Ein Kommentar von Richard Guth
zur Rede von Emmerich Ritter in München
Eine treffende Analyse der Situation der deutschen Minderheit in Ungarn. Ich kann dem von Emmerich Ritter formulierten Ziel, „mögen auch unsere Nachkommen die deutsche Muttersprache unserer Vorfahren kennen lernen”, voll und ganz zustimmen. Es ist richtig, dass die Ungarndeutschen nicht nur ein Sprach-, sondern auch ein Identitätsproblem haben. Vertreibung und Verschleppung hatten ihren Anteil daran, aber viel entscheidender war eine Minderheitenpolitik, die die Assimilierung der autochtonen Minderheiten in Ungarn zum Ziel hatte – der Anspruch des sozialen Aufstiegs über die Madjarenwerdung in früheren Zeiten, die fehlende Intelligenz (jedenfalls in Trianon-Ungarn) als Wahrer und Förderer einer (ungarländisch) deutschen Identität und der Sprachverlust aufgrund fehlender Schulen damals und auch weitgehend heute noch.
So ist die Feststellung Ritters, dass es nur wenige Kinder gäbe, die die Gelegenheit hätten, mit der deutschen Muttersprache aufzuwachsen (an dieser Stelle stellt er seine eigene Familie als positives Beispiel dar), folgerichtig. Die Gründe sind vielschichtig, da hat der Abgeordnete Recht, wir können es dennoch ganz einfach auf den Punkt bringen: Die deutsche Sprache ist für die große Mehrheit der Deutschen in Ungarn keine Muttersprache mehr. Es scheint, als hätte sich der Kreis geschlossen, gäben es nicht die (leider wenigen) positiven Beispiele, die Ritter nennt – vielfach geht es da um junge Erwachsene, die die Gelegenheit hatten, die Sprache, nunmehr als fremde Großmuttersprache, an entsprechenden Einrichtungen, die es durchaus, wenn nicht flächendeckend, gibt, zu erlernen. Es bedarf in einem stark ungarischsprachigen Umfeld, mit den Kindern deutsch zu sprechen, besonderer Anstrengungen (damit beschäftigt sich auch mein Beitrag „Mut und Ausdauer können Berge versetzen” in dieser Ausgabe). Der familiäre Hintergrund ist wichtig, aber – wie die Erfahrungen der befragten deutschsprachigen ungarndeutschen Eltern zeigen – der Einfluss der Bildungseinrichtungen ist auch nicht zu unterschätzen. Daher, da stimme ich Emmerich Ritter zu, bedarf es genügend Krippen, Kindergärten und Schulen, vor allem aber auch in qualitativer Hinsicht. Einrichtungen, die „den Kindern Deutsch als Muttersprache zurückgeben können”, so der LdU-Abgeordnete.
Ein hehres Ziel, was man versucht mit mehr Geld zu erreichen: über die Erhöhung der so genannten Nationalitätenzulage von 10 auf nun 30 % und perspektivisch 40 % des Grundgehalts – was der Untergrenze einer Schulleiterzulage und der Obergrenze für Stellvertreter entspricht, was durchaus für Konfliktpotenzial sorgen kann –, die Ausweitung bestehender Stipendienprogramme für Studenten auf die ersten drei-vier Jahre des Berufslebens (dazu habe ich in der letzten Nummer (04/2018) unter dem Titel „Zweifel angebracht” einen längeren Kommentar verfasst) und besondere Fördermaßen für die Lehrerbildungsanstalten und schulischen Einrichtungen, deren Inhalt in der Rede von Emmerich Ritter nicht näher erläutert wird. Darüber hinaus soll das fehlende Glied, das System von Kinderkrippen ausgebaut werden. Eine Schlüsselrolle käme den 64 Einrichtungen in der Trägerschaft einer Nationalitätenselbstverwaltung zu, denn nun liege die Zukunft der Nationalität – bildhaft und tatsächlich – in unseren Händen. Diese Einrichtungen würden darüber hinaus eine Sonderförderung erhalten, was in der Tat mehr als notwendig erscheint, denn seit Sommer sind sie auch für die Gebäudeerhaltung zuständig – ob die Summe von nun über 1,3 Milliarden Forint (4 Millionen Euro), also im Durchschnitt 20 Millionen Forint je Einrichtung, ausreichen wird, wird sich zeigen. Emmerich Ritter berichtete auch darüber, dass Schulklassen mit bis zu 120.000 Forint (380 Euro) je Schüler bezuschusst würden, wenn sie ins deutschsprachige Ausland fahren. Als Muster für diese Maßnahme dient womöglich das Programm für madjarische Kinder, um in Form von Klassen- und Studienfahrten Orte in den Nachbarländern aufzusuchen und so den Geist des „nationalen Zusammenhalts” zu erleben.
Mehr Geld ist immer erfreulich, gerade wenn es um die zukünftigen Generationen geht. In dem Beitrag „Zweifel angebracht” habe ich hinsichtlich des neuen Stipendienprogramms Zweifel zum Ausdruck gebracht – ein Stipendienprogramm mag bei der Studienfinanzierung und beim Berufseinstieg helfen, aber es bleibt zu bezweifeln, dass das in den ersten drei-vier Berufsjahren gewährte Stipendium junge Leute im Beruf hält. Dies gilt auch für die Erhöhung der Nationalitätenzulagen, die im konkreten Fall (Erhöhung zum 1. Januar 2019) keine großen Summen bedeutet. Es bedürfte einer Lösung, die alle Lehrer betrifft, und zwar eine deutliche Erhöhung der Gehälter, zum Beispiel über die Koppelung der Lehrergehälter an den Mindestlohn, wie ursprünglich praktiziert, aber ganz schnell wieder abgeschafft. Dies brächte spürbare Gehaltszuwächse von 90.000 – 120.000 Forint netto (280-380 Euro) je nach Dienstjahren und Eingruppierung. Angesichts des Lohnzuwachses der letzten Jahre in der Privatwirtschaft wäre diese Erhöhung mittelfristig immer noch ein Tropfen auf den heißen Stein. Der Lehrermangel wird sich in der Zukunft aufgrund der Überalterung der Lehrerkollegien verschärfen. Was den Lehrerberuf noch zusätzlich attraktiv machen könnte, wären die Reduzierung der administrativen Lasten, der Pflichtstundenzahl, der Klassengrößen und die Einstellung zusätzlichen sozialpädagogischen Fachpersonals. Auch die Stärkung der Autonomierechte der einzelnen Schulen (dies gilt ja in erster Linie für die staatlichen Schulen) wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Dazu bräuchte man aber nicht nur mehr Geld, sondern auch den politischen Willen.
