Streit um die Kürzungen beim muttersprachlichen Deutschunterricht in Polen geht in die nächste Runde
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Von Richard Guth
Monatelang beherrschte die polendeutsche Öffentlichkeit ein Thema: Die Kürzung der Mittel für den Deutschunterricht – mit der Konsequenz, dass in vielen Gemeinden der Umfang des muttersprachlichen Unterrichts von drei auf eine Unterrichtsstunde pro Woche zusammengestrichen wurde. Früh regte sich Protest im Kreise der deutschen Minderheit (DMi): Es gab Kommunen, die sich finanziell engagierten, um das dreistündige Angebot aufrecht zu erhalten. Auch die Organisationen der Minderheit dachten über Lösungen nach. Mitte Januar führte das Sonntagsblatt ein Interview mit RafaƗ Bartek, dem Vorstandsvorsitzenden des Verbandes der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen.
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SB: Herr Bartek, worauf führen Sie die Kürzungen zurück?
RB: Die Kürzungen haben einen rein politischen Charakter und wurden auch von den Vertretern der Regierung so begründet. Es wurde offen von dem Bildungsminister aber auch von weiteren Vertretern der regierenden PiS-Partei klar angedeutet, dass es sich um eine „antideutsche Maßnahme“ handelt und es wurde mehrmals gesagt, dass es darum geht, die deutsche Regierung dazu zu bewegen sich mehr um den Polnisch-Unterricht in Deutschland und insgesamt um die in Deutschland lebenden Polen zu kümmern.
SB: In welchem Rahmen bewegen wir uns?
RB: Das, was uns schmerzt und bewegt, ist die Tatsache, dass den Kindern der Zugang zu der Sprache um 2/3 gekürzt wurde. Von lediglich drei Stunden Deutschunterricht wöchentlich ist nur noch eine Stunde geblieben. Die Finanzen interessieren uns als deutsche Minderheit weniger, denn die Mittel fließen ja in die Haushalte der polnischen Gemeinden in den Regionen, wo der Deutschunterricht als Minderheitensprache angeboten wird. Die Kürzungen für diese Gemeinden sind aber beachtlich, denn im Jahr 2022 waren es 40 Millionen Zloty (3,3 Milliarden Forint, 8,5 Millionen Euro) weniger und im Jahr 2023 sind es schon ca. 120 Millionen Zloty (9,9 Milliarden Ft, 25,5 Millionen Euro) weniger, die den Gemeinden zur Verfügung stehen.
SB: Welche Folgen haben die Kürzungen für den schulischen Unterricht der deutschen Minderheit?
RB: In Polen gibt es drei „Stufen“ oder „Arten“ des Minderheitenunterrichts. Die erste und am meisten verbreitete Art ist der zusätzliche Unterricht Deutsch als Minderheitensprache. Diese Form war bis zum letzten Jahr für alle in Polen lebenden Minderheiten gleich und bedeutete, dass die Kinder in der Woche drei Stunden Minderheitensprachunterricht zusätzlich haben. Die zweite „Art“ oder „Stufe“ bedeutet der Unterricht in zwei Sprachen. Konkret bedeutet das, dass außer den Deutschunterrichtstunden auch noch mindestens vier Fächer in zwei Sprachen unterrichtet werden. Diese Form ist leider weit weniger verbreitet, denn sie stößt auf viele „technische“ und „organisatorische“ Probleme. Es fehlen Fachlehrer…; es müssten sich alle Kinder einer Klasse für diese Unterrichtsform entscheiden, denn – wenn sich nicht alle einschreiben – dann müsste die Klasse in zwei Gruppen aufgeteilt werden und dafür fehlen wiederum in den Dorfschulen oft die Räumlichkeiten. Die dritte Stufe ist der Unterricht in der Minderheitensprache, wo nur noch Polnisch und die Geschichte Polens auf Polnisch unterrichtet werden müssen. Diese Form gibt es leider im Falle der deutschen Minderheit in Polen gar nicht, denn hier fehlen nicht nur die oben beschriebenen „organisatorischen“ Sachen, sondern hinzukommt noch, dass die Kinder alle über ein gutes Sprachniveau verfügen müssten, um dann auch alle Prüfungen zu bestehen, die vom polnischen Staat gefordert werden. Deshalb ist auch die erste Form am weitesten verbreitet und in dieser Form lernen in Polen ca. 50 Tausend Kinder Deutsch als Minderheitensprache. Von den durch den polnischen Staat eingeführten diskriminierenden Kürzungen ist auch nur diese eine Form betroffen.
