Von Ralph Menz
Die Kultur der Donauschwaben in der Vojvodina wird untergehen. Darin ist sich Boris Mašić sicher. Doch er will retten, was noch zu retten ist. Mit seinem Kirchenmuseum in Apatin schafft er eine Arche, damit Kultur und Erinnerungen nicht ganz verschwinden.
Boris ist ein Getriebener. Sein Gegner ist die Zeit. Die Zeit, die vergessen und verschwinden lässt.
Es sind die Zeugnisse seiner Vergangenheit und die Geschichte seiner Ahnen, der Donauschwaben in der Vojvodina, die verschwinden. Tag für Tag. Das will er nicht zulassen. Noch nicht. Darum kämpft er. Rastlos.
Boris ist Deutsch-Lehrer und lebt in Apatin an der Donau. Seine Kinder sind die 13. Generation, seitdem seine Vorfahren einst in Apatin ankamen und dort siedelten. Noch immer wohnen sie im selben Haus.
Damals wurden von der Habsburger Kaiserin Maria Theresia nach dem Türkenkrieg viele Dörfer in der Region wiederbesiedelt. Apatin wurde das pulsierende Herz der donauschwäbischen Siedlungsgebiete. Doch davon ist heute kaum noch etwas zu sehen. Die Spuren, die es noch gibt, trägt Boris in der Herz-Jesu-Kirche, einer von zwei katholischen Kirchen in Apatin, zusammen.
Ein kleines Holzkreuz aus dem Internierungslager
Es sind ganze Bibliotheken und Archive, persönliche Dokumente wichtiger Persönlichkeiten und Relikte aus den zerstörten Kirchen der Donauschwaben, die Boris sammelt. „Ich muss retten, was noch zu retten ist. Morgen ist es vielleicht schon zu spät“, sagt er. Viele Dokumente seien auch für die deutsche Geschichte bedeutsam.
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Rund 60.000 Bücher hat er schon zusammengetragen. Viele noch unsortiert. Etliche vom Schimmel befallen. Sie erzählen ebenso die Geschichte von der Blütezeit der Donauschwaben in der Region wie die vielen Relikte aus den Kirchen.
Vor dem Ersten Weltkrieg lebten in der Vojvodina rund 500.000 Donauschwaben. Heute sind es noch rund 4000. Der Niedergang begann nach dem Zweiten Weltkrieg, als Titos Partisanen sich für die Zusammenarbeit von Donau-Deutschen mit Hitlers Wehrmacht und die Besatzung rächten. Hunderttausende wurden in Lager interniert, vertrieben oder umgebracht.
Aus dieser Zeit stammt auch ein kleines geschnitztes Holzkreuz, das Boris aufbewahrt. Gefertigt hat es ein 14-jähriger Junge im Internierungslager Gakovo bei Sombor. Es trägt die Inschrift „Mein Herr und mein Gott”. Boris: „Es ist eine Seltenheit, dass aus den Lagern noch etwas vorhanden ist. Das Kreuz ist geblieben. Der Junge ist gestorben und im Massengrab beigesetzt.“
Der Schock: die brennende Kirche von Sentiwan
Doch der tagtägliche Verlust an Kulturgut halte bis heute an, sagt Boris. Darum ist er auch fast jeden Tag unterwegs, um Dokumente und Kirchenrelikte zu retten.
Nachdem Boris das Licht angeknipst hat, gehen wir in der Herz-Jesu-Kirche hinauf auf die Emporen. Dort stellt er seine Fundstücke aus: Bücher, Protokolle, Zeichnungen, Skizzen, Kirchengewänder und Figuren aus den zerstörten Kirchen der Region finden sich dort. Auch Teile von Altären oder Kanzeln erinnern an längst vergangene Bauwerke.
