SB-Gespräch mit dem Vizevorsitzenden des DFD Oberwischau und Chefredakteur des Zipserplattls
SB: Herr Fellner, die Oberwischauer stammen aus unterschiedlichen Gegenden der k.u.k Monarchie. Erzählen Sie bitte ein wenig über die Siedlungsgeschichte der Oberwischauer, allen voran der Zipser.
AF: Die Siedlungsgeschichte der Oberwischauer (rum. Vişeu de Sus) steht in keinem direkten Zusammenhang mit der Kolonisierung der Zipser. Oberwischau wurde bereits 1365 in einem Dokument als freie Ortschaft erwähnt und galt als Sitz der Wischauer Knesen.
Die Ansiedlung der Oberwischauer Zipser geht auf die Kolonisierung Südeuropas und der Maramuresch Ende des 18. und Anfang des 19. Jh.s zurück, die zu der Zeit zur österreichisch-ungarischen Monarchie gehörte und von deutschsprachigen Kolonisten besiedelt wurde. Ausschlaggebend für die deutschsprachige Einwanderungswelle in Oberwischau war ein Vertrag, der 1777 von Kaiserin Maria Theresia in Kraft gesetzt wurde und wodurch ein ausgedehntes Waldgebiet aus dem Fiskalbesitz erworben werden sollte. Aus dem Wald sollte das Rohmaterial für die Flöße gewonnen werden, die für den Salztransport von der Marmarosch nach Wien gebraucht wurden. Das erworbene Waldgebiet – das Wassertal – beherbergt 21 kleine, von den deutschen Kolonisten geschaffene Holzfällersiedlungen. Bald brauchte es geschulte Fachkräfte, weswegen sich ab 1778 die ersten Kolonisten aus dem Salzkammergut hier niederließen. Wichtig zu erwähnen ist, dass bereits 1775 Holzfäller zum Teil mit Familie – insgesamt 221 Personen – ebenfalls aus dem Satzkammergut in den Ort Mokra, der heute zur Ukraine gehört, umgesiedelt wurden. Neben den 1778 nach Oberwischau direkt eingewanderten Arbeitern aus der Region Ischgl bzw. aus der Region Gmunden waren es vor allem einige Familien, die aus Mokra nach Oberwischau ins Wassertal umsiedelten.
Die ersten 25 Familien stammten aus Gmunden, 7 Jahre später kamen weitere 25 Familien aus der Gegend Ischl und Ebensee. Da sich die Waldeigentümer nicht an den Kollektivvertrag mit den Ansiedlern hielten, indem sie versuchten die Arbeitsleistung zu steigern, dafür aber die Löhne zu senken, drohten die Wassertaler Arbeiter mit Streik. Die Lösung war, „Streikbrecher“ aus der Zips zu holen, einer Gegend in der hohen Tatra der heutigen Slowakei. Im 13. Jh. wurden diese Arbeiter ursprünglich zur Erzgewinnung aus Deutschland in das damals zu Oberungarn gehörende Gebiet übersiedelt. Weil Ende des 18. und Anfang des 19. Jh.s der Erzabbau langsam unrentabel war und die Bergwerke geschlossen wurden, fiel den Arbeitern die Entscheidung leicht, nach Oberwischau ins Wassertal zu gehen. Die aus Österreich eingewanderten Kolonisten ließen sich am linken Ufer des Flusses Wasser nieder und gründeten die „Teitschi Reih“ und die neugekommenen Arbeiter aus der Slowakei am rechten Ufer und gründeten die „Zipserrei“. Mit der Zeit wurden alle deutschsprachigen Ansiedler aus Oberwischau „Zipser“ genannt.
SB: Wie stark ist Ihre Gemeinschaft gegenwärtig in Oberwischau und welche demografischen Prozesse vollzogen sich ab dem Ende des Zweiten Weltkrieges, insbesondere ab den Siebzigern? Wie stark war Oberwischau von dem Exodus der Rumäniendeutschen betroffen?
