Seit 75 Jahren: „Mach mit!”

Zu Besuch auf dem Heimattag der Siebenbürger Sachsen

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 Von Richard Guth

„Leiw Saksaunnen och leiw Saksen! Ech fräöe mech, dat mer es weder hae an deser hoeschen Stadt Dinkelsbühl traefen, och dat mer zesummen den Geburtsdäuch vun eaosem Verbond feiren toerfen. Ech woanschen Oech ugenaöm och gloaklech Fairdaich”, mit diesen Worten auf Siebenbürgisch-Sächsisch begrüßte Rainer Lehni, Bundesvorsitzender des Verbandes der Siebenbürger Sachsen, die nach Dinkelsbühl angereisten Siebenbürger Sächsinnen und Sachsen, um den 75. Geburtstag des Verbandes zu feiern, und wünschte allen einen schönen Pfingstsonntagsfeiertag.

Es ist seit Jahrzehnten Tradition, dass sich Siebenbürger Sachsen einmal im Jahr, am langen Pfingstwochenende, zum Heimattag in Dinkelsbühl versammeln, um Freunde und Bekannte zu treffen und den Zusammenhalt der Gemeinschaft zu demonstrieren. Es gelang dabei eine Demonstration vom Feinsten: Mehr als 100 Kulturgruppen, in Kreisverbänden und Heimatortsgemeinschaften (HOG) organisiert, mit 2800 Trachtenträgern zogen im Rahmen des traditionellen Festumzugs durch die mittelalterlichen Gassen der Großen Kreisstadt Dinkelsbühl, die seit 75 Jahren Gastgeber des Treffens ist – über eine Stunde lang durfte man die Trachtenvielfalt des Nösner- und Burzenlandes rund um Bistritz beziehungsweise Kronstadt sowie die des Königsbodens rund um Hermannstadt bewundern, eine Demonstration im 75. Gründungsjahr, die auch ein Oktoberfestumzug beneiden würde. Eindrucksvoll wurde auch die Rolle der Jugend demonstriert, die einen beachtlichen Teil des Umzugsvolkes stellte.

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Die Gespräche im Anschluss widerlegten das Vorurteil, es handele sich um eine rein „bőgatyás” Demonstration mit folkoristischen Elementen: Såchs zu sein scheint auch in derjenigen Generation Siebenbürger Sachsen noch ein fester Bestandteil der Identität zu sein, deren Mitglieder bereits in der Bundesrepublik geboren wurden. Und auch die Sprache als identitätsstiftender Faktor darf in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben: „Für uns war Rumänisch eine Fremdsprache, bis heute spreche ich nur gebrochen die Sprache”, erzählte mir ein Mann Ende 60, der in den 1980er die „süße Heimat” verlassen hat. Bei vielen der Jüngeren macht sich die „Migrationsgeschichte”, die viele ganz unsentimental beim Namen nennen, mittlerweile bemerkbar: So verstünden sie nur noch Sächsisch, sprächen aber im Alltag nur noch Hochdeutsch. Und tatsächlich: Bei der Generation der Über-50-Jährigen, die noch in Siebenbürgen geboren wurden, hört man auf den Dinkelsbühler Gassen vornehmlich Sächsisch – mit ein Ziel der verstreut lebenden Angereisten, wieder Sächsisch zu reden -, bei den Jüngeren offenbart sich – gerade untereinander – ein differenzierteres Bild.

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Das Jahr 2024 biete Anlass zum Feiern und Gedenken, und zwar in mehrfacher Hinsicht, hob Bundesvorsitzender Rainer Lehni in seiner Festansprache am Pfingstsonntag hervor: Vor 800 erhielten die Sachsen von König Andreas II. einen Freibrief, den man bis heute Adreanum bezeichnet. Dadurch erhielt die Volksgruppe eine politische Selbstverwaltung (sächsische Stühle), die bis ins 19. Jahrhundert Bestand hatte. Vor 80 Jahren fand zudem die Evakuierung der Sachsen aus dem Nösnerland statt, die ein wahrlich trauriges Ereignis darstellte und was nach Eindruck vieler die Auflösung und den Untergang des Sachsentums in der alten Heimat einläutete. Lehni wies mehrfach auf das Motto des Verbandes (Tradition, Netzwerk, Gemeinschaft) hin und betonte dabei die Bedeutung der Gemeinschaft, denn nur „gemeinsam können wir uns für die Interessen unserer Gemeinschaft einsetzen”. Der Bundesvorsitzende lobte den Bund und die Länder, die die Siebenbürger Sachsen bei ihrer „relativ geräuschlosen” Integration unterstützten, sparte aber auch nicht mit Kritik, im Zusammenhang mit der Streichung von „Deutsch” im Namen des Oldenburger Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa oder mit der „Rentenungerechtigkeit” bei Aussiedlern.

