PRESSEMITTEILUNG der Deutschen Weltallianz (DWA), Wien, am 22.03.2021
Die Deutsche Weltallianz (DWA) initiiert für 2021 eine breit angelegte Interviewserie mit Vertretern deutscher Volksgruppen, wie es sie weltweit, verteilt auf allen Kontinenten gibt. Im Vordergrund stehen Fragen zur aktuellen Situation, zum Verhältnis zur Mehrheitsbevölkerung, zur historischen Vergangenheitsbewältigung, zur Restitution und zur Jugendarbeit. Das erste Interview wurde mit Herrn Rudolf Weiss, dem Vorsitzenden des Deutschen Volksverbandes geführt. Der Sitz des Vereins liegt in Subotica (dt. Maria- Theresiopel) in der autonomen Provinz Vojvodina. Das Interview führte Peter Wassertheurer, Präsident der DWA.
Wie groß ist die deutsche Volksgruppe nach der letzten Volkszählung in Serbien und wo liegen die Zentren?
Laut der letzten Volkszählung aus dem Jahr 2011 gibt es heute in Serbien 4064 Deutsche, davon leben 3272 in der Provinz Vojvodina. Somit leben 80 Prozent der Deutschen in Serbien in der Provinz Vojvodina. Bei der vorletzten Volkszählung im Jahre 2002 hatten sich 3902 Personen in Serbien als Deutsche bekannt. Wir haben einen Zuwachs von 4,18 Prozent. Die Zentren der deutschen Volksgruppe liegen in Städten wie z.B. Neusatz, Maria-Theresiopel, Apatin, Sombor, Pantschowa, Groß-Betschkerek, Groß-Kikinda und Karlowitz.
Welche Ziele verfolgt Ihre Organisation?
Der Deutsche Volksverband wurde im Jahr 1996 gegründet. Dieses Jahr feiern wir unser 25- jähriges Jubiläum. Der Deutsche Volksverband ist der älteste, aktive Verein der Deutschen in Serbien. Auf der Gründungsversammlung haben wir uns folgende Ziele gesetzt: 1. Schutz der Interessen der deutschen Minderheit in Serbien, 2. Erhalt der deutschen Identität und 3. Pflege der deutschen Sprache sowie der Sitten und Kultur der Donauschwaben in Serbien. Wir setzen uns dafür ein, dass wir Deutsche zu unserem Deutschtum stehen dürfen und uns hier in der Vojvodina ohne Angst dazu bekennen können. Wir möchten die Einheit der deutschen Volksgruppe hier in der Vojvodina stärken. Wir errichten Gedenkstätten und gedenken der Donauschwaben, denen von 1944 bis 1948 großes Unrecht angetan wurde. Wir möchten verhindern, dass die noch vorhandenen Kirchen, Kapellen und Gräber vernichtet werden und damit jede Spur unserer jahrhundertelangen Anwesenheit in dieser Region verwischt wird. Wir setzen uns für die Entwicklung und Unterstützung der guten Beziehungen zwischen den Deutschen und anderen Völkern in Serbien ein. Unser Verband soll eine Begegnungsstätte für Bürger verschiedener Nationalitäten sein, welche die Gelegenheit haben, unsere Sprache, unsere Kultur und unsere Bräuche kennen zu lernen.
Gibt es auch eine Jugendarbeit und wie sieht die aus?