AF: Anhand der letzten nationalen Volkszählung im Jahre 2011 haben sich in Oberwischau etwas über 600 Personen zur deutschen Ethnie bekannt. Das ist eine relativ kleine Zahl, wenn man bedenkt, dass manche Quellen von bis zu 6000 Zipsern zu Beginn des 20 Jh. sprechen. Sicherlich ist die massive Auswanderung, die ich in drei Zeitabschnitte einteilen würde, Hauptgrund dieser demografischen Veränderungen. Die erste spürbare Auswanderungswelle liegt zwischen den 70ern und dem Fall des Kommunistischen Regimes in Rumänien, die zweite fand kurz nach den 90ern statt und die dritte ist in vollem Gange. Sicherlich kommen noch einige sekundäre Faktoren hinzu. Ein Teil der Zipsermänner sind im Zweiten Weltkrieg gefallen oder kamen nie wieder zurück und die jetzige niedrige Geburtenrate sowie die große Sterberate verstärken dieses Phänomen (Anm.: des Bevölkerungsrückgangs). Aktuell ist der Mangel an Arbeitsplätzen und Freizeitmöglichkeiten einer der Gründe, warum die Jugendlichen größere Städte oder das Ausland bevorzugen.
SB: Über welche Infrastruktur (Schulen, Kirche, Vereine) verfügen gegenwärtig die Oberwischauer Deutschen? Wie ist es um die Deutschsprachigkeit dieser Institutionen bestellt?
AF: Die Oberwischauer Deutschen sind eine Minderheit, die an ihrer römischkatholischen Religion und zipserischen Kultur stark festhält. Heute steht im Stadtzentrum eine wunderschöne große Kirche, die 2012 ihr hundertjähriges Jubiläum feierte. Diese ist die zweite Kirche der katholischen Gemeinde hier, die erste wurde 1806 fertiggestellt. Im Wassertal, im Weiler Feinen, befindet sich eine von den Zipsern gebaute und sehr gut erhaltene Holzkapelle, die am 18. November 1900 zum Gedenken an Kaiserin Elisabeth geweiht wurde. Sonst stehen in Oberwischau noch sieben kleine Gedenkkapellen, die teilweise von anderen Konfessionen mitbenutzt werden.
Deutschsprachigen Schulunterricht gibt es in Oberwischau schon seit 1808. Dieser überdauerte eine Vielzahl von Veränderungen im Laufe der über zwei Jahrhunderte. Ab dem Jahre 1948 kann in Oberwischau von ununterbrochenem deutschem Schulwesen gesprochen werden. Neben dem deutschsprachigen Kindergarten haben wir heute an der Schule eine deutsche Abteilung, die von Klasse 0 bis 8 geht. In der Grundschule wird bis auf Englisch und Rumänisch alles auf Deutsch unterrichtet, ab der 5. Klasse herrscht eine immerwährende Lehrerfluktuation, die leider bestimmt, welche Fächer auf Deutsch stattfinden. Vor einigen Jahren wurde ein Lyzeum gebaut und eröffnet, das den Schülern ermöglichen sollte, bis zu den Abiturfächern aus den Bereichen Gastronomie und Hotelwirtschaft in deutscher Sprache zu lernen. Die Misswirtschaft der Schulleitung hat dazu geführt, dass dieser Teil der Schule geschlossen wurde. Im „rumänischen“ Lyzeum in Oberwischau wird Deutsch als Fremdsprache unterrichtet.
Die Oberwischauer deutsche Minderheit wird vom Demokratischen Forum der Deutschen aus Oberwischau (DFDO) vertreten. Das DFDO macht es sich seit seiner Gründung vor knapp 30 Jahren zur Aufgabe die zipserische Kultur, die Traditionen und die Mundart zu pflegen. Das DFDO unterstützt und fördert weitgehend den deutschsprachigen Unterricht und unterstützt bedürftige Mitglieder der Gemeinde auf verschiedene Weise.
