Márton-napi lámpás felvonulás

Wenn man zu deutschen Festen ungarisch lädt

Von Richard Guth

Traditionen zu pflegen ist eine schöne Sache. Gerade in unserer schnelllebigen Welt, wo Sachen auftauchen und auch blitzschnell wieder verschwinden, wenn der stets ungesättigte Musterkonsument sie mit einer leichten und unüberlegten Handbewegung auf dem Smartphone nach oben oder auf die Seite schiebt. Traditionen vermögen es stark fragmentierte Gemeinschaften in einer atomisierten Gesellschaft zusammenzuhalten oder auch Menschen mit gleichem Hintergrund und gleichen Interessen zusammenzuführen.

Für mich stellt sich aber stets die Frage nach der Authentizität. Diese berührt nicht nur die Frage nach einer vorhandenen Traditionslinie, sondern auch das Wie und im Falle unserer Volksgruppe die Frage, in welcher (Umgangs-) Sprache diese gepflegt wird.

Der Martinstag und der Umzug mit Lampions ist mittlerweile zum festen Bestandteil des Jahresprogramms von deutschen Nationalitätenkindergärten und -selbstverwaltungen (unter dem Motto, wir kümmern uns um den Nachwuchs) geworden, ein Phänomen, das sich im Nachwendeungarn, aus dem deutschen Sprachgebiet kommend, fest eingebürgert hat. Eigentlich ist nichts dagegen einzuwenden, denn es könnte dazu beitragen, dass unser Gefühl der Verbundenheit mit unserem Mutterland gestärkt wird. Eigentlich ist nichts dagegen einzuwenden, denn Traditionspflege war stets Veränderungen unterworfen, Tradition veränderten sich, entstanden oder verschwanden wieder.

Woran ich ansetzen will, dafür steht die Einladung einer deutschen Nationalitätenselbstverwaltung zum „Márton-napi lámpás felvonulás”. Ich gestehe, dass ich intensiv nach der deutschen Version der Einladung gesucht habe, jedoch vergebens. Es gab nur eine ungarische Version, lediglich ein deutsches Wort („Martinstag”) oben links in der Ecke verirrte sich auf die Einladung. Darin lädt die Deutsche Nationalitätenselbstverwaltung  „Önt és kedves Családját„, also „Sie und Ihre liebe Familie” zum „Márton-napi lámpás felvonulás”, also zum Martinsumzug mit Laternen ein. Es werden Treffpunkt und Route des Umzugs bekanntgegeben und im Anschluss zu einem „forró tea” (heißen Tee) und einem „libazsíros kenyér” (Gänseschmalzbrot) eingeladen, alles akkurat einsprachig ungarisch, obwohl – wie meine Übersetzung zeigt – auch die deutsche Sprache über ein passendes Vokabular verfügt. Gerade hier böte sich die Gelegenheit – gäbe es eine deutsche Version der Einladung – die alten Straßennamen ins Bewusstsein zurückzuholen, indem man diese angibt, in Klammern dahinter mit den ungarischen. Diese Chance wird nicht nur hier vertan. Sicher wurden während der Veranstaltung einstudierte Texte und Lieder in deutscher Sprache vorgetragen, aber ganz sicher verliefen die Gespräche dazwischen auf Ungarisch und man fing die Veranstaltung mit einer „Köszöntjük az egybegyűlteket!” (Wir begrüßen die hier Versammelten) an und beendete diese mit einer „Köszönjük, hogy eljöttek!” (Danke, dass Sie gekommen sind). Dass diese Einladung kein einmaliger Ausrutscher ist, zeigen weitere Einladungen, Bekanntmachungen der genannten DNSVW aus der Vergangengenheit, allesamt einsprachig ungarisch.

Ewigoptimisten würden mir jetzt vorhalten, diese einsprachig ungarische Einladung einer deutschen Nationalitätenselbstverwaltung wäre zwar kein Einzelfall, dennoch gäbe es positive Beispiele. Die gibt es in der Tat – so werde ich von der Deutschen Selbstverwaltung Stuhlweißenburg stets zweisprachig zur deutschen Messe in die Kapuzinerkirche eingeladen. Aber die Betonung liegt leider Gottes auf „Ausnahmen”.  

Ausnahmen, denn die Regel sind ungarischsprachige Einladungen, die durchaus ein Bild über die Sprachsituation der deutschen Minderheit in Ungarn abgeben. Wozu auf Deutsch, jeder versteht doch Ungarisch und viele würden eh nicht mehr die deutsche Sprache beherrschen?!, hört man allzu oft. Aber sind die Damen und Herren Minderheitenvertreter nicht dafür angetreten, um den Sprachverlust aufzuhalten und ihn vielleicht sogar umzukehren?! Haben sie, haben wir nicht die Verantwortung, der ungarndeutschen Öffentlichkeit als gutes Beispiel zu dienen?! Sind wir nicht zu bequem geworden oder wenn ich unseren Autoren Georg Sawa zitieren würde, haben wir uns nicht zu billig verkauft?!

Denn Traditionen aus einem fremden Kulturkreis zu pflegen, ohne die Ursprungssprache, geht ohne Probleme. Halloween oder Valentinstag sind gute Beispiele dafür. Aber was macht uns, unsere eigene ungarländisch deutsche Identität eigentlich aus, wenn auch noch die Sprache der Ahnen aus dem Alltag gänzlich verschwindet?

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