Mit Engagement und Gefühl für die deutsche Minderheit

Im Gespräch mit Martin Herbert Dzingel, dem Präsidenten der Landesversammlung der deutschen Vereine in der Tschechischen Republik

__________________________________________

Von Richard Guth

Das Sonntagsblatt schaut regelmäßig über den Tellerrand, in diesem Falle über die Landesgrenzen hinaus. In diesem Beitrag habe ich die Ergebnisse des Gesprächs mit Martin Herbert Dzingel, dem Präsidenten der Landesversammlung der deutschen Vereine in der Tschechischen Republik e. V. zusammengefasst. Der 1975 in Römerstadt/Rýmařov geborene Sprachwissenschaftler ist seit 1998 im Präsidium der Landesversammlung vertreten und bekleidet seit 2010 die Funktion des geschäftsführenden Präsidenten und gehört dem Rat für nationale Minderheiten der tschechischen Regierung an.

Eingangs gewährte Martin H. Dzingel einen Einblick in die Geschichte der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien: „Die ersten Deutschen kamen bereits im 12. Jahrhundert auf Einladung der böhmischen Könige ins Land. Laut Volkszählung 1921 lebten in Böhmen, Mähren und Schlesien mehr als drei Millionen Bürger deutscher Nationalität. Eine faktische Vernichtung der deutschen Volksgruppe verursachte die Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung ab 1945 – 200-250 Tsd. Deutsche durften oder mussten bleiben. Bei der Volkszählung 2021 bekannten sich zur deutschen Nationalität knapp 26 Tausend Menschen. Diese Zahl kann nicht als repräsentativ genommen werden, da über drei Millionen Einwohner keine Nationalität angegeben haben.”

Interessant ist die Organisationsstruktur der heimatverbliebenen Deutschen, da sie heute über zwei Dachverbände verfügen: „Es gibt zwei Dachverbände, den Kulturverband (KV), der 1969 gegründet wurde und seine Hauptrolle in den Jahren bis 1989 getragen hat. Heute hat der KV um die 1000 Mitglieder und ist relativ inaktiv. Die Landesversammlung wurde 1992 gegründet, organisiert über 7000 Mitglieder und beschirmt 22 deutsche Vereine.” Dabei betonte Dzingel, dass die Altersstruktur (ähnlich wie in vielen ungarndeutschen Vereinen) im Durchschnitt über 60 Jahre betrage. Man bemühe sich die deutsche Sprache in der täglichen Kommunikation zu verwenden.

Für die Landesversammlung stelle das „Mutterland eindeutig Deutschland” dar, „da unsere Vorfahren von da gekommen sind.” Aber auch die Tschechische Republik bemühe sich um die Belange ihrer Minderheiten. Sie ratifizierte die Europäische Charta der Minderheitensprachen oder regionalen Sprachen und verabschiedete 2001 ein Minderheitengesetz. Es gibt darüber hinaus nach Dzingels Worten einen Regierungsrat der nationalen Minderheiten und finanzielle Programme zur Unterstützung der Minderheitenprojekte.

Dennoch zeigten sich Defizite: „In der Tschechischen Republik gibt es leider keinen staatlich organisierten Minderheitenunterricht, also für die DMi. Es gibt zwar eine gesetzliche Regelung, aber nur unter der Bedingung, dass eine gewisse Schülerzahl erreicht wird. Da wir nach der Vertreibung 1945/47, der inneren Vertreibung und der Assimilierung eine sehr zerstreute Gemeinschaft sind, sind die Quoten für uns nicht zu erreichen. Die Unterstützung des Unterrichts der Muttersprache läuft daher über unsere Vereine (Sprachkurse). Die Landesversammlung ist Träger der Grundschule der Deutsch-Tschechischen Verständigung und des Thomas-Mann-Gymnasiums in Prag. Weiter bestehen private Gymnasien, die sich auf die deutschen Sprache spezialisieren”, so der geschäftsführende Präsident der Landesversammlung.

Dennoch kämpfe die Volksgruppe mit Identitätsverlust, was der Präsident auf mehrere Faktoren zurückführt. Die Vertreibung und die historischen Belastungen, die in der Gesellschaft immer noch zu spüren seien, seien ein maßgeblicher Faktor. Darüber hinaus habe es zwischen 1945 und 1989 eine „gesteuerte Assimilierung” gegeben. Und nicht zuletzt spielte die Globalisierung mit all ihren Folgeerscheinungen eine ebenso große Herausforderung. Das Ableben der älteren Generation werfe zudem die Frage auf, wie man die bisherigen Strukturen erneuern bzw. erhalten könne.

Folgen Sie uns in den sozialen Medien!

Spende

Um unsere Qualitätsarbeit ohne finanzielle Schwierigkeiten weitermachen zu können bitten wir um Ihre Hilfe!
Schon mit einer kleinen Spende können Sie uns viel helfen.

Beitrag teilen:​
Geben Sie ein Suchbegriff ein, um Ergebnisse zu finden.

Newsletter

Möchten Sie keine unserer neuen Artikel verpassen?
Abonnieren Sie jetzt!