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Immer wieder erzählt er von der katholischen Kirche in Sentiwan, heute Prigrevica, rund vier Kilometer von Apatin entfernt. Die prachtvolle Barockkirche von 1763 sei während des Krieges mit Kroatien 1991 von serbischen Paramilitärs geplündert und angezündet worden.
„Damals herrschte hier Anarchie – obwohl in Serbien kein Krieg war. Ich bin in die brennende Kirche hineingelaufen und habe noch herausgeholt was ging“, berichtet er von diesem dramatischen Ereignis. Einige Figuren und eine Pietà vom Hauptaltar sind so bewahrt worden. Das Erlebnis vor 25 Jahren war ein riesiger Schock für ihn und gleichzeitig die Initialzündung für seine Arbeit.
Und es war nicht die einzige Kirche, die so zerstört wurde. Auch die katholische Kirche in Kolut bei Sombor ereilte das gleiche Schicksal. Dort hat er barocke Teile der Kanzel gerettet. Boris: „63 deutsche Kirchen sind in der Vojvodina seit dem Zweiten Weltkrieg zerstört worden. Nur 23 sind geblieben. Davon 13 Ruinen.“
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Doch die Zerstörung halte noch an. „Heute ist es nicht mehr ausschließlich physische Zerstörung, sondern Gleichgültigkeit und kulturelles Desinteresse sowie Armut, die dafür sorgen, dass die letzten materiellen Reste deutscher Kultur zu verschwinden drohen“, erklärt Boris.
Dazu, so Boris, trage leider auch die Kirche selbst bei. Nicht selten komme es vor, dass Pfarrer Kunstwerke verkaufen. Und die Kirche als Organisation sei kaum noch in der Lage etwas für den Erhalt zu tun. Die katholische Kirche sei zersplittert, die evangelische existiere kaum noch. „Wenn ich es nicht mache, dann ist alles verloren.“
Pfarrer in Apatin leistet den Nazis Widerstand
Unterstützt wird Boris in seiner Arbeit vom deutschen Pfarrer Jakob Pfeifer in Apatin. Von Institutionen und Stiftungen aus Deutschland erhält er ab und an mal einen kleinen Zuschuss. Zum Beispiel, um das alte Pfarrhaus der Kirche in Apatin zu renovieren. Zwischenzeitlich war es einmal eine Entzugsklinik. Jetzt wird es eine Bibliothek und ein Gedenkort.
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Auch an den deutschen Pfarrer Adam Berenz möchte Boris hier erinnern. Er stellte sich im Zweiten Weltkrieg mit der kirchlichen Wochenzeitung „Die Donau“ gegen die Nazis und wurde schließlich in den Räumen des Pfarrhauses verhaftet und anschließend verbannt (siehe Video unten). Der „Deutsche Verein Adam Berenz” hält die Erinnerung an den Geistlichen wach und trägt und unterstützt die Arbeit von Boris Mašić.
Gegenüber der Kirche und dem Pfarrhaus liegt der einzige in der Vojvodina erhaltene deutsche Friedhof. Neben der bemerkenswerten Friedhofsarchitektur finden sich dort auch zwei Familienkapellen: die Kapelle der Familie Hermannsdorf und die Kapelle der wohlhabenden donauschwäbischen Familie Fernbach von Apatin. Alle anderen Friedhofskapellen bekannter Familien in der Vojvodina sind vollständig ausgeplündert und zerstört worden. Neben den Donauschwaben werden auf dem Friedhof heute auch Angehörige der Roma-Minderheit beigesetzt.
Geschichtsdaten sprudeln nur so aus ihm heraus
Trotz der deprimierenden Situation und der geringen Hoffnung auf Besserung mache ihm die Arbeit Spaß, sagt Boris. Fast täglich sei er unterwegs oder mit Büchern und Dokumenten beschäftigt.
Boris taucht dann ein in eine Zeit, als die Region noch wohlhabend und Apatin eine bedeutende Stadt war. Wenn er Bücher und Dokumente liest, dann wird für ihn die glanzvolle Zeit der Donauschwaben in der Vojvodina wieder lebendig.