SB: Welchen Stellenwert hat die deutsche Sprache gegenwärtig in Polen?
RB: Am meisten verbreitet ist natürlich Englisch. Danach kommt Deutsch, aber die Zahl der Deutschlernenden ging in den letzten Jahren zurück. Dabei sagt die Wirtschaft, dass sie die Menschen mit der deutschen Sprache braucht. In den Regionen, wo die Deutschen leben, sieht man auch, dass jeder, der Deutsch spricht, ohne Probleme einen guten Job finden kann. Viele Unternehmer aus dem Westen (nicht nur aus Deutschland) haben in den letzten Jahren den Standort Schlesien bewusst gewählt – wegen der Menschen, die die deutsche Kultur und Sprache kennen.
SB: Wie reagierten betroffene Angehörige sowie Nichtangehörige der deutschen Minderheit und vor allem die Eltern von schulpflichtigen Kindern?
RB: Mit großer Empörung! Ich kenne keinen, der diese Entscheidung der polnischen Regierung verstehen und nachvollziehen könnte. Es gab Protestschreiben, Unterschriftensammlungen und Bitten an die Bürgermeister, aus den Budgets der Gemeinden Mitteln dazuzugeben, damit die Stundenzahl nicht gekürzt wird.
SB: Welche Gegenmaßnahmen trafen Sie als Vertreter der deutschen Minderheit?
RB: Wir haben viele Entscheidungsträger in Europa und in der Welt angeschrieben und erläutert, dass es sich hier nicht nur um Minderheitenrechte, sondern auch gleichzeitig um Menschenrechte handelt. Wir haben eine Anwaltskanzlei engagiert, die uns vertritt und berät. Eine Beschwerde wurde an die Europäische Kommission gerichtet. Einige Eltern der Kinder klagen auch vor polnischen Gerichten. Leider wurde uns empfohlen – von vielen Seiten – uns nicht an das polnische Verfassungstribunal zu wenden, denn dieses wurde in den letzten Jahren total politisiert und instrumentalisiert. Wir haben als Vertreter der deutschen Minderheit unsere zwei Sitze in der gemeinsamen Kommission der Regierung und der Minderheiten ruhen lassen. Wir nehmen also seit fast einem Jahr an der Arbeit des Ausschusses nicht teil. Auch die Vertreter der anderen Minderheiten, die in Polen leben und in dem Ausschuss vertreten sind, haben zwischenzeitlich ihre Sitze in dem Ausschuss ruhen lassen. Mittlerweile haben sie aber wieder die Arbeit aufgenommen, denn es gab ja kein Ergebnis des Protestes.
SB: Wie reagierte das Mutterland Deutschland?
RB: Deutschland setzt sich politisch für die DMi ein, aber es hängt ja alles von dem politischen Willen der polnischen Regierung ab. Ja, es wurden auch die Mittel für die außerschulische Sprachbildung für die deutsche Minderheit in Polen erhöht, allerdings können diese Mittel nicht für den Regelunterricht an den Schulen eingesetzt werden und können somit auch diesen Ausfall des Unterrichts nicht ersetzen.
SB: Wie lautet Ihre Prognose bezüglich des konkreten Falls und des muttersprachlichen Unterrichts generell?
