Die ersten Wochen im Mutterland
Von Csenger Ujvári
Schon im Gymnasium interessierte mich, wie es ist, in Deutschland zu leben. Für eine sehr lange Zeit war es nur ein Gedanke, der mir durch den Kopf geisterte, bis jetzt, wo meine Freundin und ich in ein Flugzeug nach Berlin gestiegen sind. Aber die Entscheidung, auszuziehen, kam nicht über Nacht.
2014 konnte ich mit einem Sprachstipendium drei Wochen in Aachen verbringen. Diese drei Wochen waren die ereignisreichste und unvergesslichste Zeit meines Lebens. Ich wurde um viele Freunde und Erfahrungen reicher. Mir hat auch gefallen, wie die Deutschen, die ich dort getroffen habe, mit dem Leben umgehen. Ich war beeindruckt von der Ruhe und der Hilfsbereitschaft, die von ihnen ausging. Nachdem ich wieder nach Hause gekommen war, war ich mir sicher, dass ich definitiv eine gewisse Zeit in Deutschland leben möchte. Zu der Zeit hatte ich noch vor, nach dem Abitur in Deutschland zu studieren. Damals erfuhr ich, dass meine Vorfahren Ungarndeutsche waren. Ich hatte das Gefühl, dass mein Ungarndeutschtum die Erklärung dafür sein könnte, warum ich meinen Platz zu Hause nicht finden konnte. Da meine Eltern mein Auslandsstudium nicht unterstützen können, begann ich über eine Lösung nachzudenken. Der logische Schritt wäre ein duales Studium in Deutschland gewesen. Dann hatte ich die Gelegenheit, mit Leuten aus Industrie und Lehre in Ungarn und Deutschland zu sprechen. Ich war aber unsicher, beim dualen Studium die theoretischen Kenntnisse zu erlangen, die ich brauche, um meine Ziele zu erreichen. So blieb ich als Maschinenbaustudent an der Universität für Technik und Wirtschaftswissenschaften Budapest (BME).
Glücklicherweise hatte ich an der TU Budapest die Möglichkeit, in den ersten vier Semestern auf Deutsch zu studieren. Da ich irgendwann doch nach Deutschland gehen wollte, nutzte ich diese Gelegenheit. Hier lernte ich viele verschiedene Leute kennen und wir wurden dank dem Unileben sehr gute Freunde. Nachdem wir unser Bachelor-Studium abgeschlossen hatten, entschieden wir uns dafür, dass wir unser Masterstudium definitiv in Deutschland absolvieren möchten. Wir begannen im Januar mit der Planung dieses Studiums: Wir suchten die sympathischen Universitäten zusammen, schauten uns ihre Anforderungen an und begannen, die für die Bewerbung benötigten Dokumente zu sammeln. Damit lief bis März alles planmäßig. Bis das Corona-Virus erschien. Zum Glück verursachte es nur das Problem, dass unsere Situation sehr ungewiss wurde. Anfangs wussten wir nicht, ob das Semester überhaupt beginnen würde. Wir hatten Angst, ob wir anreisen könnten, selbst wenn wir eine Zulassung bekommen würden.
Schließlich bewarben wir uns an jeweils acht Universitäten um 2-3 Fächer. Wir hätten uns gefreut, wenn wir alle fünf zum Karlsruher Institut für Technologie gegangen wären. Diese Universität ist eine der besten technischen Universitäten in Deutschland. Daneben stehen im Masterstudiengang Maschinenbau zahlreiche Fächer zur Auswahl. Darüber hinaus ist die Lage ausgezeichnet, da Karlsruhe sich in einem Bundesland befindet, wo Deutschlands bedeutendste Industriestandorte zu finden sind. Doch es ist leider nicht so gekommen. Mein Freund und ich haben uns schließlich für die Technische Universität Braunschweig entschieden, wo wir unseren Master in Maschinenbau beginnen werden. Diese Universität war uns auch besonders sympathisch. Hier können wir Sachen lernen, mit denen wir uns später beschäftigen möchten. Die beiden anderen großen Argumente für die Universität sind außerdem, dass die Universität eine der TU9-Gruppe ist und dass Volkswagen seinen Hauptsitz in der Nähe hat. TU9 ist eine Gruppe der besten technischen Universitäten in Deutschland.