Unser Verband hat eine erhebliche Verjüngung im Vorstand und im Aufsichtsrat durchgemacht. Dies führte auch dazu, dass wir im ständigen Austausch mit unseren jungen Mitgliedern sind. Wir hören aufmerksam zu, was uns die Jugend sagen will und welche Vorstellungen sie über die Zukunft des Deutschtums in Serbien hat. Im Vergleich zu anderen Vereinen sind die Jugendlichen in unserem Verband nicht nur Schausteller, sondern auch Mitgestalter. Darauf sind wir besonders stolz. Deswegen finden wir es wichtig, vor allem junge Erwachsene in verantwortlichen Positionen zu integrieren, um die Kontinuität der Verbandsarbeit zu gewährleisten. Den Jugendlichen stehen kostenlose Sprachkurse zur Verfügung und wir geben ihnen somit die Chance, die deutsche Sprache kennen zu lernen und zu meistern. Wir ermutigen junge Ehepaare mit Kleinkindern, dass ihre Kinder die deutsche Muttersprache schon im Elternhaus pflegen sollten. Leider können weder Verbände noch Schulen oder Sprachkurse die wichtige Rolle der Familie beim Identitätsaufbau der Kinder ersetzen. Die deutsche Muttersprache ist eines der wichtigsten Merkmale für die deutsche Identität. Deswegen ist es begrüßenswert, wenn die deutsche Sprache auf muttersprachlichem Niveau gepflegt wird. Auf unseren Veranstaltungen versuchen wir deshalb, den Teilnehmern die schönen, traditionellen deutschen Vornamen mit der Hoffnung näher zu bringen, die jungen Eltern für diese Namen zu begeistern. Schon im Altertum haben die Römer ganz klar formuliert: „nomen est omen” (Der Name ist ein Zeichen). Vornamen sind auch eine wichtige Identitätsbotschaft, welche man nicht vergessen und nie unterschätzen sollte.
Wie ist heute das Verhältnis der serbischen Mehrheitsbevölkerung zur deutschen Minderheit? Können Sie Beispiele des serbisch-deutschen Zusammenlebens vorstellen?
Am 26. Februar 2002 wurde die deutsche Minderheit in Serbien offiziell anerkannt. Das war auf politischer Ebene sehr wichtig. Rein menschlich gesehen ist das Verhältnis der serbischen Mehrheitsbevölkerung zur deutschen Minderheit sehr gut. Es gibt viele positive Beispiele: „Unsere Stimme” war eine wöchentliche, deutsche Radiosendung, welche man von 1998 bis 2015 auf der Welle von Radio Subotica hören konnte. Wir haben insgesamt 820 Sendungen gemacht. Ich war all die Jahre der Chefredakteur der Sendung und somit auch der Ansprechpartner für Rückmeldungen, Lob und Kritik. Im Laufe der 17 Jahre waren die Reaktionen der serbischen Bevölkerung sehr positiv gestimmt. Es gibt in Serbien eine breite Schicht in der Bevölkerung, welche sich selbst als Liebhaber der deutschen Kultur und Musik bezeichnen würde. Somit hat uns diese menschliche und moralische Unterstützung die Produktion von 820 Sendungen ermöglicht. Unser Verband besitzt eine eigene Bibliothek mit rund 7000 deutschsprachigen Titeln; davon sind 3000 auch im digitalen Format vorhanden. Unsere Bibliothek steht auch den Mitbürgern anderer Nationalität kostenlos zur Verfügung. Laut Statistik sind 35 Prozent der Nutzer unsere serbischen Mitbürger. Aufgrund solcher Erfahrungen blicken wir mit Optimismus auf das friedliche Zusammenleben zwischen Serben und Deutschen und unser Verband bleibt nach wie vor für den Kulturaustausch mit der Mehrheitsgesellschaft offen.
Ist die deutsche Minderheit politisch in Serbien vertreten?
Es gibt keine Partei, welche die deutsche Minderheit in Serbien vertritt. Wir sind dazu einfach zu klein. Mit 4064 deklarierten Deutschen können wir die Hürde für den Einzug ins Parlament nicht erreichen. Trotzdem hat sich unser Verband auch in gewisser Weise politische Ziele auf die Flagge geschrieben, wie z.B. unsere Forderungen im Bereich Restitution, Entschädigung, Wiedergutmachung sowie Entschuldigung für das Unrecht. Dazu zählt auch unser Einsatz für die Errichtung von Gedenkstätten an Massengräbern, wo unschuldige Frauen und Kinder ermordet wurden. Diese politischen Schritte zeigen ganz klar folgende Position auf: Uns liegen alle unsere Landsleute am Herzen und wir müssen ebenso die Erinnerung an die sehr dunklen Tage unserer Geschichte in der Vojvodina wachhalten, selbst wenn sie sehr schmerzhaft ist. Den „lustigen Donauschwaben” spielen kann jeder, aber der Deutsche Volksverband möchte neben den ganzen kulturellen Tätigkeiten auch gesellschaftlich etwas bewegen. Diese beiden Ziele sind für uns untrennbar.
