Den ersten Teil können sie hier lesen.
Das Schweigen der Balkandeutschen nach 1945
Das Schicksal der jugoslawischen Deutschen ist in jüngerer Zeit ein wichtiges Thema der kroatischen Gegenwartsliteratur geworden. Im sozialistischen Vielvölkerstaat Jugoslawien mochte kaum jemand darüber sprechen – und schon gar nicht schreiben. Die Jahrhunderte währende Siedlungsgeschichte der Deutschen in dieser Region war nach deren massenhaften Vertreibung am Ende des Zweiten Weltkriegs tabuisiert. Die wenigen noch im Lande verbliebenen Deutschen mieden das Thema. Sie wollten nicht für Hitlers Kriegsverbrechen verantwortlich gemacht werden.
Darüber hinaus riss nach dem Zweiten Weltkrieg die Verbindung innerhalb der deutschen Familien ab – zwischen den Vertriebenen, die sich in der jungen Bundesrepublik einrichteten und ihren in Jugoslawien verbliebenen Angehörigen.
Deutsche Grammatik, kroatischer Wortschatz
In seinem Roman „Das eherne Zeitalter” zitiert der kroatische Erzähler Slobodan Šnajder einen authentischen Brief seines Großonkels aus Bayern, gerichtet an Šnajders Vater in Zagreb zu Beginn des jugoslawischen Bürgerkriegs.
„Lieber Neffe Djuro und alle anderen. Jetzt nehme ich mir mal ein bisschen Zeit, dass ich Euch ein paar Worte in diesem Brief schreibe… Wir leben noch, und was die Gesundheit angeht, so wie alle alten Menschen. Euch wünschen wir auch alles Gute!”
„1990 oder 1991 brachte mein Vater einen Brief mit, den er von dem Bruder meines Großvaters bekommen hatte. Dieser Bruder hatte sich aus einem Dorf in der Nähe von Passau gemeldet. Ich wusste, dass die Familie dort lebte, aber wir hatten sonst keinen Kontakt. Der Brief ist ein linguistisches Kuriosum: Die Grammatik ist deutsch, der Wortschatz kroatisch-slawonisch.”
„Hier geht es uns allen gut. Bei Euch ist wieder Krieg und Übel. Wenn Ihr Essen braucht oder sowas, meldet Euch. Hier erzählen die Leute, dass Opel wieder Arbeiter nimmt. Das sage ich Dir wegen Deines Sohnes. Ich weiß nicht, ob er eine Ausbildung hat. Aber das muss nicht sein, wenn er gesund ist und lesen und schreiben kann, wird er es leicht haben. Meine Adresse und Telefon habt Ihr. Ich arbeite so viel ich kann im Garten. Viel wächst hier, aber nicht so wie in unserem alten Haus am Ende der Straße. So einen Garten findet man nirgendwo noch einmal.”
Die eigene Herkunft als Thema entdeckt
Der Sohn, der bei Opel einsteigen könnte, ist Slobodan Šnajder, zu diesem Zeitpunkt längst ein berühmter kroatischer Schriftsteller.
„So blöd und unkommunikativ wie ich bin, habe ich nicht sofort angerufen. Ich dachte, ich melde mich, wenn ich mal in München bin. Nach einem Jahr rief ich dann wirklich an. Es meldet sich einer meiner Verwandten – der Großonkel hatte 11 Söhne – und sagt: ‘Johannes Schneider ist leider verstorben.’ Schluss. Dieser Verwandte von mir konnte kein Wort Kroatisch mehr. Aus! Was bedeutet Slawonien für ihn?”
Nach diesem Erlebnis mit seinen Verwandten vergingen Jahre, bis Slobodan Šnajder die eigene Herkunft als Stoff für einen Roman entdeckte. Solange seine Eltern lebten, beschäftigte ihn das Thema nicht.
„Der Tod dieser beiden Menschen war dann natürlich ein Anlass, denn er hat meine Lage verändert. Plötzlich hatte ich verstanden, dass ich ein gespaltenes Wesen war, ein Mensch mit zwei Hälften, von denen man nicht einfach eine wegwerfen kann. Und ich habe begriffen, dass sich meine beiden Eltern auf keinen Fall vor einem bestimmten Zeitpunkt hätten begegnen dürfen.”
Denn Vater und Mutter Šnajders standen im Krieg auf feindlichen Seiten: Die Mutter, eine Kroatin, wurde von den Ustaša, den kroatischen Verbündeten Hitlers, in ein Konzentrationslager gesperrt. Als sie wieder frei kam, schloss sie sich Titos Partisanenarmee an.
Quelle: https://sonntagsblatt.hu/2017/07/19/das-bild-der-deutschen-in-der-neuen-kroatischen-literatur/
(Auf dem Bild: Der kroatische Schriftsteller Slobodan Šnajder im Jahr 2016. )