Trump mag gehen, sein Schatten bleibt

Von Prof. em. Dr. Josef Bayer

Der Ausgang der laufenden Präsidentschaftswahlen in Amerika ist weltweit von hohem Interesse verfolgt. Die USA sind der mächtigste Staat der Welt, und was dort passiert, hat freilich immer Einfluss auf andere Länder. Aber diesmal geht es um noch mehr: um Trumps zutiefst populistische Politik, welche in Innen- und Außenpolitik gleichfalls viel Veränderung anstrebte und auf viel Staunen, und noch mehr Widerstand gestoßen ist.

Der Populismus, eher ein politischer Stil, weniger inhaltlich bestimmbar, hatte auch linke wie rechte Ausarten in der Geschichte. Neulich ist er in Europa von rechtsradikalen Parteien (wie Marine Le Pens Front National oder neulich vom Salvinis Partei in Italien, mit Vertretern in vielen anderen Ländern) seit langem Teil des Parteiwesens. Eine Weile im Aufschwung scheint derzeit die populistische Welle, nach neueren Studien und auch aufgrund sinkender Wahlergebnisse, zumindest im Westen, abzuebben. (Nicht so im östlichen Teil Europas, wo Ungarn und Polen dafür einstehen.) Es geht dabei nicht darum, dass Populisten die Stimme des Volkes hören und dann populäre Politik treiben würden. Populisten wollen nicht das Volk anhören, sondern den Volkswillen selbst schaffen. Sie berufen sich meist auf das verratene Volk, um die etablierten Eliten abzulösen und an ihre Stelle zu treten. Wenn sie dann die Macht erobert haben, benehmen sich die Populisten meist nicht viel anders als die frühere Elite, aber setzen auf die Einigung der Gesellschaft gegen äußere (siehe Migranten) und innere Feinde (siehe Opposition), bestücken alle Machtstellen mit ihren eigenen Leuten, engen Freiheitsrechte ein, manipulieren die Medien und schaffen alle weitere Kontrollinstanzen ab. Um ein Gleichnis von Wittgenstein zu gebrauchen, gelangten sie mithilfe der Leiter aufs Plato der Macht, stoßen sie die Leiter gleichweg als unbrauchbar um. Der Populismus frisst langsam die Demokratie auf, auf deren Basis seine Vertreter die Macht erlangt hatten.

In den Vereinigten Staaten trat Donald Trump, der Immobilienspekulant und Showmeister, vor 4 Jahren mit ähnlichen Ansichten auf und gewann überraschend zunächst die Nominierung der Republikanischen Partei, dann auch die Präsidentschaftswahl gegen Hillary Clinton.

Die Stärke des Populismus war immer schon Zeichen einer sozialen und politischen Krise. In den Vereinten Staaten verschaffte die neoliberale Globalisierung tiefe Risse in der Gesellschaft. Ungleichheiten sind enorm gewachsen, und die De-Industrialisierung – die Verlegung der Fabriken in asiatische Billiglohn-Länder – traf gerade Arbeiter der traditionellen Industriegebiete im Mittleren Westen besonders hart. Amerika führte auch weltweit teure Kriege und investierte zu wenig in humane Infrastrukturen wie Schulwesen, Wohnen und Gesundheitswesen.

Was haben daran die vier Jahren von Trumps Präsidentschaft verändert? Sehr wenig. Trump verstand es stattdessen, eine Art Identitätspolitik zu fördern, denken wir an seinen Slogan „Make Amerika Great Again“, was auf allen Kappen seiner Anhänger zu lesen ist (diese Kappen werden merkwürdigerweise eben in China hergestellt). Diese Politik läuft letztlich auf einen neuen Nationalismus hinaus und erhielt durch Trumps entschlossene Anti-Migrationspolitik sofort eine ethnische Dimension. Dahinter steckten aber nicht nur Ausländerfeindlichkeit, sondern auch tiefsitzende Ängste um die gefährdete überlegene Position der weißen Bevölkerung mit europäischer Abstammung, die sogenannte WASP- (white, anglo-saxon, protestant) Identität der Amerikaner. Daniel Bell hat schon vor zwei Jahrzehnt nachgewiesen, dass in den Vereinigten Staaten die Population nicht-weißer Abstammung – darunter Schwarze, immer mehr Chicanos/Latinos, Asiaten und Überreste der Indigenen – bis 2025 die Mehrheit der Bevölkerung ausmachen wird. Die Buntheit und der dynamische Charakter der amerikanischen Gesellschaft, bislang als Stärke und Zeichen ihrer großen Integrationsfähigkeit anerkannt, werden nun kurzerhand als eine Gefahr angesehen. Die sozialen Beschwerden der weißen Arbeiter und Angestellten erhalten dadurch eine ethnopolitische Brisanz, was sich im erneuten Aufflackern von rassistischen Konflikten und Protesten ausdrückt.