Gibt es einen gemeinsamen Dachverband? Und welche Ziele verfolgt der?
Wir haben keinen Dachverband. In der Vojvodina gibt es ein paar lokale, kulturelle oder humanitäre Vereine, aber es gibt nur einen Verband, nämlich unseren Deutschen Volksverband. An dieser Stelle kann ich mich nur wiederholen: „Nomen est omen”. Damals vor 25 Jahren haben wir bei der Gründung des Verbandes mit der Namenswahl eine klare Botschaft vermitteln wollen: Der Deutsche Volksverband soll ein Verband für alle Deutschen in Serbien sein. Unser wichtigstes Ziel ist die Erhaltung der Einheit und der Identität der deutschen Volksgruppe in Serbien. Unsere deutsche Identität stärkt unser Selbstbewusstsein und fördert somit unser Gemeinschaftsgefühl.
Mit welchen Problemen kämpft die deutsche Minderheit in Serbien?
In Serbien gibt es keine kompakten deutschen Siedlungen. Diese Zerstreuung macht unseren Kampf für die Erhaltung der Identität schwierig, aber natürlich nicht unmöglich! Wie sich diese Zerstreuung tatsächlich auswirkt, wird sich diesen Herbst zeigen. Im Herbst 2021 findet in Serbien erneut eine Volkszählung statt. Unser Verband ermutigt die Deutschen in Serbien und mobilisiert jede Ortschaft, damit sich die Deutschen zu ihrer Volkszugehörigkeit bekennen. Dafür setzen wir uns unermüdlich trotz aller Schwierigkeiten ein.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Deutschen vertrieben. Gibt es von offizieller Seite, etwa von der Regierung oder den Parteien eine Entschuldigung für das Unrecht? Wie geht man in Serbien mit dieser Vergangenheit um? Gibt es einen Gedenktag wie z.B. in Ungarn?
Im Jahr 2003 verabschiedete das Parlament der autonomen Provinz Vojvodina eine Resolution zur Aufhebung des Prinzips der Kollektivschuld aus dem Jahre 1944-45. Am 21. Juni 2013 hat dann das serbische Parlament unter anderem die Verbrechen gegen die Minderheiten in den Jahren 1944-45 verurteilt. In dieser Erklärung steht unter Punkt 3 wie folgt: Das Parlament der Republik Serbien hat die kollektive Verantwortung (nicht die Kollektivschuld! – Anmerkung Rudolf Weiss), die einige nationale Gemeinschaften nach dem Zweiten Weltkrieg trugen, als für nicht gültig erklärt. Unter Punkt 4 steht u. a., dass das Parlament den Leidensweg aller Opfer in der Vojvodina während und nach dem Zweiten Weltkrieg verurteilt. Unter Punkt 5 fordert das Parlament die Anerkennung der unschuldig Verurteilten und deren volle Rehabilitation. Dieses Bemühen Serbiens um geschichtliche Gerechtigkeit hat unser Deutscher Volksverband sofort begrüßt und unterstützt. Es gibt noch keinen Gedenktag wie z. B. in Ungarn, aber wir hoffen, dass unsere Bemühungen in dieser Richtung erfolgreich sein können. Im Laufe der Zeit haben wir auch Gesprächspartner in der serbischen Bevölkerung gefunden, welche das Geschehene ebenso als Unrecht betrachten. Insbesondere die jüngere Generation kommt zur Erkenntnis, dass es so etwas wie eine Kollektivschuld nicht gibt. Nur das gegenseitige Verständnis und Sich-Verstehen-Wollen führt zu einer echten Versöhnung. Den Dialog mit der serbischen Bevölkerung wollen wir weiterführen und vertiefen.
Welche Ziele hat die deutsche Volksgruppe für die Zukunft?
Die eigene Sprache und Kultur, die eigenen Bräuche und Sitten sowie die Werte der alten Generation zu bewahren und zugleich mit allen modernen Mitteln das Interesse der Jugend an ihrer Identität und Herkunft zu festigen. Im Zeitalter der Digitalisierung ist eine starke Präsenz im Internet auf allen möglichen Plattformen und sozialen Netzwerken ein Muss. Nur so können wir weltweit den Informationsaustausch und die Kommunikation zwischen den verschiedenen deutschen Organisationen, Gemeinschaften und aktiven Mitgliedern erfolgreich verwirklichen.
