„An den Taten messen”

Besuch bei der 143 Jahre alten Österreichischen Landsmannschaft

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Von Ágoston Frank

In der Josefstadt – im 8. Wiener Stadtbezirk – liegt ein prachtvolles Gebäude. Das Grundstück stammt von der Wiener Gemeinde, das Haus wurde vom Industriellen und Mäzen Robert Primavesi gestiftet, so wie man es in einem „Eckart“-Heft zum 140. Jubiläum lesen kann. An den Wänden hängen Ölbilder, die elegant gekleidete Männer darstellen, auf den Regalen reihen sich Seifen, Zündhölzer, Postkarten und andere kuriose Sammelstücke der Jahrhundertwende. Sogar ein eigenes Archiv ist teilweise erhalten geblieben, das natürlich dem geschichtlich interessierten Autor den Atem raubt. In diesem Milieu befindet sich der Sitz der Österreichischen Landsmannschaft (ÖLM), des Nachfolgers des Deutschen Schulvereines. Beiden ist auf dem Gebiet der langjährigen Unterstützung der deutschen Minderheiten auch außerhalb von Österreich viel zu verdanken.

Am 13. Mai 1880 wurde eine zivilgesellschaftliche und bis heute einzigartige Initiative gestartet, um den in den habsburgischen Kronländern lebenden Deutschen bzw. deutschen Muttersprachlern Hilfe und Unterstützung zu gewähren. Die Initiative ging auf den Priester Franz Xaver Mitterer zurück, der zur Errichtung von deutschen Schulen in Südtirol aufrief. Der Verein verfügte auf seinem Höhepunkt unter dem Reichsratspräsidenten Gustav Groß als Obmann über mehr als 300.000 Mitglieder. Man verfolgte das Ziel, ehrenamtlich und überparteilich zu agieren und das Deutschtum in den Gegenden zu fördern, wo es nicht die Mehrheit ausmachte und aus diesem Grund auf kulturelle sowie finanzielle Hilfe angewiesen war. Bei der Festlegung dieser Zielrichtung hat die Zeit nichts geändert, wie ich von meinem Gesprächspartner Christoph Bathelt, dem 3. Obmann und Leiter des ungarischen Bereiches der ÖLM, erfahren habe.

Der Deutsche Schulverein war interessanterweise für das Königreich Ungarn nicht zuständig, weil Organisiertheit und Kulturförderung der hier lebenden Deutschen als lebensfähig eingestuft wurden und sie somit nach Auffassung der Verantwortlichen nicht auf externe Hilfe angewiesen waren. Somit konzentrierte sich die Arbeit der Vereinsmitglieder auf die Grenzregionen wie Schlesien, Galizien, Tirol oder die Bukowina. In manchen Gegenden waren die Einrichtungen des Schulvereins die ersten ihrer Art, so dass nicht selten auch jüdische Kinder dort Aufnahme fanden. Als das heutige Burgenland zu Österreich kam, war dieses Gebiet eine Art Experimentierzone für den Deutschen Schulverein, der die muttersprachliche Bildung und den Unterricht in diesem national heterogenen Land untersuchte und analysierte – einzigartige Lichtbilder legen heute noch Zeugnis ab von diesen Studien.

An Taten messen 1

Der Zeitgeist spiegelte sich dabei auch im Verein wider: In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts zählte die dezidiert liberale Organisation Victor Adler, den Gründer der österreichischen Sozialdemokratie, zu seinen Mitbegründern sowie den jüdischen Rechtsanwalt Moriz Weitlof, der erster Obmann wurde und es über 20 Jahre blieb, so die Festschrift von „Eckart“ aus dem Jahre 2020. Der Zusammenbruch der Monarchie 1918 und die Radikalisierungstendenzen der 1920er und 1930er Jahre machten leider vor dem Vereinsleben nicht Halt. Der nach dem Anschluss 1938 vom NS-Staat aufgelöste Schulverein wurde in den 1950er Jahren wieder ins Leben gerufen, wobei während der Zeit des Neuanfangs auch frühere nationalsozialistische NS-Autoren auftauchten, wie „Eckart“ vor drei Jahren berichtete. Aus diesem Grund bekennt sich die ÖLM heutzutage ausdrücklich zu den Gründungszielen und -werten des Deutschen Schulvereines wie Ehrenamtlichkeit, Demokratie und Überparteilichkeit. Nichtsdestotrotz erfährt die Organisation bis heute Kritik in Österreich.

