Von Nicolaj Nienhaus
Trotz mehrerer Recherchen habe ich bisher in keinem Palatschinken auch nur einen Hauch von Schinken gefunden. Ob das Ungarndeutsche deshalb mehr mit den Amish Völkern in den USA zu tun hat, erfahren Sie heute. Dass Sprachänderungen, die in Deutschland durch historische Ereignisse Einzug erhielten, hier nicht unbedingt auch befolgt werden, erschwert die Kommunikation manchmal und zeigt mir, wie Sprache sich auch anders entwickeln kann.
Ob schwäbisch deutsch ist, daran scheiden sich die Geister. Vermutlich wird die ein oder andere Person das auch abstreiten, aus linguistischer Sicht wird es jedoch ein klares Ja sein. Stimmen auch Sie dieser Frage zu, lade ich Sie herzlich ein den ungarndeutschen Lehrpfad am UBZ in Baaja zu besuchen, wo sie an der fünften Station diversen Dialekten zu einer Geschichte lauschen können; einige dieser Dialekte sind für mich kaum verständlich. Wüsste ich nicht, worum es geht, wäre es gar unmöglich die Geschichte zu verfolgen. Zur Kontrolle gibt es auch die Möglichkeit die Geschichte auf Hochdeutsch zu hören, damit jede und jeder die Möglichkeit hat die Pointe zu begreifen. Dass sogar Dörfer verschiedene ungarndeutsche Dialekte haben, war mir völlig unbegreiflich. Für mich war es logisch, dass Ungarndeutsch einheitlich sei: kulturell und sprachlich. Falsch gedacht, ich wurde schnell hier in Ungarn eines Besseren belehrt und muss zugeben, dass ich darauf auch von allein hätte kommen können. Die verschiedenen Migrationshintergründe aus dem Kaiserreich dürften die Dialekte der Einwanderer maßgeblich geprägt haben und auch Orientierungspunkt bei der Nachbarwahl gewesen sein, um wenigstens sprachlich Gleichgesinnte um sich zu versammeln.
Ob Thüringer und Bayern damals schon über die Bratwürste stritten, weiß ich nicht, sprachlich dürfte es sehr schwierig gewesen sein sich zu verständigen. Bis heute diskutiert man in Deutschland aneinander vorbei, wenn es 30 Minuten nach Viertel vor drei plötzlich Viertel vier ist. Auch das Mysterium, was Kinder als Pausenbrot essen, reicht von der Stulle über die Knifte, von dort zur Bemme und wieder zurück; ein beschmiertes Brot kann eben vielfältig sein. Wie die einzelnen Dorfdialekte im Laufe der Jahrzehnte hier in Ungarn entstanden, entzieht sich leider meiner Kenntnis, dürfte den Alteingesessenen in den Ortschaften jedoch noch bekannt sein. Mir kommt es eher so vor, als hätte man die damalige deutsche Sprache aus der gewohnten Umgebung genommen, sprachlich hier isoliert und anderen Sprachen sowie deren Einflüssen ausgesetzt. Jede Sprachwissenschaftlerin dürfte bei dieser Beschreibung einer Sprachgeschichte die Haare zu Berge stehen, ich denke, Sie verstehen aber meinen Punkt. Diverse Worte kommen aus dem Österreichischen bzw. sind leichter zu lernen, wenn ich die Eselsbrücke Richtung Wien schlage: Für mich gibt es Tomaten (paradicsom) und Blumenkohl (karfiol) im Supermarkt, dünner Teig mit Nutella ist ein Pfannkuchen (Palatschinken; wo ist denn da bitte Schinken?).
