Von Dr. Bruno Burchhart
Einen schwerwiegenden Rückschlag bedeutete die Zurückweisung der europäischen Minderheiten-Initiative durch die EU-Kommission für die Bemühungen eine einheitliche Rechtsnorm für Minderheiten zu erreichen. Gerade auch die Ungarndeutschen hatten sehr viel auf den Minority SafePack gesetzt, der etliche Gesetzesvorschläge für die Verbesserung der Situation in Bezug auf Volksgruppenrechte, Sprachen-Vielfalt und Kultur gebracht hatte.
Der EU-Lissabon-Vertrag von 2007 hatte nämlich erstmals eine Europäische Bürger-Initiative vorgesehen. Diese ist insofern interessant, als mit einer Million Unterstützern aus einem Viertel der EU-Staaten Gesetzesvorschläge eingebracht werden können, die dann von der EU-Kommission behandelt werden müssen. Von den drei wesentlichen EU-Elementen – sonst noch Parlament und EU-Rat (bestehend aus Regierungs- und Staatschefs) – ist die EU-Kommission nämlich die einzige, die Gesetze für die Europäische Union erlassen kann. Allein das scheint schon in Richtung eines EU-Demokratie-Defizits zu gehen.
Immerhin gelang es der FUEV (Föderative Union Europäischer Volksgruppen) mit der Minority SafePack-Initiative knapp 1,2 Millionen Unterstützungserklärungen in dem geforderten Viertel der EU-Staaten in einem aufwendigen Verfahren innerhalb eines Jahres zu erreichen. Nach der zuerst von der EU-Kommission erfolgter Ablehnung der notwendigen Registrierung entschied jedoch der Europäische Gerichtshof die Rechtmäßigkeit der Initiative, und so musste die EU-Kommission doch die wohlbedachten Gesetzesvorschläge behandeln.
Diese hätten den Schutz nationaler Minderheiten gewährleisten sollen, wobei der Schutz und die Förderung von Minderheitenrechten, Sprachrechten und der Kultur derselben europaweit ermöglicht und gesetzliche Normen festlegt werden sollten.
Im Einzelnen war u.a. vorgesehen: Aufnahme vom Schutz nationaler Minderheiten in die Ziele des EU-Fonds für regionale Entwicklung und Förderung der kulturellen und sprachlichen Vielfalt, Förderprogramme für kleinere Sprachgemeinschaften und Schaffung eines Zentrums für Sprachenvielfalt, EU-Empfehlung zum Schutz und zur Förderung der kulturellen und sprachlichen Vielfalt, Forschung über den Mehrwert von Minderheiten in Europa, Freiheit der Leistung und Inanspruchnahme audio-visueller Inhalte in den Minderheitenregionen.
In Europa gibt es einerseits die Kopenhagener EU-Beschlüsse von 1993, die als Kriterien für die Aufnahme in die EU (damals vorwiegend die ehem. Ostblockstaaten) die Anerkennung von Minderheiten festlegten. Weiters gibt es die „Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen“ von 1992, welches Sprachregelungen u.a. für Bildung, Justiz und Medien festhielt, sowie das „Rahmenübereinkommen zum Schutz von Minderheiten“ von 1995. Letzteres wurde allerdings nicht von allen EU-Staaten, z.B. Frankreich ratifiziert. Diese bisherigen Dinge schienen aber der FUEV als Vertreterin von über 90 Minderheiten in über 33 europäischen Staaten in einer sich fortentwickelnden Gesellschaft zu wenig. Übrigens gibt es in der FUEV zwei großen Arbeitsgemeinschaften, die slawische und die deutsche, wobei letztere die größte staa-tenübergreifende Volksgruppe in Europa darstellt.
Mit großen Erwartungen wurde die Minority SafePack-Initiative eingebracht. Hatte doch auch das Europa-Parlament dieses Begehren mit mehr als 75 Prozent Zustimmung unterstützt. Die EU-Bürokratie hatte sich jedoch wenig Mühe mit dieser beachtlichen Initiative gemacht und zu den einzelnen Punkten mehr oberflächliche Betrachtungen angestellt. Die Zurückweisung dieser umfangreichen europäischen Bürger-Initiative stellt eine beträchtliche Brüskierung nicht nur der Parlamentarier, sondern besonders der 50 Millionen EU-Bürger der Minderheiten dar. Diese haben es in ihren einzelnen Herbergsstaaten ohnehin meist nicht leicht. Ist doch auch in Ungarn bei weitem nicht alles bestens gelöst, wenn man nur an Förderung von deutscher Muttersprache und Schulwesen denkt. Schon gar nicht ist z.B. auch in Slowenien 75 Jahre nach Weltkriegsende die verfassungsmäßige Anerkennung der deutschen Minderheit erfolgt trotz mehrmaliger Ermahnung durch die EU: eine Schande für die so oft gepriesene europäische Wertegemeinschaft.
Die Zurückweisung der FUEV-Initiative ist aber in der jetzigen Lage der Europäischen Union besonders deprimierend. Wird doch dauernd von zunehmender Europa-Müdigkeit und Europa-Skepsis gesprochen, die durch mehr Einbeziehung der EU-Bürger gebessert werden soll. Dass zu den vielen Problemen der EU und in der EU von Corona bis Migration, von Wirtschaft bis pandemiebedingter Staatenabkapselung jetzt auch dazukommt, dass die erfolgreiche Miteinbeziehung der vertragskonform gehandelt habenden EU-Bürger zurückgewiesen wurde. Das ist bei der Tatsache, dass jeder siebente EU-Bürger Angehöriger einer Minderheit ist, demokratiepolitisch doch sehr bedenklich. Man kann derzeit nur hoffen, dass die Staatenlenker der EU nicht zuletzt in Anbetracht des gerade erst vollzogenen Brexit Maßnahmen ergreifen, um hier eine Besserung im Sinne der Vielfalt in Europas zu erzielen.
Bildquelle:https://en.wikipedia.org/wiki/Minority_SafePack