Wie sind die Kontakte zu Deutschland und Österreich bzw. zu den Botschaften und anderen öffentlichen Stellen?
Die engen Beziehungen mit Institutionen in Deutschland und Österreich sind für unsere Volksgruppe sehr wichtig. Politische und diplomatische Unterstützung aus beiden Staaten sind für die deutsche Minderheit von besonderer Wichtigkeit und hohem Wert.
Wie würden Sie die Situation der deutschen Sprache und der deutschen Kultur in Serbien beschreiben?
Wir haben uns mit diesem Thema intensiv auseinandergesetzt und Umfragen gestartet. Wir haben rund 400 Mitglieder zu ihren deutschen Sprachkenntnissen befragt und sind zu folgender Schlussfolgerung gekommen:
Spricht und versteht Deutsch: sehr gut: 7% / gut: 24%
Reicht für ein einfaches Gespräch: 23%
Kennt nur einzelne Wörter: 46%
Es ist tragisch, dass sich 46 Prozent der Donauschwaben in Serbien nicht an einer Unterhaltung in ihrer Muttersprache beteiligen können. Daher richtet sich unser Ziel, die Pflege der verlorenen Muttersprache, gerade an diese 46 Prozent! Es werden viele Bemühungen zum Erhalt des deutschen Kulturerbes unternommen. So entschied die Regierung Serbiens im Jahr 2019, dass die deutsche evangelische Kirche in Pantschowa (Banat) den Status eines Kulturdenkmals erhalten sollte. Die evangelische Kirche in Pantschowa wurde zwischen 1904 und 1906 nach dem Vorbild der Leipziger Peterskirche erbaut. Diese Kirche ist im Ort auch als „die deutsche Kirche” bekannt. Das „Spieler-Haus” in Peterwardein (Peterwardein ist eine Festung an der Donau in Syrmien, auch als Gibraltar an der Donau bezeichnet) wurde schon in der Zeit der Habsburger im 18. Jahrhundert von Jesuiten gebaut und ist als Kulturdenkmal eingestuft. Das Haus wird dieses Jahr mit finanzieller Unterstützung des Ministeriums aus Belgrad vollständig renoviert. Diese zwei Beispiele zeigen, dass Schritte in eine gute Richtung gemacht werden.
Wenn Sie drei Wünsche für die deutschen Volksgruppe zur Auswahl hätten: Wie sehen Ihre Wünsche aus?
Was uns alle verbindet, ist unser Deutschtum und unser christlicher Glaube und ich wünsche mir, dass wir dieses Bewusstsein an unsere Kinder und Jugendlichen erfolgreich weitergeben. Ich wünsche mir auch, dass sich die Jugend weiterhin für die eigene Volksgruppe engagiert und interessiert, aber vor allem lebt in mir der Wunsch, dass es der deutschen Volksgruppe in Serbien gelingt, weiterhin ihre Identität zu bewahren.
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Kurzbiografie
Rudolf Weiss wurde im Jahr 1964 in der Region Banat in Serbien geboren. Nach dem Abitur und dem Wehrdienst schloss er ein Studium der Geschichtswissenschaften ab und nahm eine Position als Geschichtslehrer in der Stadt Subotica (dt. Maria-Theresiopel) an. Im Dezember 1996 wurde von ihm der Deutsche Volksverband in Serbien in der Stadt Maria-Theresiopel gegründet und er ist bis heute Präsident des Verbandes. Im Dezember 1998 wurde die erste Sendung des von ihm gegründeten deutschen Radioprogramms „Unsere Stimme“ in Serbien ausgestrahlt und er war bis 2015 dessen Chefredakteur. Von 1998 bis 2012 war er Vizepräsident der Synode (Bundesvorstand) in der Lutherischen Kirche in Serbien und von 1998 bis 2012 Präsident der Lutherischen Kirchengemeinde in Maria-Theresiopel. Seit 2014 ist er Gründungs- und Vorstandsmitglied der Assoziation der nationalen Gemeinschaften in der Gemeinde Maria-Theresiopel.
Bild: Fb-Seite von Rudolf Weiss