Von Richard Guth
Gallaß/Kalaznó in der Tolnau stand Ende September im Mittelpunkt des Reisemagazins „Itthon vagy!” (Du bist daheim/hierzulande) des ungarischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Das Dorf, das heute etwa 100 Einwohner zählt, wird als eines in der geografischen Mitte des Komitats Tolnau vorgestellt. Historisch legt man den Schwerpunkt auf die Zeit nach der Ankunft der hessischen Siedler vor 300 Jahren, die hier alles andere als ein Kanaan vorgefunden hätten: „Für die Ankömmlinge war Gottes Kräuterwiese die Decke und Gottes Sternenhimmel das Kissen”, wie eine deutsche Quelle besage, so Bence Ament-Kovács, Mitarbeiter des Ethnografischen Instituts (Néprajztudományi Intézet), der in der Sendung zu Wort kommt. Die Neusiedler haben die verwilderte Gegend wieder urbar gemacht, damit landwirtschaftliche Produktion wieder möglich wurde. Die Neusiedler waren Lutheraner, was den Grundherrn Florimundus Graf Mercy nicht gestört habe, dennoch habe man 70 Jahre auf den ersten lutherischen Gottesdienst in deutscher Sprache warten müssen, denn so weit sei es mit religiöser Toleranz noch nicht gewesen.
Die neuen Bewohner brachten das Fachwerk mit – die Sendung zeigt einige Zeugnisse dieser Baukunst, so auch ein Wirtschaftsgebäude, das die neuen Besitzer sorgfältig renoviert haben. Die Balken, 300 Jahre alte Buchenstämme, stammten dabei noch aus Deutschland und dienten als Material für die Schachteln, mit denen die Siedler nach Ungarn zogen. Diese hätten diese Balken in der Folge auseinandergebaut und als Baumaterial wiederverwendet. Heute soll diese Scheune touristischen Zwecken dienen.
Das eigene Heim genießt nicht nur heute einen hohen Stellenwert, sondern auch in der Vergangenheit – um die Jahrhundertwende (19./20. Jahrhundert) entstanden großzügige Häuser, die so genannten „amerikás házak”, also „Amerikahäuser”: schwäbische Langhäuser aus dieser Zeit. Deren Besitzer gingen als Gastarbeiter für zwei-drei Jahre in die USA, um genug Geld zu sparen, um ein Eigenheim bauen zu können. In der Sendung wird ein Haus aus dem Jahre 1942 vorgestellt, gebaut von Johann Lux, der ebenfalls im Übersee gearbeitet hatte. 1945 wurde die Familie aus dem Haus vertrieben und bezog nach der Konsolidierung der Lage andere Unterkünfte. Ein angeheirateter Nachkomme aus der neunten Generation (die Familie kam vor genau 300 Jahren nach Gallaß), der pensionierte Gartenbauingenieur Károly Csorba, erwarb nach eigenen Angaben das Haus vor einigen Jahren und richtete eine Galerie ein, die Johann Lux Stallgalerie, die nach dem Erbauer Johann Lux benannt wurde. Im Haus finden nach Angaben von Károly Csorba Ausstellungen, Konzerte und Theateraufführungen statt. Aber auch Familienschätze stelle man aus, neben Fotos auch Kleidungsstücke wie das Hochzeitskleid von Csorbas Schwiegermutter.
Es entstand in Gallaß in den hinteren Teilen eine Kette von Stallungen, die einen Schutz vor den Wildtieren aus dem Wald boten und auch als Windschutz dienten. Viele Anlagen wurden im Laufe der Zeit niedergerissen, so dass man keine geschlossene Dorfstruktur mehr vorfinde. Auch die Vertreibung führte zu gravierenden Veränderungen wie in der Sendung auch thematisiert: Es kamen mehrere hundert Bukowinasekler nach Gallaß, für die manche Produktionsformen wie der Weinanbau unbekannt gewesen seien – dennoch hätten einige von ihnen diese Tradition der vertriebenen Deutschen übernommen.
Dokumentiert wird die reiche Tradition des deutschen Gallaß unter anderem vom Fotografen Lajos Győri aus Budapest, der sich in der Tolnauer Gemeinde niederließ. Seine 500 gesammelten Fotos stellte er in dem von ihm erworbenen Bauernhof aus, denn er findet, dass „Fotografien Werte vermitteln”.
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Die Sendung in der Mediothek des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: https://nava.hu/id/3987240/.