Ein Siebenbürger im Dienste der europäischen Volksgruppen

Der neue JEV-Vorsitzende Andor Barabás im SB-Gespräch

SB: Andor Barabás hört sich ungarisch/madjarisch an, dennoch engagierst du dich für die Rumäniendeutschen – wie kommt es?

AB: Ich stamme aus einer ungarischen Familie, aber ich bin im siebenbürgischen-sächsischen Umfeld der deutschsprachigen Minderheit in Zeiden/Feketehalom/Codlea in Rumänien aufgewachsen. Das heißt, ich habe sächsische Schulen besucht, die deutsche Grundschule in Zeiden und später das Johannes-Honterus-Lyzeum (Gymnasium) in Kronstadt/Brassó/Brașov. Meine Muttersprache ist Ungarisch und danach habe ich Deutsch im Kindergarten gelernt und Rumänisch konnte ich erst ab der 1. Klasse lernen. Während dieser Zeit waren fast all meine Lehrer Teil der deutschen Minderheit in Rumänien, sodass ich natürlich ihrer Gemeinde nahe kam. Obwohl ich als Kind an vielen Veranstaltungen der ungarischen Gemeinde in meiner Heimatstadt teilgenommen habe, bin ich auch zu den deutschen Veranstaltungen gegangen wie zum Beispiel dem Gitarrenkreis oder dem Kindergottesdienst. Interessant zu erwähnen ist auch, dass viele der kulturellen Aktivitäten wie der Fasching von beiden Gemeinschaften gemeinsam organisiert wurden. Später schloss ich mich der Zeidner Volkstanzgruppe und der evangelischen Jugendgruppe an, die beide der deutschen Gemeinschaft angehören.

SB: Welche Erfahrungen hast du bei dieser Arbeit gesammelt – wie ist es um die rumäniendeutsche Gemeinschaft bestellt?

AB: Die Erfahrungen, die ich während meines Engagements in der Gemeinschaft gesammelt habe, können auf mehreren Ebenen und aus verschiedenen Blickwinkeln gesehen werden. Einerseits nahm ich an vielen lokalen und regionalen Veranstaltungen und Aktivitäten teil, die darauf abzielten, die vielfältige und historische Kultur der Siebenbürger Sachsen zu fördern und zu schützen. Angefangen von Sachsentreffen bis hin zu Jugendaustauschen, aber auch Reinigungsaktionen von Kirchenburgen im Burzenland haben mir jedes Jahr geholfen, zu erkennen, was für ein schönes Erbe wir hier haben. Leider wird das von Jahr zu Jahr schwieriger, weil die Zahl der Siebenbürger Sachsen in Rumänien abnimmt und der Verfall der siebenbürgisch-sächsischen Dörfer und Gemeinschaften offensichtlicher wird. Trotzdem bin ich froh, dass zwei wichtige Organisationen – die Evangelische Kirche A.B. in Rumänien (EKR) sowie das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien (DFDR) – aktiv daran arbeiten, das, was wir haben, zu bewahren und die Interessen der Gemeinschaft erfolgreich zu vertreten.

Anderseits hat mir mein Engagement für diese Gemeinschaft gezeigt, dass es sehr wichtig ist, diese weiterhin zu unterstützen und verschiedene Aspekte weiterzuentwickeln. Aktuell wird geschätzt, dass heutzutage weniger als 10.000 Siebenbürger Sachsen in Rumänien leben und die meisten von ihnen (ca. 200.000) nach der Wende 1990 nach Deutschland, Österreich und in die USA ausgewandert sind. Deshalb muss man die Möglichkeiten nutzen, einen ständigen Dialog und eine kontinuierliche Partnerschaft nicht nur mit Verbänden und Organisationen der Siebenbürger Sachsen im Ausland, sondern auch mit der Mehrheitsgesellschaft (und nicht nur) in Rumänien auszubauen.