Das DFDO besitzt ein gut ausgestattetes Jugendzentrum – in dem die Jugend- und die Seniorentanzgruppe proben – sowie eine Bibliothek mit einigen Tausend Büchern in deutscher Sprache. Dieses Jahr wird hoffentlich das Zipsermuseum eröffnet werden, welches die Geschichte und Lebensweise der Zipser zeigen wird. Die Zipsergemeinde organisiert jährlich mehrere kulturelle Treffen und Feste – einige zusammen mit der Kirche, die wichtigsten unter diesen sind der „Zipsertreff“, ein Treffen der Oberwischauer Deutschen, – und die Fahrt ins Wassertal zur Holzkapelle, wo jeden Herbst ein Gedenkgottesdienst zelebriert wird.
SB: Das Bistum Temeswar beispielsweise ist berühmt für seine gelebte Drei- bzw. Mehrsprachigkeit, trifft das auch auf das kirchliche Leben in Oberwischau zu?
AF: Die Oberwischauer Kirchengemeinde gehört zum Bistum Sathmar. In Oberwischau werden jeden Sonntag und an Feiertagen Gottesdienste in rumänischer, ungarischer und deutscher Sprache gefeiert, unter der Woche ist das abwechselnd, an manchen Feiertagen sogar auf Latein. Also ja, die gelebte Mehrsprachigkeit trifft auf das kirchliche Leben in Oberwischau vollkommen zu.
SB: Wie würden Sie das Zusammenleben mit den anderen Nationalitäten beschreiben? Gibt es auch viele Mischehen? Wenn ja, wie wirkt es auf die Identität, Sprachgebrauch in diesen Familien aus?
AF: Das Zusammenleben mit anderen Nationalitäten gestaltet sich hier sehr harmonisch. Übergriffe oder Konflikte mit ethischen Hintergründen sind mir nicht bekannt. Mischehen gibt es schon immer in unserer Gemeinde, ausschließlich zipserische Familien sind eine Seltenheit. Zum Thema „Identität“ muss ich einen klaren Unterschied in Hinsicht auf die Generationen verzeichnen. Ich bin jetzt 30 Jahr alt, in meiner Generation und der meiner Freunde gibt es kaum Fälle, in denen beide Elternteile Zipserdeutsche sind. Es gibt aber gewiss keine Jugendlichen, die die zipserische Mundart nicht sprechen. Viele der rumänischen Kinder haben sie auch erlernt. Heutzutage ist es eher anders, aus verschiedenen Gründen wird selbst in Mischehen oft nur Rumänisch gesprochen.
Identität ist im 21 Jh. ein Gefühl, welches meiner Meinung nach bei den jüngeren Generationen an Stellenwert verliert. Deshalb ist es jedem überlassen, wie er/sie mit dem Thema in der Familie umgeht. Im Falle der Oberwischauer Zipser treffen beiden Varianten zu: Familien, in denen man das Identitätsgefühl spürbar merkt, in denen Traditionen gepflegt und eingehalten werden sowie die Mundart gesprochen wird und natürlich Familien, für die diese Aspekte zweitranging sind.
SB: Welche Kontakte bestehen zu den Ausgewanderten bzw. zu den Herkunftsländern der Oberwischauer?
AF: Die hauptsächlich nach Deutschland ausgewanderten Oberwischauer Zipser haben sich dort auch in Vereinen organisiert. Diese gibt es in verschiedenen Ortschaften, hauptsächlich in Bayern und Baden-Württemberg. Zu ihnen besteht eine teilweise noch lebendige Beziehung, da die Familien der Hiergebliebenen und die der Ausgewanderten gute Kontakte pflegen. Sonst sind die Feste, die organisiert werden, ein guter Anlass für Treffen. Unsere Tanzgruppe ist öfters in Deutschland eingeladen, um beim dortigen Treffen der Zipser aufzutreten und andersrum organisieren die Zipser aus Deutschland gelegentlich eine gemeinsame Fahrt zum Zipsertreff in Oberwischau. Ebenso besuchen wir jedes zweite Jahr die alte Heimat einiger von uns in der Slowakei, wo wir als Gäste zum Minderheitenfest der Gemeinde Hopgarten/Chmelnica eingeladen sind.