Manche Worte werden natürlich auch nicht eingedeutscht, sondern behalten ihren normalen Klang bei, um den Pfannkuchen noch einmal zu bedienen und ihn zum Crêpe zu machen; verzeihen Sie mir bitte an dieser Stelle, dass ich anfangs meinen Freunden daheim Palatschinken als ungarische Crêpes erläuterte, ich Tor! Das ist etwas völlig anderes, wie ich mittlerweile weiß… Ein ähnliches Phänomen zur deutschen Sprache konnte ich bereits einmal in den USA bewundern, wo die Amish, eine Gruppe extrem gläubiger Deutschen, abgeschieden von der Zivilisation lebt, und jede Form von Technik ablehnt. Als ich das Land bereiste, stand ich zufällig an einer Bushaltestelle neben drei Personen aus dieser Gemeinde (warum die plötzlich Bus fahren durften, habe ich bis heute nicht verstanden), verstand das meiste von ihnen und konnte mich sogar auf Deutsch halbwegs mit Ihnen unterhalten. Beim Ungarndeutschen heutzutage merke ich, dass einige Eindrücke, Lehnwörter aus anderen Sprachen und Selbstverständlichkeiten nicht bekannt sind: Keine junge Dame hier wird vor Fisimatenten gewarnt; aus dem Französischen visitez ma tente (Besuchen Sie mein Zelt) abgeleitet, mit dem französische Soldaten wohl jüngere Damen zu ihrem Zelt eingeladen haben sollen. Auch die Artikel, sowieso ein leidiges Thema für Lernende, zu einigen der „neuen” Wörter wie z. B. Park bereiten Probleme; ich hatte mir bis vor kurzem nie Gedanken gemacht, aus welcher Sprache das Wort Park wohl käme, sondern war überzeugt, dass es ein deutsches Wort sein müsse. Da wurden mir diverse Gewohnheiten erst vor Augen geführt, die ich nicht auf dem Schirm hatte vorher.
Und auch die (meines Wissens nach) neuste Erscheinung, die seit einigen Jahren in Deutschland immer präsenter wird, das Gendern, ist hier kaum zu finden. Hier spricht mensch (man zu sagen wäre ja diskriminierend) nicht so, dass jede*r*s angesprochen wird und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben – soweit ich weiß – auch noch nicht untersucht, ob Schülerinnen und Schülern an ungarndeutschen Schulen das Gendern vermittelt wird, wenn die Mutti und der Vati es nicht zu Hause tun. Ich hoffe, das Beispiel war deutlich genug, wie solche Sätze aussehen könnten. Aber ich bin ja nicht hier, um einen Beitrag zum Gendern zu verfassen, sondern Ihnen meinen Eindruck der ungarndeutschen Sprache zu geben. Meinen absoluten Favoriten aus der Sprache habe ich erst letzten Freitag kennen gelernt: Ich hatte die… Ehre mit den Kindern zu flechten, was meine zwei linken Hände und mich vor dezente Probleme stellte. Manche der Mädels sind da aufgrund ihrer langen Haare natürlich wesentlich erfahrener, weshalb ich als erfahrene Lehrkraft bei ihnen abschaute, was ich denn konkret mit meinen Fingern machen muss. Ein Mädchen beobachtete das, sagte sofort dem beobachteten Kind Bescheid, dass ich ihm auf die Finger schaute. Bis dato hatte ich versucht das unauffällig zu machen. Ich schaute in dieses breite Grinsen, was zufrieden signalisierte: „Ich hab das gesehen, was du da machst und habe es sofort gesagt.“ Ich grinste zurück und sagte spaßeshalber „Petze“ zu dem Mädchen. Sie wird das Wort nicht gekannt haben, erwiderte aber aus der Pistole geschossen „Spitzli“, weil sie ganz genau wusste, was ich mit diesem Wort vermitteln wollte. Dieser eher schweizerische Klang führte mir wieder mal gut vor Augen, wo die ungarndeutsche Sprache nicht ihren einzigen, aber einen der wichtigsten Herkunftsorte hatte: direkt neben der Schweiz, ganz im Süden, umgeben vom Schwäbischen.
Sie erinnern sich vielleicht an die Schilderung meiner ersten Volkskundestunde, in der ich aus der ungarndeutschen Küche kein Wort verstand. Hier schließt sich der Kreis dann und ich kann meinen Wortschatz um einige neue Worte bereichern, die offiziell als deutsch gelten (können; je nachdem, wo sie deutsch sprechen in Deutschland).