SB: Du bist in Rumänien in der ADJ aktiv – wie ist es, in einer von Überalterung betroffenen Gemeinschaft Jugendarbeit zu leisten?

AB: Die Antwort auf diese Frage ist interessant, denn obwohl die Zahl der jungen Menschen, die der deutschen Minderheit in Rumänien angehören, sinkt, gibt es viele deutsche Bildungschancen (deutsche Schulen und Universitätsprogramme), an denen heutzutage meistens Kinder aus den rumänischen Familien teilnehmen. Dies führt dazu, dass viele Jugendliche anderer ethnischer Herkunft die deutsche Kultur kennen lernen und manche beteiligen sich an verschiedenen Aktivitäten wie zum Beispiel im Rahmen von Volkstanzgruppen, Theatergruppen oder kirchlichen Veranstaltungen. Bei mir persönlich war es auch der Fall, dass ich angefangen habe, in der evangelischen Kirche zu Ostern oder Weihnachten Gedichte vorzutragen und danach auch beim Martinsfest (Laternenfest) oder Krippenspiel teilgenommen habe. Durch diese Aktivitäten ist es nur noch ein kleiner Schritt, auch in einer Jugendorganisation wie ADJ oder der evangelischen Jugendgruppe aktiv zu werden. Obwohl du kein Angehöriger der deutschen Minderheit bist, kommst du durch diese Aktivitäten dieser Gemeinschaft sehr nahe und in vielen Fällen kommt es auch dazu, dass rumänisch-orthodoxe Jugendliche sich dazu entscheiden, der evangelischen Kirche beizutreten.

Man kann schon von einer Überalterung reden, wenn wir uns die ethnische Herkunft ansehen, aber es ist trotzdem gut, wenn wir auch anderen Jugendlichen die Kultur und Traditionen der deutschen Minderheit in Rumänien bewusst machen, und wir freuen uns natürlich jederzeit auf neue Mitglieder und Teilnehmer für unsere Jugendschulungen, Konferenzen und Treffen. Ich bin mir auch sicher, dass wir auf diese Weise aktiv dazu beitragen, die Minderheit am Leben zu erhalten und dass wir wichtige Kompetenzen in einem multikulturellen Umfeld entwickeln. Abgesehen davon kann ich auch sagen, dass wir uns als ADJ über die Hilfe der älteren Generation äußerst freuen. Sie unterstützt uns bei allen Aktivitäten und gleichzeitig bietet sie uns genügend Raum und Möglichkeiten an, unsere Ideen zu entwickeln.

SB: Die JBG war in Ungarn der aktivste Landesverein, als es um die Unterschriftensammlung rund um die Minority SafePack-Initiative ging, die von einer Organisation (FUEV) getragen wurde/wird, der ein Landsmann von dir, Lóránt Vincze, vorsteht: Wie hast du diese Aktion erlebt (zumal in Rumänien die Initiative umstritten ist)?

AB: Persönlich habe ich mich nicht mit dem Sammeln von Unterschriften für die Minority SafePack-Initiative befasst, da ich 2017-2018 im letzten Jahr meines Bachelor-Studiums in Klausenburg/Kolozsvár/Cluj-Napoca war und meine Freiwilligen- und Jugendarbeit sowie andere Aktivitäten beiseitegelegt habe. Selbstverständlich bin ich sehr froh, dass diese Bürgerinitiative 2020 bei der Präsentation vor der Europäischen Kommission und in der öffentlichen Anhörung des Europäischen Parlaments ein überwältigend positives Feedback bekommen hat. Als Vorsitzender der Jugend Europäischer Volksgruppen möchte ich sagen, dass wir bereit sind, die Initiative zu tragen, FUEN bei ihrer Umsetzung zu unterstützen und auch die Jugendperspektive einzubringen (Anm.: Das Gespräch fand vor der Entscheidung der EU-Kommission statt). Anfang November habe ich mich außerdem mit Lóránt Vincze getroffen. Wir haben über unsere JEV-FUEN Zusammenarbeit gesprochen und ich wünsche uns eine weiterhin starke Partnerschaft, damit aus unseren Netzwerken positive Ergebnisse hervorkommen und man miteinander gute Projekte und Methoden teilen kann.