RB: Wir versuchen trotz allem im Gespräch mit der polnischen Regierung zu bleiben. Am 22. Januar 2023 traf sich der polnische Bildungsminister Przemyslaw Czarnek in Oppeln/Opole mit den Vertretern der deutschen Minderheit. Er hat Bereitschaft bekundet die Diskriminierung zu beenden, aber es müssten weitere Bedingungen erfüllt werden, u. a. sollten die Finanzierungsbedingungen des Unterrichtes geändert werden. Ob und wie das jetzt stattfinden wird, liegt aber mal wieder in den Händen des Ministers und nicht in unserer Hand. Klar ist aber, dass jeder Tag, an dem die Diskriminierung andauert, für uns ein verlorener Tag ist. Wir wissen nicht, wie viele Lehrer schon jetzt den Job verloren oder die Branche gewechselt haben. Wir wissen nicht, wie viele Kinder schon jetzt keinen Sinn darin sehen Deutsch weiter zu lernen, wo es doch nur eine Stunde wöchentlich ist. Wir wissen nicht, wie viele Eltern entmutigt wurden, sich weiter um die Pflege der deutschen Sprache und Kultur zu kümmern. Je länger es dauern wird, umso schwieriger wird es, die negativen Folgen rückgängig zu machen.
SB: Herr Bartek, vielen Dank für das Interview!
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Das Sonntagsblatt hat versucht, Bildungsminister Przemysław Czarnek zu einer Stellungnahme zu bewegen. Unsere Anfrage blieb aber unbeantwortet, eine Erfahrung, die wir auch in Ungarn des Öfteren machen müssen. Mehr Glück hatte unser Kollege, Dr. Rudolf Urban, Chefredakteur des „Wochenblattes“, der Wochenzeitschrift der deutschen Minderheit in Polen. Das Blatt berichtete am 22. Januar 2023 über ein Treffen des Bildungsministers mit Vertretern der DMi im Sitz des Verbandes der deutschen Gesellschaften in Polen (Jetzt geht es nicht mehr um Symmetrie, von Rudolf Urban, wochenblatt.pl). Im Anschluss daran gab der Politiker der rechtskonservativen Regierungspartei PiS dem Wochenblatt ein Interview. Darin hieß es, dass der Minister erklärt habe, die gekürzten Stunden so schnell wie möglich wiederherstellen zu wollen. Czarnek sprach davon, dass „das Finanzierungssystem so geändert werden muss, dass es für alle nationalen und ethnischen Minderheiten – und nicht nur für die deutsche Minderheit -effizienter ist. Damit sollen die sehr umfangreichen Mittel für den Unterricht der Minderheitensprache als Muttersprache effektiver und damit wirtschaftlicher eingesetzt werden. Auch die Problematik der deutsch-polnischen Beziehungen und der Aufwand für den Unterricht in Polnisch als Muttersprache in Deutschland sind bekannt. Beide Themenfelder sind zwar nicht voneinander abhängig, aber es gibt gewisse Verbindungen”, womit Czarnek die Einschätzung Barteks bestätigte, wonach hier die Sprachenrechte der Deutschen in Polen als Druckmittel eingesetzt werden sollten.
Der Minister sprach unverhohlen davon, die deutsche Seite davon „überzeugen” zu wollen, „dass wir einen fairen Umgang mit den nationalen und ethnischen Minderheiten in Polen und den finanziellen Aufwendungen für sie wollen, und dass wir auch wollen, dass die Polen in Deutschland von der deutschen Regierung ähnlich behandelt werden.”
Er sprach im Interview von einer bewussten unpopulären und unbequemen Maßnahme, gar der Notwendigkeit, „auf die Pauke zu hauen”, um „eine Diskussion über eine Änderung des Systems” anzustoßen. Dabei sprach er von der Notwendigkeit, Deutschland unter Druck zu setzen, damit es sich solcher Themen annehme wie der Errichtung eines „Fonds zur Popularisierung der polnischen Sprache”.
Die nächsten Monate werden zeigen, ob der Machtpoker eine für die DMi zufriedenstellende Lösung herbeiführt.