Das Schwabenvillage

Von Robert Becker

Unlängst wandte sich ein Jugendlicher unserer Familie mit seiner Idee an mich, dass es doch nicht verkehrt wäre, wenn wir, gleichgesinnte, die es doch noch gibt in unserem Land, die zu Hause noch untereinander deutsch sprechen, schreiben und lesen, die über die deutsche Kultur noch etwas halten, in eine unserer Ortschaften beziehungsweise in ein neu gegründetes Dorf zusammenziehen könnten und sollten, um aus dieser Nähe Kraft zu schöpfen, um weiter zu bestehen. Diese Worte haben mich nicht nur erstaunt und mit einer seelischen Wärme erfüllt, sondern musste ich gleichzeitig in der Erkenntnis dessen, wie sehr menschliche Wünsche und Sehnsüchte scheinbar auf ein allgemeines Schema beruhen, auch heimlich in mich hineinschmunzeln. Von außen betrachtet ist meine Miene ernst geblieben, und ich habe den guten Burschen für seinen Gedanken gelobt und ihm geraten, die Idee bis in die Nuancen selbst auszuarbeiten, die Frage mit seinen Geschwistern und Cousinen auszudiskutieren.

Nun, seinerzeit, ebenfalls als ich am Ende meiner Teenager-Zeit einen Blick auf mein Umfeld geworfen habe, als ich es zu erkennen und zu verstehen begonnen habe, wie sporadisch wir, Deutsche in Ungarn geworden sind, dass nur noch die alten Leute um mich eine Gruppe darstellen, für die es selbstverständlich ist, deutsch – oder die Mundart halt – zu sprechen, hat es mich erschauert und ich bin auf die Idee gekommen, dass es doch so gut wäre, einander näher zu rücken, ein Dorf zu gründen, wo alle Familien zu Hause sind, die in Ungarn noch ihre deutsche Herkunft nicht nur in Kulturgruppen, sondern auch in ihrer alltäglichen Sprache und Gesinnung pflegen…

Diese Idee ist also scheinbar nicht so alt wie ich und auch nicht so jung wie meine Kinder, sie ist wohl elementar nach dem Motto, dass die Kraft in der Gemeinschaft liegt. Im Alter, als man noch nicht auf seinen eigenen Füßen steht, wo man sich nicht zuletzt auch auf die Gruppe Gleichgesinnter stützen will, um daraus Kraft zu schöpfen, anders zu sein als alle Welt um einen. Nicht zuletzt will man auch seinen Mut aufbauen, denn es ist nicht einfach, nicht leicht, anders zu sein als die Anderen, die einen in einer vielfachen Mehrheit umgeben und es schon auf diese Weise vorgeben und bestimmen, wie man zu sein hat, wo es entlanggeht, was Sitte und Brauch ist.

Stolz bin ich und traurig nach dieser Begebenheit, dass aus vererbten Umständen weitergespielte Ideen hervorgehen, dass meine Kinder ihren Schritt in meinen Fußstapfen zu gehen versuchen. Den Anspruch, das Dasein als Angehöriger unserer Volksgruppe fortzuleben, gibt es also bis in unsere heutige Zeit. Dies zu tun, nicht nur als Nostalgie, sondern in ihrer Erscheinung als eine gegebene Selbstverständlichkeit.

Schon zu meiner Zeit haben meine Eltern es mir nicht auferlegt, die Bräuche, alte Feste, Methoden in der Arbeit und im Alltag von einst zu behalten und im Sinne der vergangenen Generationen zu reproduzieren, denn dagegen hätte ich mich in der instinktiven Erkenntnis, dass es damit endgültig aus ist, ganz sicher aufgelehnt. Meine Eltern haben mich nicht für eine Nostalgie programmiert. Und auch nicht darauf getrimmt, mir im Trümmerhaufen meiner Volksgruppe Wege einzuschlagen, die mich als irgendein Funktions- oder Würdenträger – wenn auch nur finanziell, aber doch – glücklich machen könnten. Ich bin meinen Eltern dafür dankbar, dass ich fähig gemacht worden bin, als ein Deutscher in Ungarn (ohne in eine Zeitkapsel zu schlüpfen) fortbestehen zu können.

Jetzt kommen meine Kinder mir nach, die mit den Möglichkeiten und aus den Bedingungen, die ihre, unsere Zeit ihnen beschert, das Beste machen wollen, was jetzt möglich ist. Nur steht ihnen ebenfalls jene Hürde als eine Mauer, die in allen Richtungen bis zum Horizont führt, im Weg, die in ihrem zarten Alter als ein unbezwingbares Hindernis erscheint. Diese Mauer trägt den Namen: Einsamkeit.

Man wird sein ganzes Leben durch gewissem Mistrauen, Argwohn und Unverständnis dafür ernten, dass man sich zu jemandem gemacht hat, der von der Masse abweicht. Die Frage erübrigt sich, ob ich das für meine Nachkommen wünsche, diesen Weg entschlossen zu gehen: Sie sind scheinbar bereits an der Mauer, die sie für sich einreißen oder bald an ihr ein schmales Tor finden, zu dem sie einen Schlüssel in der Hand haben, um in die Gesellschaft von außen her einzutreten, um ihren Platz – wohl am Rande – zu finden.

Vom Rand her wird einem allerdings eine bessere Sicht gewährt als von der Mitte, zu der die Massen tummeln und sich drängen, wo Intrigen und Machtkämpfe gefochten werden, ohne mehr an den einfachen Sinn des Ganzen noch überhaupt zu denken… Alleine die Einsamkeit ist jener harte Brocken, den man mit sich schleppt, wenn man statt des Lebens aller anderer sein eigenes Leben lebt. Aber man trägt dadurch etwas davon mit, was die anderen längst verloren, ja weggeschmissen haben.

Ein „Schwabendorf” für uns, „Ungarndeutsche” wird es nicht mehr geben: nicht in diesem Land. Ob wir auf eine Art zusammenfinden, um durch die Errungenschaften und Angebote unserer Zeit aneinander näher zu rücken, um wenigstens virtuell zu erfahren, wer (noch) mit uns hält, ist eine Möglichkeit der Zukunft. Damit wir wenigstens über das Internet einander die Frage in den Raum stellen: „Wie geht’s Dir? Was machst Du am anderen Ende der Welt?” Übereinander halt zu wissen und zu erfahren, wenn wir keine Nachbarn mehr sein können und werden. Eins ist sicher: Wenn wir unsere Isolation hinnehmen, sind wir endgültig verschlungen – und es bleibt nur noch jene Feiertagstrachtengruppe von uns übrig, deren Produktion kaum einen bleibenden Eindruck mehr hinterlassen kann…

 

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