Das Ziel der Überparteilichkeit zeigt sich nicht nur in der Einladung aller politischen Parteien zum jährlichen Schulvereinstag, sondern auch in den kleineren Strukturen, wodurch die Organisation ohne zusätzliche bürokratische Hinderung schnell und kurzfristig helfen kann, wie etwa die Renovierung von Kindergärten und Schulen zeigt. Die ÖLM bietet neben den regelmäßigen Veranstaltungen und Ausflügen, die als „Reisen mit Freunden“ bekannt sind, eine eigene Monatszeitschrift, den ECKART, so steht es in der Oktoberausgabe 2023 der Monatszeitschrift. Die Zeitung, deren Namensträger die literarische Figur des Getreuen Eckart ist, berichtet vor allem über politische sowie gesellschaftliche Themen  – ihrem Wortlaut nach „wertebewusst“.

Wie es schon oben beschrieben wurde, erstreckte sich der Arbeitsbereich des Deutschen Schulvereines anfangs nicht auf Ungarn. Erst am Ende der 1980er Jahre wurde dieses Territorium auf die Agenda der ÖLM gesetzt, als Oberst Kurt Althuber über das Land gereist war und die noch existenten deutschen Volksgruppen dokumentiert hatte. Die heute noch immer intensive Beziehung entstand unter anderem durch Oberschulrat Helmut Loicht, der als Mitbegründer des Bundes Ungarndeutscher Schulvereine (BUSCH) liebevoll als „BUSCH-Vater“ bezeichnet wurde. Im Vorstand des Bundes Ungarndeutscher Schulvereine (BUSCH) ist die ÖLM als Vorstandsmitglied vertreten. Somit erhielt Ungarn einen eigenen Bereich in der Organisation der ÖLM neben den älteren Einheiten wie jener für Südtirol, Siebenbürgen, Schlesien oder Slowenien, erinnerte man sich in der „Eckart“-Festschrift von 2020.

Herr Bathelt sieht die Ausrichtung der Landmannschaft nicht nur bei der Erhaltung und Förderung des kulturellen Erbes, sondern legt ein Hauptaugenmerk auch auf die Zukunft. Die stärkere Erreichung der jüngeren Generationen soll durch Praktikumsplätze für deutschsprachige Kindergärtner/innen und Mittelschullehrer/innen gefördert werden, wodurch die praxisbezogene Anwendung der deutschen Sprache zum Ausdruck kommen soll. Zusätzlich ist bereits zum zehnten Mal ein Österreich-Tag mit Unterstützung österreichischer Institutionen in Budapest geplant. Bei meinem Besuch im Hauptquartier der ÖLM waren die besorgniserregenden Zahlen der Volkszählung des Jahres 2022 schon veröffentlicht, die einen erheblichen Rückgang der deutschen Nationalität in Ungarn gezeigt haben. Der Leiter des ungarischen Bereiches sieht diese Nachricht als Warnsignal, das die ÖLM sowie die ungarischen Partner zu noch intensiverer Arbeit auffordere.

Die Österreichische Landsmannschaft hat einen langen Weg mit allen Höhen und Tiefen hinter sich. Geschichte im Nachhinein ändern sei nicht möglich, so der studierte Historiker Bathelt: Man könne nur die Gegenwart beeinflussen und sich auf die Zukunft vorbereiten. Aus dieser Hinsicht möchte sich die ÖLM ausschließlich an den Taten von heute messen lassen: Und in diesem Bereich leistet sie Einzigartiges für die Auslandsdeutschen und so auch für das Ungarndeutschtum.

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