Diese Zeit wird allerdings nicht zurückkommen, das weiß er. „Wenn meine heute 94-jährige Großmutter einmal stirbt, dann gibt es die Generation, die in der deutschen Zeit gelebt hat, nicht mehr. Die donauschwäbische Zivilisation ist hier dann ausgelöscht.“
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Durch seine Arbeit ist Boris ein wandelndes Geschichtslexikon geworden. Namen, Orte und Geschichtsdaten sprudeln nur so aus ihm heraus. Fast täglich kommen daher Anfragen von Nachkommen der Donauschwaben aus aller Welt, die Spuren und Informationen ihrer Vorfahren suchen.
Auch mit Historikern in Deutschland arbeitet Boris zusammen. Er hofft, dass das zusammengetragene Erbe der Donauschwaben mal in eine Institution überführt wird, die es dauerhaft katalogisiert und bewahrt.
Wie ein Zeichen für die Lage der donauschwäbischen Kultur steht die katholische Herz-Jesu-Kirche in Apatin derzeit nur mit einer Turmspitze im Ort: „Vor zwei Jahren hat der Blitz eingeschlagen und das Turmdach ist abgebrannt. Gott sei Dank ist der Kirche nicht mehr passiert, aber uns fehlt das Geld zum Wiederaufbau – 30.000 Euro wären nötig.“
Auch die Kirche selbst ist eine Besonderheit: Vom Wiener Architekten Bruno Buchwieser 1931 gebaut und 1933 eingeweiht ist sie nie fertig geworden. Der Innenraum ist lediglich verputzt. Es fehlen Bemalung, Altar, Kanzel, Orgel und Glocken. Einmal im Monat wird hier noch ein Gottesdienst gehalten.
Heute hat die Kirche eine zusätzliche Funktion bekommen: Sie ist das Refugium, die Arche, in der die Reste der donauschwäbischen Kirchenkultur aus der Batschka eine neue Bleibe finden.
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Mit der abgeschlossenen Restaurierung der Friedhofskapelle, der Instandsetzung des Friedhofs, der Renovierung der Herz-Jesu-Kirche und des Pfarrhauses sowie der Eröffnung des donauschwäbischen Kirchenmuseums wird wieder sichtbar, welch prägende Rolle die Donauschwaben einst wirtschaftlich und kulturell in Apatin und der Region spielten.
Liegt in der Erinnerung auch ein Stück Zukunft?
Apatin war nach dem Ersten Weltkrieg geistiges Zentrum des deutschen Katholizismus im neu entstandenen Königreich Jugoslawien. In der Region hat auch die Familie des früheren Erzbischofs von Freiburg und Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, ihre Wurzeln. Zollitsch wurde 1938 in Filipowa, dem heutigen Bački Gračac, nahe Apatin geboren. Der sechsjährige Zollitsch, seine Großmutter und drei Cousinen wurden 1944 in das Lager Gakovo gebracht. 1946 floh die donauschwäbische Familie Zollitsch nach Deutschland.
Boris hofft, dass der Komplex aus Kirche, Pfarrhaus, Friedhof und Kapellen unter staatlichen Denkmalschutz gestellt und so weiter bewahrt wird. Denn die Kultur der Donauschwaben wird definitiv aus diesem Teil Europas verschwinden.
Apatin ist aber dank seiner reichen Vergangenheit und der unermüdlichen Arbeit von Boris Masić die wichtigste Anlaufstelle für alle, die etwas über die donauschwäbische Kultur in der Vojvodina erfahren wollen. Vielleicht liegt darin auch ein Stück touristische Zukunft.
Dieser Artikel erschien in der Zeitung „Batschkaer Spuren” (Nr. 46).
Quelle: http://sombor-blog.de/apatin-eine-arche-fuer-die-kultur-der-donauschwaben/