Ich war ein bisschen traurig, dass wir nicht alle an einem Ort studieren und einander bei dem Studium nicht helfen können. Andererseits war ich froh, dass ich endlich eine Weile in Deutschland leben kann – das alles mit meiner Freundin und einem meiner besten Freunde. Die Universität selbst hat am 16. Oktober begonnen. Trotzdem kamen meine Freundin und ich viel früher nach Deutschland, weil wir befürchteten, dass wir wegen der zweiten Welle des Corona-Virus später nicht hätten anreisen können. Nachdem wir ausgestiegen sind, waren alle meine Zweifel verflogen, da ich von der Stadt so sehr beeindruckt war. Die beiden größeren Städte, in denen ich viel Zeit zu Hause verbracht habe, waren nicht wirklich sauber oder grün. Im Gegensatz dazu herrscht hier in Braunschweig eine unglaubliche Sauberkeit. Es ist nicht nur darauf zurückzuführen, dass mehr auf Sauberkeit geachtet wird, die Stadt wird auch häufig gereinigt. Außerdem gibt es in unserer unmittelbaren Umgebung zwei „kleinere” Parks und einen großen Park mit einem ziemlich großen See in der Mitte. Da ich als Kind sehr viel Zeit in der Natur verbracht habe, ist es ein beruhigendes und wunderbares Gefühl, dass ich, wenn ich mich ein bisschen entspannen möchte, einfach im Park spazieren gehe.
Das andere Unglaubliche für mich ist, dass jeder Fahrrad fährt, wenn man ein bisschen weiter weg zu tun hat. Dies liegt nicht nur daran, dass es nicht wirklich viele Steigungen gibt, sondern daran, dass die ganze Stadt mit Fahrradwegen zugekleistert ist. Überall Fahrradwege, eine separate Ampel für Radler! Es wird angegeben, auf welcher Seite man fahren darf. Und das Erstaunlichste ist, dass diese Fahrradinfrastruktur nicht nur in der Innenstadt präsent ist, sondern auch in den Vororten. Zum Glück habe ich mit meiner Freundin auch zwei Fahrräder bekommen und es ist wirklich himmlisch in Braunschweig Rad zu fahren – im Gegenteil zu Budapest. Aber vielleicht ist es am überraschendsten, wie hilfsbereit jeder ist. Bisher – überall und bei jedem Problem, – war jeder, den ich fragte, bereit zu helfen. Ich habe zum Beispiel im Laden nach Hefe für „Langosch“ gesucht und konnte die Hefe nirgendwo finden. Ich fragte eine nette Frau, ob sie weiß, wo man sie finden kann. Sie sagte, sie wisse nicht, wo sie sei, aber sie half mir trotzdem die Hefe zu finden. Nach ein paar Minuten fand sie sie und ich konnte nicht ausdrücken, wie dankbar ich ihr dafür bin. Aber nicht nur im Alltag, sondern auch an der Universität fühlt sich die Bürokratie ganz anders an. Unabhängig davon, wie oft ich dort um Hilfe gebeten habe, haben sie bisher ausführlich erklärt, wann, wo und was ich tun muss. Bisher haben mir die Studenten auch bei allem geholfen, was mir Probleme bereitet hat.
Die einzige Sache, die ich bisher negativ finde, ist die Distanziertheit der Leute. Sie sind vielleicht auch sonst so, aber es kann auch am Corona-Virus liegen. Aber ich war überrascht, dass die Menschen, mit denen ich gesprochen habe, nicht glauben wollten, dass ich vor nur einem Monat nach Deutschland gekommen bin. Meine Deutschkenntnisse kehrten jedoch nicht auf das Niveau zurück, mit dem ich zufrieden sein kann. Meine Kommilitonen sind wahrscheinlich überrascht, weil sie nicht wissen, dass in Ungarn auch Deutsch unterrichtet wird.
Was wiederum etwas seltsam ist, dass Fleisch hier viel teurer ist als zu Hause. Glücklicherweise sind alle anderen Lebensmittel gleich teuer wie zu Hause. Es gibt sogar gemahlene rote Paprika. Tatsächlich ist diese Paprika nicht so lecker wie die zu Hause, aber wir haben es geschafft, ein ziemlich leckeres Bohnengulasch damit zu kochen.
Von dem Semester sind erst zwei Wochen vergangen, aber bisher haben mich die Vorlesungen, die wir hören, fasziniert. Natürlich findet jede Vorlesung online statt. Ich hatte viel mehr internationale Studenten erwartet. Es könnte sein, dass aufgrund des Korona-Virus weniger kommen konnten. Die andere interessante Sache ist, dass man bei vielen Vorlesungen freie Wahl hat. Es gibt drei Pflichtfächer, aber sonst ist die Wahl sehr frei. Ich möchte später – noch in diesem Semester – definitiv Teilnehmer einer Wettbewerbsmannschaft der Universität sein. Darüber hinaus würde ich mich sehr freuen, als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität arbeiten zu können.
Ich habe mir überlegt, alle zwei bis drei Monate einen Artikel über meine Erfahrungen in Deutschland zu schreiben. Auf jeden Fall sehe ich die Dinge im Moment sehr positiv und bin froh, die Gelegenheit zu haben, hier zu studieren.