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Einer der Festredner des Heimattages war der bayerische Innenminister Joachim Herrmann, der die Siebenbürger Sachsen als „bedeutenden Teil bayerischer Identität” bezeichnete, zumal 42 % der Mitglieder des Verbandes in Bayern beheimatet seien, und ihre „Aufbau- und Fortentwicklungsleistung” für den Freistaat und die Bundesrepublik lobte. Der Staatsminister zollte der Gemeinschaft Respekt, dafür, dass sie ihre Kultur pflege und bewahre, was die Unterstützung des Freistaates Bayern zu Recht verdiene. Herrmann ging ferner auf die beispielhafte Einbindung der Jugend in die Verbandsarbeit ein und sprach anerkennend von der Rolle der Sachsen als „Brückenbauer” nach Rumänien. Der zweite Festredner der Kundgebung am Pfingstsonntag kam aus dem „Patenland” Nordrhein-Westfalen: Josef Hovenjürgen, Parlamentarischer Staatssekretär im Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung. Der CDU-Politiker würdigte die „historische Leistung” der Siebenbürger Sachsen beim Wiederaufbau des Landes und wies darauf hin, in welch „verschiedenen Facetten” sie den Begriff „Heimat bespielen”, gerade in einem vereinten Europa. Der Festredner bezog sich auf aktuelle Entwicklung und Herausforderungen, so den Ukrainekrieg und die „Flucht als universelle Erfahrung”: Gerade die Siebenbürger Sachsen lieferten dabei ein gutes Beispiel für gelungene Integration.

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Eine Integration, die auch in den Gesprächen mit Jung und Alt im Mittelpunkt stand. Dabei war die Verbundenheit mit der alten Heimat zwar spürbar, dennoch scheint selbst bei älteren Gesprächspartnern eine gewisse Distanzierung stattgefunden zu haben. Das erklärten mir zwei Endsechziger, die ihre Jugend noch in Siebenbürgen verbracht haben, mit der Auswanderung von Freunden, Verwandten und Bekannten. „Wir haben ja keinen mehr dort”, meinte einer der Männer. Ein anderer Mann, Akademiker und Sohn einer Pfarrerdynastie, stellte den Prozess als einen langen dar, der im und nach dem Zweiten Weltkrieg begann, als Familien zerrissen wurden. Dies habe den Wunsch nach Familienzusammenführung genährt, zuerst seien die Städte betroffen gewesen und später, wie eine Spirale, auch das Land. Die Volksgruppe habe keine Perspektive besessen, etwas, was man vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung heute natürlich durchaus anders beurteilen könnte. Aber entscheidend sei das Hier und Jetzt (in der Relation der damaligen Situation), deswegen wurde meine Frage „Würden Sie als Erwachsener heute bezüglich Bleiben oder Gehen anders entscheiden?”, als schwer oder kaum zu beantworten abgetan. Das Heimatfest stelle für die Besucher die Gelegenheit dar, Freunde, Bekannte, die zerstreut im Bundesgebiet leben, einmal im Jahr zu treffen, und traditionelle Kulturgüter wie Musik, Tanz oder Speisen, auch im nostalgischen Sinne, zu pflegen, so eine Frau mittleren Alters, die gerade ihre Freundin traf. Für die Jugend biete der Heimattag, so drei junge Männer in Tracht, die Gelegenheit, Gleichaltrige mit einem ähnlichen kulturellen und herkunftsmäßigen Hintergrund zu treffen, zumal die Arbeit in den Kulturgruppen sie ohnehin verbinde.

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Eine Gemeinschaft, lange verbunden durch Sprache, Brauchtum und den evangelischen Glauben, im Wandel der Zeit. Nicht verwunderlich daher das Schlusswort des Bundesvorsitzenden, der sich in Zeiten von Vereinsamung und Verfall traditioneller Werte neben Gesundheit „Zusammenarbeit für die Gemeinschaft” wünscht: „Ech woanschen Oech alles Geadet, nur de Gesand, och af en geat Zesummenarbet far eaos Gemoenscheft!”

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