Von Richard Guth
In diesem Beitrag geht es wieder um etwas, was mich seit längerem beschäftigt. Ich will gleich zu Beginn festhalten, dass ich größte Hochachtung denen gegenüber empfinde, die sich für die Belange unserer Volksgruppe einsetzen, sei es im gesellschaftlichen, minderheitenpolitischen oder kulturellen Bereich. Nicht um sie wird es in den nächsten Zeilen gehen, sondern um die passive Masse, die mir als immer größer erscheint.
Aktualität verleiht dem Ganzen die Volkszählung, die mit Sicherheit wieder schöne Zahlen produzieren wird. Die Bekenntnisdeutschen stellen seit der Wende eine immer größere Gruppe dar, dabei sind sie heterogener denn je: Durch die sprachliche Assimilation weiter Teile der deutschen Gemeinschaft besitzt dieses Identitätsmerkmal eine zunehmend geringere Bedeutung, an die Stelle treten andere Merkmale, die unter Umständen eine losere Bindung bedeuten. Aber jeder ist willkommen, der sich zu seinen deutschen Wurzeln bekennt oder diese gerade wiederentdeckt. Auch wir beim Sonntagsblatt beobachten mit großem Interesse, wenn der eine oder andere Kommentator unter den Beiträgen, die auf unserer Facebook-Seite veröffentlicht werden, auf das deutsche Familienerbe hinweisen und demonstrieren will, dass dieses für ihn einen gewissen Stellenwert hat. Bekenntnis ist die eine Sache, aktiver Einsatz die andere. Und hier beobachte ich seit längerem, dass es richtig hakt. Gerne beruft man sich dabei auf Zeitmangel, scheinbar ein Phänomen unserer schnelllebigen Zeit, denkt man an unsere Großeltern, die nach der Arbeit noch ihre Weingärten bestellten und auch noch Zeit fanden, um sich für Nachbarschaftshilfe und die Gemeinschaft insgesamt einzusetzen. Gewiss sind die Anforderungen im beruflichen (und familiären) Bereich vielfach größer geworden, die Mobilität bedeutet durch die Überwindung größerer geografischer Distanzen (die durch Homeoffice in vielen Fällen wieder schrumpft) unter Umständen auch einen Verlust an verfügbarer Zeit. Ich denke aber dennoch, dass der Verzicht auf den aktiven Einsatz um die Belange unserer Volksgruppe mit einer veränderten Prioritätensetzung zu tun haben könnte.
Dies könnte auch auf die Veränderung unseres Verhältnisses zu Werten wie Pflichtbewusstsein und die Bereitschaft, sich auf Bindungen einzulassen, zurückzuführen sein. Gerade Letzteres zeigt sich in vielen Bereichen unseres Lebens: Die hohe Scheidungsrate und der Siegeszug von Lebensabschnittspartnerschaften sind der beste Beweis dafür (natürlich ist auch die größere materielle Unabhängigkeit der Partner mit ein Grund). Sich nicht binden zu lassen zeigt sich auch in Vereinen und beim zivilgesellschaftlichem Engagement. Mein Sohn fing vor kurzem mit dem Mannschaftssport Fußball an – um besser zu kommunizieren, haben wir eine WhatsApp-Gruppe gegründet. Meine Beobachtung: Wenn es gerade nicht passt, werden Trainings- und Spielteilnahmen ohne Achselzucken abgesagt. Ausbaden müssen das die anderen mit einem Hauch Pflichtbewusstsein. Nicht anders verhält es sich auch in unserer kleinen Welt, wenn es darum geht, Landsleute für die „Sache” zu gewinnen und vor allem bei Laune zu halten. Einem anfänglichen Elan mit großen Versprechungen folgt ein allmählicher Rückzug oder oft auch, dass man wochenlang nicht erreichbar ist (obwohl dank unserer medialen Welt unzählige digitale Möglichkeiten der Kontaktpflege bestehen). Das ist umso ärgerlicher für die wenigen Aktiven, die aus Pflichtbewusstsein die Fahne hochhalten und etwas bewegen wollen. Dafür ist manch eine Feierstunde im Zelt oder im Freien auffällig gut besucht.
Oft wird diese Unzuverlässigkeit wie gesagt mit Zeitmangel begründet oder der Notwendigkeit beruflich voranzukommen oder man will sich schlicht existentiell absichern. Letzteres ist oft ein dehnbarer Begriff, denkt man daran, dass unsere Konsumansprüche deutlich gestiegen sind wie auch das Verhältnis zur Freizeit – die im Vergleich zu der Zeit unserer Großeltern deutlich aufgewertet wurde – einen Bedeutungswandel erlebte. Ich will dabei die Herausforderungen beileibe nicht herunterspielen, gerade in Zeiten galoppierender Inflation sowie der Angst vor Arbeitsplatzverlust und sozialem Statusverlust. Etwas belastbarer ist der Grund, keinen Sinn an dieser Arbeit um die von Assimilation geplagte Gemeinschaft zu sehen. Die Analyse mag dabei stimmen, aber sind letztendlich nicht wir die, die diese Gemeinschaft aktiv gestalten können beziehungsweise sollen?
Prioritäten zu setzen obliegt jedem selbst – dennoch: Verkaufen wir uns nicht wieder zu billig, wenn der Einsatz für die Gemeinschaft als identitätsstiftendes Merkmal wieder mal den Kürzeren zieht? Dieser Einsatz erfordert oft, dass wir unsere Komfortzone verlassen – ja, aber sind wir das nicht unseren Ahnen und unseren Nachkommen schuldig?