SB: Was sind die größten Herausforderungen, die den Alltag prägen bzw. erschweren?
AF: Mit Sicherheit ist die größte Herausforderung der Zipser das Fortbestehen und der Erhalt der Kultur und Traditionen in einer sich rasch globalisierenden Welt. In Oberwischau trifft davon einiges zu. Eine sich stets ändernde Gesetzeslage und die Schulleitung, die zu wünschen übrig lässt, führen dazu, dass sich der deutschsprachige Schulunterricht jedes Jahr aufs Neue mit Problemen auseinandersetzen muss, die nur mit großer Mühe und meistens nur vorübergehend zu lösen sind. Dazu kommt noch die generell immer kleinere Anzahl der neu eingeschriebenen Schüler, ein Problem, welches auch die deutsche Abteilung betrifft.
Seitens der Stadtverwaltung werden schon seit vielen Jahr Infrastrukturarbeiten unternommen, die aber keine Rücksicht auf den Erhalt einiger für die Zipser spezifischen Elemente vor allem in der Zipserei (das Zipserviertel aus Oberwischau) nehmen. Die alten mit Pflastersteinen gebauten Straßen wurden durch Asphalt ersetzt, die Bäume mussten dem Beton weichen usw. Das Bauamt erlässt keinerlei Regelungen, die das Aussehen der Stadt bzw. den Erhalt von alten wertvollen Gebäuden und Zipserhäusern vorsehen.
SB: Sie sind Chefredakteur des Zipserplattls – erzählen Sie bitte ein wenig über das Blatt.
AF: Das Zipserplattl ist im Wesentlichen ein Versuch dem kulturellen Leben der Oberwischauer Deutschen eine weitere Facette hinzuzufügen. In erster Linie aber soll es das Geschehen rund um die Zipser archivieren und für die Nachwelt verfügbar machen. Die Intention der Publikation ist nicht hauptsächlich das Drucken einer tatsachenbetonten aktuellen Zeitung im journalistischen Sinne, sondern ein Medium zu schaffen, das für alle Generationen zugänglich ist, ein Medium, in dem Texte ihren Platz finden, die oft meinungsbetont das beschreiben und wiedergeben, was sich für die Zipsergemeinde Wichtiges zugetragen hat: Themen aus dem Alltagsleben, aus dem Schulwesen, aus der Lokalpolitik und dem Kirchlichen werden behandelt. Außerdem bietet das Zipserplattl den Schülern die Möglichkeit ihre ersten Schreiberfahrungen zu publizieren. Zu den wichtigsten Punkten gehört die Rubrik Literatur in Mundart: Hier erscheint in jeder Ausgabe ein Text in zipserischem Dialekt.
SB: Wie sehen Sie die Zukunft der Oberwischauer Gemeinschaft?
AF: Ich bin eine eher realistisch eingestellte Person, das auch in Bezug auf die deutsche Gemeinschaft aus Oberwischau. Mir ist klar, dass wir in Zukunft nur mit großer Mühe die Existenz der Oberwischauer Zipser mit all ihren Facetten sichern und weiterführen können. Allerdings ist es jetzt auch nicht viel anders und trotzdem gelingt es uns ein lebendiges und sich stets im positiven Sinne entwickelndes kulturelles Dasein der Zipser zu schaffen. Das wird solange gut gehen, wie lange es Menschen gibt, denen das am Herzen liegt und die dafür ihre Ärmel hochkrempeln. Zurzeit klappt das gut. Wenn an wichtigen Pfeilern wie dem Schulwesen, der Stärkung der Identität samt Traditionen und am Erhalt der kulturellen Artefakte gearbeitet wird, hat die Oberwischauer deutschsprachige Gemeinschaft noch eine lange Zukunft vor sich.
SB: Herr Fellner, vielen Dank für das Gespräch!
Bildquelle: https://primariaviseudesus.ro/turism-la-viseu-de-sus/