SB: Ein weiteres wichtiges Ziel für die madjarische Gemeinschaft in Rumänien ist die Autonomie des Szeklerlandes – wie stehst du persönlich zu dieser Frage?

AB: Dies ist ein heikles Thema, da es sowohl auf historischen Wunden beruht, die von Zeit zu Zeit durch politische Streitigkeiten wieder geöffnet werden, als auch auf den Realitäten eines nicht so leichten Lebens. Eines ist sicher: Für die Entwicklung des Szeklerlandes in den letzten Jahrzehnten hätte mehr getan werden können. Aber auch hier in Kronstadt/Brassó/Brașov ist es so: Die Bürger dieser Stadt warten seit zu vielen Jahren auf einen Flughafen und Autobahnanschlüsse und das ist natürlich frustrierend. Ich bin der Meinung, dass Siebenbürgen allen hier lebenden Volksgruppen gehört, die es ihr Zuhause nennen – den Siebenbürger Sachsen, den Ungarn und Szeklern, den Rumänen, den Roma, den Armeniern, usw.

SB: Hast du Kontakte zu den Deutschen in Ungarn?

AB: Anfang 2020 konnten wir das JEV Kick-Off Seminar zusammen mit der Gemeinschaft Junger Ungarndeutscher in Tscholnok, Ungarn, organisieren und seitdem habe ich einen guten Kontakt mit Martin Surman-Majeczki (Vizepräsident der GJU) aufbauen können. Bei dieser Veranstaltung traf ich auch Blanka Jordán, die Präsidentin der Organisation, und auch Susanne Ritzl, Geschäftsführerin, die ich zuvor bei einer Jugendkonferenz der deutschen Minderheiten kennengelernt habe, wo auch Viktória Nagy teilgenommen hat.

SB: Wie bist du zur JEV gekommen? Welche Funktion hat in deinen Augen ein solches Netzwerk von Jugendorganisationen?

AB: Über die JEV habe ich in den letzten Jahren oftmals etwas gehört und im Frühjahr 2019 habe ich mich entschieden, ein Praktikum für mein Masterstudium im Berliner JEV-Büro zu beantragen. Als die positive Antwort auf meine Praktikumsanfrage kam, war ich sehr froh, dass die JEV das Osterseminar in Sankt Georgen/Sepsiszentgyörgy/Sfântu Gheorghe, Rumänien, geplant hatte und es in der nächsten Woche stattfinden sollte. Natürlich bin ich daraufhin hingefahren und ich habe dort die Organisation und lauter nette und offene Menschen kennengelernt. Ab diesem Moment bewunderte ich den Einsatz der JEV für die jungen Mitglieder nationaler, ethnischer und sprachlicher Minderheiten in Europa. Aus diesem Grund nahm ich an anderen Workshops und Seminaren teil, die von der JEV organisiert oder als Partner durchgeführt wurden. Zwischen September und Oktober 2019 konnte ich dann auch ein Praktikum bei der JEV absolvieren.

Während dieser Zeit habe ich gelernt, dass es für die JEV sehr wichtig ist, junge Menschen zu einem politischen Leben zu befähigen und zu ihrer persönlichen Entwicklung beizutragen. Die Aktivität in der JEV hat mir geholfen, organisatorische und kommunikative Fähigkeiten zu entwickeln. Als großes Netzwerk von Jugendorganisationen besteht eine der Hauptfunktionen der JEV darin, jungen Menschen aus Minderheiten eine Plattform zum Austausch von Erfahrungen und Ideen in einem multikulturellen und mehrsprachigen Europa zu bieten.

