Eher ein Deutscher in Ungarn als ungarndeutsch zu sein…

Von Georg Sawa

Am Ostermontag geschah es. Ein alter Bekannter hielt vor dem Haus, er hat mich auf dem Hof erblickt. Gebräunt, für sein Alter fit und schwungvoll, lächelnd kam er auf mich zu. „Und?”, fragte er fast etwas spöttisch. „Noch immer in Ungarn?” „Ja…”, antwortete ich – wohl etwas verlegen – in Erinnerung an unser letztes Gespräch zu Weihnachten. „In Deiner ganzen Straße sind nur noch alte Leute; hie und da ein paar „Unbeholfene”. Und ihr, die bis zu euren Schulkindern alle deutsch sprecht in der Familie, hockt hier…” – er machte dabei eine nicht zu übersehen verächtliche Geste Richtung unseres klapprigen Pkws den Hof und das Haus mit inbegriffen, das bereits schönere Tage erlebt hat. „Bleibt ihr?!”, fragte er noch mit einem etwas zynischen Lächeln im Mundwinkel, während er sich in sein frisch poliertes Auto schwang und nur noch kurz zurückwinkte, während er aufs Gaspedal tippte, um Richtung Westen davonzustauben.

Also, ja, wir sind geblieben und bleiben. Was einer Trotzreaktion gleichkommt. Weil, warum auch? Der Verpflichtung willen, es den Ahnen nachzumachen, die vertrieben wurden, dann aber über Zonengrenzen und der Todesgefahr zum Trotz in eine Heimat, die sie nie verraten haben, die aber sie aus jedem Hab und Gut geplündert, schuldig erklärt und ausgestoßen hat, zurückkehrten?! Jedenfalls ist es nicht die Angst, es zu wagen, von hier wegzugehen: Man braucht nämlich dazu mehr Mut, hier zu bleiben. „Es ist schon schön in Deutschland…”, sagen ab und zu unsere Kinder – nicht ohne etwas Fernweh in der Stimme. „Sollen wir gehen?”, stellen wir mit meiner Frau dann die Frage, aber schließlich äußern auch sie den Wunsch, zu bleiben. Wer weiß, vielleicht uns zuliebe. Wenn sie sich erwachsen dazu entscheiden, eine andere Heimat zu wählen, werden wir nicht in ihrem Wege stehen. Obwohl wir nicht ungebildet, nicht visionslos und nicht ohne Ideen sind, haben wir etwas, was die Ära in Ungarn heute kaum duldet: Wir haben feste, entschlossene Meinungen und wollen keine faulen Kompromisse eingehen.

Ich muss auf meine Großeltern und Eltern zurückgreifen: Sie haben ihr elementares Ich ebenfalls beibehalten. Wenn es heißt, „man durfte ja nicht deutsch reden…” – …anno dazumal… – und dass man darum nicht mehr deutsch sprechen könne in der Familie (?!). Achso: Und deshalb spricht man so und so viele Jahre nach der Wende noch immer nicht die Sprache seiner Ahnen?! Faule Ausreden einer bereitwillig assimilierten Volksgruppe, die in Bewunderung der Mehrheitsnation in die Knie gegangen ist. Meine Familie ist nicht nur an der Heimat, sondern auch an der eigenen Sprache, an der Kultur und an der Religion hängen geblieben. Auch wenn dadurch meinen Eltern höhere schulischen Fortschritte, lukrative Stellen, Auslandsstipendien etc. verwehrt blieben. Nun, durch dieses Erbe bleiben auch wir „karriere“los. Wenn es sein soll: gerne. Eine Genugtuung sind Momente im Leben, wie zum Beispiel, als meine Tochter noch im Kindergarten mit selbstverständlichem Bewusstsein mitgeteilt hat: „Ich bin ein deutsches Kindergartenkind”, oder wenn mich meine Kinder in jedweder Öffentlichkeit deutsch ansprechen und untereinander auch nur ihre Muttersprache gebrauchen. Trotz jeder Schwierigkeit, wenn zum Beispiel einem die Kinder in einer deutschen Nationalitätenschule abgewiesen werden, weil sie nicht gut genug ungarisch sprechen, oder wenn sie es auf dem Schulhof erdulden müssen, als „deutsche Zigeuner“ beschimpft zu werden. Auch wenn man schief angeschaut und böse angeknurrt wird, weil man doch in Ungarn lebt und hier gefälligst die Landessprache sprechen soll (die ja in Ungarn mit einem Charakter der Ausschließlichkeit einzig als Muttersprache fungieren kann).

Nun, meiner Meinung nach hat sich das sogenannte Ungarndeutschtum schon jeher äußerst billig verkauft. Wie ich es empfinde, ist bis auf den heutigen Tag nur ein klägliches Überbleibsel einer Nostalgie geblieben – bar jeglichen Kampfgeistes, wenigstens den noch aufzufindenden Rest einer ehemals blühenden Kultur stolz emporzuheben und zu bewahren. Es gibt die schwache Ausrede, dass nicht nur die Sprache allein Träger der Kultur sei. Nur kann ich es mir nicht anhören, wie die Mitglieder ungarndeutscher Kulturgruppen von der Bühne gehen und alles nur noch in ungarischer Sprache von sich geht. Unglaubwürdig. Oder gibt es irgendwo ungarndeutsche Schulen, wo Kinder in den Pausen unter sich deutsch sprechen?! Was aber noch wichtig ist: Das Dasein als Ungarndeutsche sollte nicht ein Zeitkapselgefühl sein, wo man alten, heute bereits längst überholten Lebensweisen nachtrauert und diese bühnenfähig nachmacht. Auch das Dasein einer Volksgruppe muss zeitgemäß erlebbar sein. Hier und heute. Ohne die Kenntnis der Sprache ein hoffnungsloses Unterfangen. Was nützt da ein Schuldeutsch, das in der Seele nie Fuß fasst?! Was nützt alles, wenn die Ungarndeutschen sich mit Mühe zu den entschlossensten Hungaristen küren wollen… Meiner Meinung nach haben wir bei der Enteignung teuer genug unser Bleiberecht mit allen Merkmalen eines deutschen Daseins in Ungarn bezahlt. Wir haben unsere Heimat nicht nur für ein weißes Ross erkauft!

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