Von Ibolya Lengyel-Rauh
Seit einem Jahr lebe ich in Österreich. Seither ist mir einiges hier aufgefallen. Wir wohnen in einer kleinen, aber sehr tüchtigen, überwiegend von Österreichern bewohnten, niederösterreichischen Stadt mit mehr als 4.000 Einwohnern. Beim Betrachten der Einwohner kommt ihre Herkunft nicht zum Vorschein. Selten bekommt man hier eine Frau im Kopftuch zu sehen.
In Österreich feiert man gern und vor allem auf dem Land wird die Tradition gepflegt. Es gibt unzählige Feste und Veranstaltungen, wo man die Landsleute vom Aussehen erkennt. Aber wie erkennt man die Österreicher? Sind sie alle blond? Oder haben sie abstehende Ohren, vielleicht einen Lenkerschnurrbart? Die Frage zu beantworten ist viel einfacher. Die meisten Einwohner ziehen sich ihre Tracht an und sind darin zu erkennen. Sollte man mit ihnen ins Gespräch kommen, würde man sie natürlich auch von ihrer Aussprache erkennen. Aber eine Tracht zu tragen ist in oder eher eine Tradition. In Tracht säuft man gern oder besucht die Heilige Messe, eventuell tanzt man auf Bällen, sogar Ortsläufe sind von manchen Einheimischen in Tracht absolviert. Schon Kleinkinder werden in der Volksschule (so heißt hier die Grundschule) dazu gebeten, ihre Lederhose oder Dirndl beim Erntedankfest zu tragen.
Dann stellt sich die Frage bei mir, warum es in Österreich so ist und in Ungarn nicht? Was könnte der Grund dafür sein, dass sich die Österreicher in Tracht krachen lassen und die Ungarn bzw. die Ungarndeutschen nicht?
Im Vergleich zu Österreich kennen die meisten Ungarn (darunter ich auch) ihre Tracht nicht, außerdem ist es nicht modisch an Festen darin zu feiern. Nur die Volkstanzgruppen treten in Volksgewand auf der Bühne auf.
Aber wie ist es bei den Ungarndeutschen? Es gibt zahlreiche von den ungarndeutschen Nationalitätenverwaltungen organisierte Veranstaltungen, auf denen man sich eine Tracht anziehen könnte. Ein ganz kleiner Anteil der “Schwaben” tut das aber. Aber warum? Gibt es einen bestimmten Grund dafür oder wollen sie ihre Identität verleugnen? Ich, persönlich würde die Parier Tracht nicht kennen, wenn meine Uroma damals nicht meine Tracht genäht hätte. Leider passt die Tracht nicht mehr, aber sie war sehr bemüht vor ihrem Tod, mir noch eine Tracht zu nähen. Auch hat sie mir ein paar Kapseln (ung. tutyi) gestrickt, damit ich sie auch tragen kann. Als Kind fand ich das aber noch ziemlich lustig.
Zwar ist die Regierung bemüht, die Nationalitäten zu unterstützen, aber die Zeiten sind schon vorbei, als sich die Dorfbewohner ihre traditionelle Kleidung an Feierlichkeiten angezogen haben. Aber woran liegt das? Warum hat sich in Ungarn alles so verändert im Vergleich zu unseren österreichischen Nachbarn?
Meines Erachtens liegt die Antwort auf der Hand bzw. ist mit unserer Geschichte zu begründen. Nach dem Zweiten Weltkrieg, Deutscher zu sein oder deutsche Abstammung zu haben, war kein Grund zum Stolzsein. Vielmehr litt die ungarndeutsche Bevölkerung an Beachtung und Erniedrigung. Die sozialistischen Zeiten brachten Einheitlichkeit jeweils im Privatleben und im öffentlichen Leben mit. In Tracht zu feiern, war nicht angesagt. Die Religion war vom Leben auch verpönt, sodass die Einwohner religiöse Feste nur nicht auffällig feiern durften. Früher zog man sich beim Kirchgang die Tracht an, um die erhobene feierliche Stimmung zu feiern. Das war ohne festliche Kleidung undenkbar. Hinzu kommt noch, dass die Ungarndeutschen ihre Identität verleugnen sollten, folglich sollten sie ihre ungarische Staatsangehörigkeit beweisen, die sie in Tracht das Gegenteil hätten beweisen können.
Heutzutage trifft man öfters Leute in Tracht in Tanzgruppen auf verschiedenen Veranstaltungen auf dem Land, jedoch kommt die Zeit nie wieder zurück, sls man stolz in seinem Volksgewand die Kirche betrat. Hinzu kommt noch die Globalisierung, die die Massenherstellung von Bekleidungen mitgebracht hatte. Eine Tracht zu haben, hat heutzutage eher eine Bedeutung bei den konservativen Denkern.
Vielleicht sind die Gründe viel einfacher und die moderne Zeit brachte das Verschwinden der Tracht mit und ohne Sozialismus wäre das gleiche Phänomen passiert. Wer weißt das? Die richtige Antwort auf diese Frage zu finden, überlasse ich den lieben Lesern.