmerkmal ist. So ist es auch in unserer Diaspora, in der wir nach der Beobachtung des Betrachters gerade gar nicht mehr gut stehen.
Wenn es die sogenannte Muttersprache quasi nur noch zum Status von einem Schulfach bringt, dann hat man die Spur von einem Gedankengang als seine Fährte falsch angelegt. Von außen betrachtet kann das gar in Ordnung sein, aber es bleibt das Mangelgefühl übrig, etwas verpasst zu haben.
Seine in den überwiegenden Fällen als Dialekt weitergegebene und tradierte Mundart als Muttersprache durch einen Status zu küren, ist nie geschehen. Das hat man für uns ordentlich vermasselt. Vielleicht in aller Regel sogar ohne wahre Absicht, nur war halt diese Sprache von höherem Status da – das Hochdeutsch – und man wollte doch nicht als Ewiggestriger auffallen und bäuerlich die Bühne der noblen Welt betreten.
So hat man unsere Grundlage ins Wertlose heruntergespielt. Dass man einander in der von Ort zu Ort variierenden Mundart nicht verstanden habe – ist eine schwache Legende, eine Frage der Absicht, eine geringe Mühe auf sich zu nehmen. Dass man seiner familiären- und Ortsverkehrssprache mächtig ist, musste doch keinesfalls heißen, dass man – als eine Art Nabelschnur, die uns nach außen mit aller Welt verbindet – Hochdeutsch nicht vermitteln und gebrauchen könne. Da hätte das Bildungssystem seine Aufgabe finden können.
Dann aber müssen wir uns auf der Suche nach unserer Muttersprache im wahren Leben noch viel weiter von jedem Deutsch entfernen. Was das Deutschtum in Ungarn wahrlich basislos macht, ist die Tatsache, dass die wahre Verkehrssprache unter uns bis in die intime Tiefe der Familie doch das Ungarische geworden ist. Ausnahmen gibt es, aber wie will man das strittig machen?
Man kann diese ganze Tendenz als eine natürliche Dynamik betrachten – als eine Dialektik dessen – wie sich Fragen, Erscheinungen und Probleme in einer Gesellschaft alleine durch die fortschreitende Zeit lösen. Diese Betrachtung ist eine Pragmatik, der das Ganze nicht am Herzen liegt, sondern die sich von dem kulturellen Wert einer Mehrsprachigkeit in einer Gesellschaft – von einem Schulterzucken begleitet -gleichgültig verabschiedet.
Denn ja, kulturelle Vielfalt ist während Jahrhunderten gewachsen und ließ eine sprachliche Vielfalt ohne nennenswerte Zwischenfälle gedeihen und gar blühen. Das wäre ein Gut, das man nicht hoch genug einzuschätzen hätte – oder halt gehabt hätte.
Die Einsprachigkeit engt einem seinen Horizont ein. Alles was man nicht versteht, bleibt einem fremd. Die Grundlage menschlichen Verständnisses ist halt mal in allererster Instanz die Sprache. Wir haben durch die Aufgabe unserer Ahnensprache(n) eine wahre Chance aus unserer Hand gegeben, die Möglichkeit eines Tiefenblicks der Erkenntnis.
Wie es mit uns weitergeht? Weder durch seine Sprache, noch durch die identifizierende Volkstracht aufzufallen, kann in der Kenntnis unserer Historie in gegebenen Fällen notfalls noch einen Vorteil bedeuten. Doch andere Beispiele beweisen ebenfalls klar: Nur weil man seine Herkunftssprache nicht mehr beherrscht, wird der Stempel der Abstammung – in allen Fällen – unkenntlich.
Die Frage ist: Wollen oder können wir uns jenen nötigen Prestigewert noch beimessen, auch in Zukunft als kompakte, vollständige Volksgruppe mitsamt Sprache zu bestehen? Oder wollen wir folgender alternativer Anschauung Glauben schenken: Eine Restkultur ohne Sprache kann auf eine gewisse Dauer als Daseinsbeweis noch ausreichend fungieren? Gibt es dann für uns noch eine berechtigende Akzeptanz und Anerkennung vor aller Welt (oder halt wenigstens vor uns selbst)?
Bild: https://www.heute.at/i/gemma-pizza-kaum-mehr-korrektes-deutsch-in-schulen-120023229/doc-1ho23lvgb4