GABRIEL GROB (41) ÜBER SPRACHE, DAS ERBE DER AHNEN UND DIE BEDEUTUNG DER FAMILIE
_________________________________________________________________________
Dass wir „Schwaben” sind, wusste ich schon von Anfang an, als das für mich als Kind klar wurde: Nicht alle Leute sind so wie wir, nicht alle reden so wie wir, nicht alle verstehen uns. Erst viel später habe ich das Wort „ungarndeutsch” kennen gelernt und mein Opa hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass man auf den Buchstaben „n” in der Mitte aufpassen soll, weil das Wort dadurch bedeutet, dass wir in Ungarn lebende Deutsche sind.
Als kleiner Junge genoss ich es, wenn meine Mutter in meiner Gegenwart gelobt wurde, weil ich schwäwisch reden kann/konnte. In dem einst deutschen Dorf in der Süd-Branau, in dem ich aufgewachsen bin, lebten damals noch viele alte Menschen, die das schätzen konnten. (Zugegeben: Meine Aussprache war nicht gerade perfekt.)
Damals wusste ich noch nicht, was ein Kindermädchen im Kindergarten meiner Mutter gesagt hat: „Magyarországon élünk, magyar kenyeret eszünk, beszéljünk is magyarul!” Und das in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre! Ich wusste damals auch nicht, warum mein Vater nicht Deutsch kann, obwohl er der Abstammung her auch ein Deutscher ist. Das hat man mir auch erst viel später erzählt: Am Ende des Krieges oder nach dem Krieg sind die Eltern meines Vaters nach Fünfkirchen gefahren. Sie trugen ihre traditionelle ungarndeutsche Volkstracht. Ein Soldat der Roten Armee hat sie angespuckt und „Pfui, Niemci!” gerufen. Diese Großeltern lebten zu jener Zeit in einem Dorf, dessen Name früher mit „magyar” anfing. Sie hielten es für angebracht, ihren Kindern nur die ungarische Sprache beizubringen. Sie hatten einfach Angst.
Mein Großvater mütterlicherseits hatte seinerseits auch einiges miterleben müssen wegen seines Deutschtums, aber er und Oma haben ihre Töchter zuerst eine deutsche (Dialekt)Sprache beigebracht. Diese Sache mit der Sprache war einer von Opas Grundsätzen. Das hat er in diesem Gedicht so ausgedrückt:
Ehrensache (1975)
Die Fremdsprache lernen ist nützlich,
die Muttersprache lieben ist Pflicht;
halte die andren in Ehren,
vergiss aber die eigene nicht!
Eltern und Großeltern haben auch großen Wert darauf
gelegt, uns zu vermitteln, welche die Prinzipien,
die Tugenden und das Benehmen sind, die einen guten
Schwaben, einen guten Christen und einen guten
Menschen ausmachen.
Meine Sprachkenntnisse haben mich zuerst ins Leőwey-Gymnasium und dann zum Germanistik-Studium in Fünfkirchen gebracht. Meine Diplomarbeit (2009) habe ich über den Volksbund geschrieben…
Vor zwölf Jahren habe ich eine eigene Familie gegründet. Meine Frau ist auch deutscher Abstammung (Edit Bayer). Mit den zwei Töchtern habe ich in den ersten Jahren (hauptsächlich) deutsch geredet. Leider musste ich wegen dem Autismus unseres Sohnes (er hat erst mit 4,5-5 Jahren angefangen zu reden) das Deutsche im Alltag mit den Kindern aufgegeben, um Adam so gut wie möglich zu helfen, sich wenigstens in einer Sprache zu verständigen. Unsere Töchter besuchen eine christliche, konfessionelle Grundschule, unser Sohn einen Förderkindergarten.
Obwohl die Mädchen keine Nationalitätenschule besuchen, haben sie eine starke deutsche Identität. Dafür habe ich gesorgt. Neulich bei der Volkszählung war es keine Frage, ob sich die ganze Familie zum Deutschtum bekennt: wir zu fünft und die Großeltern von beiden Seiten. Es hat mich mit Stolz erfüllt, als unsere Töchter gar nicht nachgedacht haben, als ich sie gefragt habe, was ich bei der Frage nach der Nationalität eintragen soll. 🙂
Es ist natürlich auch kein Zufall, dass wir drei Kinder haben. Was man heutzutage aus der Politik ständig hören kann: Das Ungarntum/Madjarentum stirbt aus, wenn es nicht genügend Nachwuchs gibt; das könnte leicht auch auf uns zutreffen! In den letzten zwei Jahrzehnten habe ich meine Ansichten weitgehend geändert. Als junger, „seinen Platz in der Welt suchender” Mann dachte ich, die ungarischen Gesetze müssten den Nationalitäten als Gruppen mehr Rechte verschaffen. Es ist ja einiges-vieles geschehen: die Selbstverwaltungen, die Schulen, die Presse und Bücher-Veröffentlichungen, die Heimatstuben und -museen, die Lehrpfade…
Es ist auch eine sehr große Errungenschaft, dass wir einen eigenen Abgeordneten im Parlament haben. Aber so wie alles, ist auch das nicht vollkommen. Ich bin traurig darüber, dass man wählen muss, ob man für eine politische Partei oder eine Liste seiner Nationalität stimmt.
Heute denke ich, dass die meisten Menschen zufrieden sind damit, was sie kriegen können: Blasmusik, Tanz, Hefeknödel… Ehrlich gesagt, ist mir heute auch das Wohl der Familie am wichtigsten. Ich sage meinen Töchtern, dass man nicht deswegen gut oder schlecht ist, weil man ein Ungar oder ein Deutscher oder ein Zigeuner ist… Aber trotzdem bin ich stolz, ein Deutscher zu sein: ein Ungarndeutscher!
Wie der Großvater einst schrieb:
Steigerung (1974)
In dieser Heimat bin ich Schwabe,
hart, wie der Eiche Holz;
Selbstbewusstsein, Recht und Habe
erfüllen mich mit Stolz.
Wenn mich Leute locken wollen,
Auslands-Reichtum loben,
halten mich der Ahnen Schollen,
zieht mich Ungarns Boden.
Fährt ein Raumschiff durch das Weltall,
worin Menschen reisen,
halte ich´s für unser Denkmal,
stolz, auch „Mensch“ zu heißen.