Die völlig verfehlte Behandlung der Corona-Pandemie im Lande vertiefte noch die erwähnten Krisen. Amerika ist weltweit das am meisten von der Seuche betroffene Land, sowohl in der Zahl der Infizierten als auch der Todesfälle. Allein am Tag des 4. November sind über 102 Tausend Menschen am Virus erkrankt. Trump aber versuchte von Anfang an, die Gefahr der globalen Pandemie herunterzuspielen, es als „chinesisches Virus“ abzutun, nach außen zu verlegen. Er schürte Zweifel am Rat der Ärzte und Wissenschaftler, mokierte den Gebrauch der Schutzmasken, bis am Ende auch er daran erkrankte. Für ihn war die Lage der Wirtschaft immer wichtiger als die gefährdeten Menschenleben. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit machte die Chancen eines raschen Wirtschaftswachstums aber zunichte.

Auch Trumps außenpolitische Schritte brachten ihm keine großen Erfolge bei. Er verließ das Pariser Klima-Abkommen, stieg aus dem Atom-Kontrakt mit Iran aus, wollte viele multilaterale Wirtschaftsbeziehungen neu verhandeln, und äußerte sogar Zweifel an amerikanischem Engagement zu NATO. Zu seinem Führungsstil passte es, gerne mit autoritären „starken Männern“ zu posieren.

Während im Ausland sein Führungsstil nicht sehr gut ankam – er hielt nicht viel von Fakten, bediente sich ungeniert Lügen, behandelte Frauen oft verächtlich, verbreitete Verschwörungstheorien usw. – versuchten die verbündeten Staaten mit ihm auf gutem Fuß zu bleiben. Trotzdem verloren die USA wegen dem Trumpismus viel an früherem Ansehen in der Welt.

Zu Hause jedoch konnte Trump sichtbar eine breite Anhängerschaft mobilisieren. Die Republikanische Partei wurde während seiner Amtsperiode weitgehend zu einem Trump-Partei. Sogar die Pandemie konnte er so weit politisieren, dass auch das Tragen der Schutzmaske zu einem politischen Identifikations-Symbol geworden ist.

Die neuen Wahlergebnisse, wobei die zwei Kandidaten Kopf an Kopf einander gegenüberstehen, bezeugen eine überraschende Resilienz von Trump und seiner Politik gegenüber jeglicher Kritik der liberalen Presse und der Demokraten. Die amerikanische Gesellschaft zeigt sich heute völlig in zwei politische Lager zerfallen. Den Demokraten ist es nicht gelungen, gegen Trump alle Krisenbetroffenen zu mobilisieren, um einen landesweiten, überzeugenden Wahlsieg zu erzielen. Joe Biden und Kamala Harris konnten zwar der populistischen Flut einen Damm entgegenrichten, waren aber nicht fähig, eine breite Wahlkoalition der Demokraten zu schmieden, wie damals noch Barack Obama. Nach außen scheint die Welt und darin die Stellung der USA heute einem grundlegenden Wandel ausgesetzt. Viele haben das Auftreten von Trump auch als ein klares Zeichen dafür gedeutet, dass das Zeitalter der amerikanischen Hegemonie bald zu Ende geht. Eine neue Weltordnung ist im Werden, mit dem Aufstieg von China und anderer großer regionaler Machtgruppen, die um geopolitischen Einfluss ringen. Die Führungsrolle der USA in der Aufstellung und Einhaltung der bestehenden Weltordnung lässt sich nicht mehr aufrechterhalten.

Wie es zu diesem ausgeglichenen Wahlergebnis der jetzigen Wahl kam, wird noch lange Gegenstand von Wahlanalysen sein. Es gab auch viel Verlogenheit und viele Ungereimtheiten im Wahlprozess. Trump hat von Anfang an angedeutet, dass er seine Position nicht aufgeben wird und die Ausbreitung der Vorwahlen und der brieflichen Abstimmung – eine Notlösung in der Pandemie-Zeit – als Versuch zur Wahlfälschung betrachtet. Über seinen täglichen Tweets verbreitete er unwissenschaftliche Ansichten und Verschwörungstheorien und in seinen öffentlichen Auslassungen unterstützte er rechtsradikale, teils bewaffnete Gruppierungen, welche offen für weiße Überlegenheit demonstrierten. Mehr als eine Millionen Menschen sahen einen verfälschten Videofilm über einen sichtbar schwächelnden Joe Biden, der sich unfähig zeigte, ein Land zu regieren. Und in Florida z. B. ist kubanischen und venezoelanischen Emigranten weisgemacht worden, Biden würde dort den Sozialismus einführen, sollte er gewinnen.

Heute Nacht, am 5. November, sieht es aufgrund der Auszählung der früher abgegebenen und brieflichen Stimmen so aus, dass letztlich doch Biden die Wahl gewinnt. Zumindest ihm steht jetzt die Flagge, trotz Versuche von Trumps Kampagnenstab, seinen Sieg auf rechtlichem Wege aufzuhalten. Es wird aber Joe Biden als dem 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten nicht leichtfallen, die Amerikaner wieder zu vereinigen, wie er es in seinem Wahlkampf versprach. Die politischen Risse sind so tief, wie eben auch die Ängste und die sozialen Konfliktlinien. Wenn aber die verschiedenen Gesellschaftsgruppen nicht mehr gegeneinander gehetzt werden, wie es unter Trump oft geschah, wird allein das schon einen großen Fortschritt bedeuten.

 

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