Das sind Rahmenbedingung, die alle Schulen in Ungarn gleichermaßen betreffen. Dennoch ist die Situation der deutschen Nationalitäteneinrichtungen speziell, wie auch die aller anderen Nationalitäten. Ich stimme Emmerich Ritter zu, dass eine Netzwerkbildung wichtig ist und dass den 64 Institutionen in deutscher Trägerschaft eine Schlüsselrolle zukommen soll. Dies wirft organisatorisch die Frage auf, ob es nicht sinnvoll wäre – womöglich als Ausbau des Ungarndeutschen Pädagogischen Instituts – ein Landesschulamt einzurichten, das nicht nur die 64 Einrichtungen betreuen würde, sondern auch die restlichen mit Nationalitätenprogramm, aber in staatlicher Trägerschaft. Die Zahl 64 finde ich auch unter einem anderen Gesichtspunkt interessant. Denn es ist eine überschaubare Zahl. Es ließe sich sicherlich noch um einige dutzend erweitern, aber entscheidend in diesem Zusammenhang ist, wie Emmerich Ritter an mehreren Stellen betont, die Qualität. Ein wünschenswerter Mindestmaßstab für mich wäre die Zweisprachigkeit, und an Schlüsselstellen (also in Ortschaften mit bedeutender deutscher Bevölkerung) einsprachige Einrichtungen. Das Ungarndeutsche Landesschulamt könnte – wiederum in Anlehnung an die Strategie 2020 – konkrete Qualitätsstandards entwickeln, und die Einrichtungen könnten mit einer Staffelung der Höhe der Zuwendungen motiviert werden: Wer mehr (qualitativ hochwertigen) deutschsprachigen Fachunterricht anbietet, kriegt mehr Geld. So könnte man – bezogen auf die Grundschulen – das System der 5-Deutschstunden plus Volkskundeunterricht endlich aufbrechen, was man damals in der Wendezeit, aus welchen Überlegungen heraus, entwickelt hat. Denn fünf Stunden reichen nicht aus, um die verlorene Muttersprache zurückzuholen, zehn auch nicht. Eine realistische Chance besteht dann, wenn Zweisprachigkeit tatsächlich praktiziert wird und nicht nach Beliebigkeit von Jahr zu Jahr daran gebastelt wird. Ein- und Zweisprachigkeit muss aber auch gelebt werden – durch die Stärkung der Funktionalität der deutschen Sprache im Kindergarten- und Schulalltag, konkret deutschsprachige Kommunikation auf den Schulfesten, in den Pausen, unter Kollegen und im Büro. Ein Modell, das in den Nachbarländern funktioniert – natürlich mit einer anderen historischen Entwicklung im Rücken und einer anderen Sprachsituation. Oft wird auf das Vordringen des Englischen hingewiesen, was als Gefahr auf den Deutschunterricht (sic!) bewertet wird. Ich meine hingegen: Es wird nur zur Gefahr, wenn man nicht konstruktiv handelt – was spricht dagegen, dass die Schüler bereits ab der ersten Klasse beide Sprachen lernen (Deutsch hier als einzige oder gleichberechtigte Unterrichtssprache)?! Klar, das Schulgesetz, aber das lässt sich ohne weiteres ändern.
Entscheidend ist bei all dem, inwiefern es gelingt, die Lehrerausbildung zu reformieren, zu stärken (unter aktiverer Beteiligung des Mutterlandes), was auch Ritter in Aussicht stellt. Denn es braucht angehender Lehrer (Der Mangel an Lehrern, die deutschsprachigen Fachunterricht (DFU) erteilen können, ist noch gravierender als im Kreise der Lehrer, die ihr Fach auf Ungarisch unterrichten.), die die Möglichkeit haben ihr Fach auch auf Deutsch zu studieren. Denn es ist auffällig, dass ein hoher Prozentsatz der DFU-Lehrer Deutsch als Zweitfach haben. Aber auch an Kindergärten herrscht Not, viele angehende Pädagogen werden nach Erfahrungen der Kindergartenleitungen bereits während des Studiums von Anbietern im deutschsprachigen Ausland abgeworben. Genauso wichtig ist es, im Kreise der jetztigen und zukünftigen Pädagogen einen Mentalitätswandel herbeizuführen. Dass man nämlich erkennt und sich bewusst macht, dass Deutsch kein reines Schulfach ist, was man am liebsten als eine Fremdsprache unterrichtet, sondern Teil des Alltags, Teil unserer Identität. Wenn das nicht gelingt – und hier werden höhere Zuwendungen auch nicht helfen -, dann wird das von Emmerich Ritter formulierte Ziel, „mögen auch unsere Nachkommen die deutsche Muttersprache unserer Vorfahren kennen lernen” wirklich nur ein Kennenlernen der Sprache bleiben ohne diese aktiv oder gar als (zweite) Muttersprache zu beherrschen.