SB: Erzähl ein bisschen über die JEV! Wie soll sich der Sonntagsblatt-Leser diese Organisation vorstellen?

AB: Die Jugend Europäischer Volksgruppen (JEV), auch unter dem englischen Namen Youth of European Nationalities (YEN) bekannt, ist das größte Netzwerk von Jugendorganisationen der autochthonen und nationalen Minderheiten in Europa. Das bedeutet, dass Jugendorganisationen/ -verbände aus ganz Europa Mitglieder der YEN sind und sie die Hauptzielgruppe unserer Arbeit sind und auch der Grund, warum wir existieren. Durch sie erreichen wir Einzelpersonen – junge Menschen zwischen 16 und 35 Jahren. Momentan sind in der JEV 41 Mitgliedsorganisationen aus 18 Ländern vertreten. Diese Organisationen unterscheiden sich sehr voneinander. Wir haben große Organisationen wie den Südtiroler Jugendring, der ebenfalls ein Netzwerk ist und mit seinen Strukturen ca. 80.000 Jugendliche erreicht. Wir haben aber auch kleinere Organisationen wie Pomorania, eine in Polen ansässige kaschubische Jugend-Nichtregierungsorganisation, oder politische Jugendorganisationen wie Junge Spitzen, die die deutsche Minderheit in Dänemark vertreten.

Gemeinsam mit diesen Mitgliedsorganisationen strebt die JEV ein dynamisches, multikulturelles und vor allem vielsprachiges Europa an. Die JEV sieht sich als eine selbstbestimmte und selbstorganisierte Jugendorganisation, deren Tätigkeit von jungen Menschen ausgeführt und bestimmt wird.

Wir organisieren viele Seminare, die auf Methoden der nicht-formalen Bildung basieren, und letztens haben wir einige digitale Aktivitäten wie Webinare und Diskussionsgruppen organisiert und bald werden wir einen E-Learning-Kurs anbieten. Die Themen, mit denen wir uns bisher befasst haben, sind Demokratie, Menschenrechte, soziale Eingliederung, Diskriminierung usw. In den letzten Jahren haben wir uns auch mit Intersektionalität befasst und andere soziale Gruppen und ihre Erfahrungen mit Diskriminierung untersucht.

Die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen funktioniert auch sehr gut. Im April 2010 wurde die JEV als volles Mitglied des European Youth Forum aufgenommen. Wir haben einen konsultativen Status beim Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (UN ECOSOC) und die Kooperation mit der FUEN äußert sich nicht nur darin, dass der/die JEV-Präsident/in einen ständigen Sitz im FUEN-Präsidium hat, sondern auch in gemeinsamen Projekten.

SB: Welche Ziele hast du dir selbst gesteckt, als Vorsitzender?

AB: Als Präsident der JEV liegen meine Prioritäten für den kommenden Zeitraum u. a. darin, das Netzwerk mit neuen Mitgliedern und Partner/innen zu stärken. Ich bin außerdem überzeugt davon, dass es notwendig ist, unserer Kommunikationsabteilung mehr Ressourcen zuzuweisen. In der kommenden Zeit, die von der COVID-19-Pandemie beeinflusst sein wird, werden wir auch mehr digitale Präsenz benötigen. Es würde mich freuen, bei der Vernetzung zwischen den Mitgliedsorganisationen zu helfen und mehr Unterstützung an die Mitgliedsorganisationen zu leisten.

SB: Welchen Stellenwert genießt Deutsch in der JEV?

AB: Die offiziellen Sprachen der JEV sind Englisch und Deutsch. Das heißt, wir veranstalten unsere Projekte und Seminare zweisprachig und wir verwenden beide Sprachen für interne und externe Kommunikation. Zum Beispiel Newsletter und Facebookposts werden sowohl auf Englisch als auch auf Deutsch geschrieben.

SB: Andor, vielen Dank für das Gespräch!

Das deutschsprachige Gespräch führte Richard Guth.

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